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Über die
BLUEGRASS  MUSIC (4)
Mit Banjo und Fiddle
Von Hauke Strübing

 

Letzthin fragte ein interessierter Forum-Teilnehmer einer Site in dieser virtuellen Welt, in der es manchmal auch angebracht scheint, sich nicht mehr als notwendig selbst darzustellen: „Wer interessiert sich für Ralph Stanley + Earl Scruggs?“. Worauf die Gegenfrage – wie sich später noch herausstellen sollte – eines Country-Fachmannes mit Nashville-, Opry- und gar BS-Erfahrung kam: „Wer ist das?“ Zunächst sollte man tunlichst – auch eine Lebenserfahrung – eine Frage nie mit mit einer Gegenfrage zu beantworten versuchen. Angebrachter wäre da schon das zurückhaltende Schweigen. Man könnte ja ganz gewaltig auf den ….. naja, ich will sagen: fallen. Wer aber Ralph Stanley und  Earl Scruggs per Namen nicht kennt, der sollte sich niemals anmaßen, über etwas zu berichten, worüber er offensichtlich nichts zu berichten weiß. 

Ich habe mir nie eingebildet, unbedingt der große Bluegrass-Kenner zu sein. Ich höre Bluegrass gern – eine gewisse Zeit lang, ich nenne eine nette Sammlung mein Eigen, ich gehe – wenn sich die Möglichkeit bietet – in Bluegrass-Konzerte und höre mir auch gern (wirklich gern??) die Worte meiner besseren Hälfte an: Hauke, diese Musik macht mich nervös! Na so was! Als es darum ging, vor vielen Jahren in der Zeitschrift COUNTRY CORNER tiefgründige Abhandlungen über Bluegrass und ihre Interpreten zu veröffentlichen, da habe ich mir gesagt: Jetzt muß ein Fachmann ran, und das war damals Eberhard Finke. Er hat der Bluegrass-Seite in COUNTRY CORNER das Profil gegeben und niemals gefragt, wer denn wer sei? 

Aber  ein kleines bißchen stolz bin ich dennoch. Auf eine Langspielplatte ausschließlich mit Bluegrass-Aufnahmen. Eine LP, die ich anno 1975 für die deutsche RCA in Hamburg aus den RCA-Archiven zusammenstellte und dann auf der Plattenhülle auch noch kommentieren konnte. Überhaupt war und blieb es dann die einzige je unter der Marke RCA in Deutschland veröffentlichte reine Bluegrass-LP. Und jetzt wo doch die Bluegrass Music in Amerika so boomt und bloomt, hat es mich interessiert, welche Weisheiten ich damals von mir gegeben habe. Stimmt heute noch alles, was ich damals schrieb? Oder sind die Mühlräder der Zeit darüber gefahren? Wie war das damals mit der Bluegrass Music? Welches Verständnis hatten wir für sie? 

Ich lasse den Text auf der Hüllenrückseite nach 27 Jahren nochmals Revue passieren in einer Zeit, wo die Bluegrass Music als Retter der Country Music fungiert. Lesen Sie mit, aber vorsichtig: Wenn die Langspielplatte MIT BANJO UND FIDDLE jemals in E-Bay auftauchen sollte: Ich biete mit. Ganz einfach, weil es mir Spaß macht, meine eigenen Sachen nach so langer Zeit wieder auftauchen zu sehen. So ist es nun mal: Jeder Mensch hat seinen Vogel. Und wenn er schon nicht im Käfig herumfliegt, dann eben im Kopf.

Also: MIT BANJO UND FIDDLE

COUNTRY MUSIC ist heute ein weitläufiger Begriff. In ihrer modernsten Prägung vereinigt sie die vielfältigen Elemente ihrer ursprünglichen Formen. Doch haben auch die traditionellen Stilrichtungen ihre Eigenständigkeit bewahrt wie etwa die Bluegrass Music. 

MIT BANJO UND FIDDLE ist ein Bluegrass-Album; das erste, das unter dem Markenzeichen RCA hier erscheint und sich ausschließlich der Bluegrass Music widmet. Mit 12 älteren Aufnahmen bis hin zu relativ neueren Produktionen will MIT BANJO UND FIDDLE einen kleinen Einblick in diese Stilrichtung geben, die heute zwar nicht im Brennpunkt des großen Country Geschehens steht, deren Talente aber im Verborgenen blühen. Und nicht zuletzt ist MIT BANJO UND FIDDLE auch an die Adresse der vielen Anhänger der Bluegrass Music hierzulande gerichtet, die passiv und aktiv eine alte amerikanische Tradition aufrechterhalten: Erwähnt sei nur das „Country und Bluegrass Festival“ von Neusüdende, das jüngst mit dem Auftreten von Bill Monroe & His Blue Grass Boys, des „Vaters der Bluegrass Music“, einen bislang absoluten Höhepunkt in seiner mehrjährigen Geschichte hatte. 

Und mit Bill Monroe beginnt auch die Geschichte der Bluegrass Music, die er Ende der 30er Jahre u.a. aus Elementen der Mountain Music und der Stringband Music entwickelte. „Was Bluegrass Music wirklich ist“, so Monroe in einem Interview, „kann man kaum erklären. Es ist die Musik, die ich zusammengetragen und in die ich eigene Ideen eingearbeitet habe. In der Musik stecken viele Ideen. Man findet darin den Blues, auch die schottische Bagpipe Music oder die Oldtime Fiddlemusic. Und im Gesang findet man Gospeleinflüsse.“ Die Bezeichnung seiner Erfindung „Bluegrass“ leitete er von dem Namen seiner Begleitgruppe, den „Blue Grass Boys“ ab. 

Bill Monroes Erfindung „Bluegrass Music“ entwickelte sich allerdings nicht von heute auf morgen. In den ersten Jahren sprach man daher auch noch von der frühen Bluegrass Music, der „early blue grass music“, die in der vorliegenden Zusammenstellung von Charlie und Bill, The Monroe Brothers, repräsentiert wird („Bringin´ In The Georgia Mail“). Erst als Mitte der 40er Jahre das Banjo als Melodienträger Einlaß in diese Stilrichtung der Country Music fand, begann ein neues Kapitel in der Country Music-Geschichte. Das Banjo übernahm fortan eine führende Rolle und der von einem jungen Mann namens Earl Scruggs entwickelte Banjo-Stil ist bis zum heutigen Tag das eigentliche Merkmal des Bluegrass. 

Es ist seither viel über die Bluegrass Music gesprochen und geschrieben worden. Mit fortschreitender Zeit haben sich neue Einflüsse geltend gemacht. Und natürlich haben auch die technischen Errungenschaften nicht vor der Bluegrass Music halt gemacht – und die Anhänger der traditionellen Richtung auf die Barrikaden getrieben: elektrifizierte Instrumente und selbst "artfremde" Instrumente wie Drums und Steel Guitar haben ihren Einzug gehalten und sind bei vielen Gruppen schon zur Selbstverständlichkeit geworden. Was den Country-Traditionalisten der „Nashville Sound“ bescherte, blieb den Bluegrass-Puristen also nicht erspart! 

Dennoch erschütterte der Einzug der Moderne die Bluegrass Music nicht so gravierend wie anfänglich befürchtet. Die Ursprünglichkeit und die Eigenständigkeit blieben weitgehend erhalten. Ausnahmen bestätigen da nur die Regel. Den äußeren Rahmen setzen noch immer die klassischen Saiteninstrumente Gitarre, Baß, Mandoline, auch die Autoharp, das Dobro und eben die Fiddle und das fünfsaitige Banjo. Schon seit Jahren kann man nun in den USA ein „Bluegrass-Revival“ großen Ausmaßes beobachten. Jahr für Jahr finden ungezählte kleine und große Bluegrass Festivals statt und die Tendenz ist steigend. Diese Festivals werden überhaupt als wichtigster Fortschritt in der Entwicklung der Bluegrass Music angesehen. 

Nehmen Sie mit uns an diesem „Bluegrass Revival“ teil. Die kleine Auswahl an musikalischen Beispielen aus dem RCA-Repertoire der letzten 40 Jahre ist vielfältig. Sie bringt mit „Bringin´ In The Georgia Mail“ mit den Brüdern Charlie & Bill Monroe ein populäres Beispiel aus der frühen Entwicklungsphase der Bluegrass Music. Die Country Fiddlers und Wade Ray spielen Old Time Fiddlemusic – in echter, alter Technik. Und da ist natürlich Lester Flatt mit einigen Gesangstiteln und dem Instrumental “Cuttin´ The Grass“ (ein Paradebeispiel zum Studium der Bluegrass-Instrumentation) im Alleingang und gemeinsam mit Mac Wiseman: Zwei Altmeister ihres Faches und unterschiedlicher Prägung. Die junge Bluegrass-Generation verkörpern in unserer Kollektion Dewey (Gesang und Banjo), Michael (Gesang und Gitarre) und Larry (Gesang und Bass) McPeak, The McPeak Brothers. 

Und da ist schließlich noch Don Gibson! Don Gibson, werden Sie mit Recht fragen. Was hat Don Gibson auf einer Bluegrass-Platte zu suchen!? Sicherlich nichts. Das heißt – mit Ausnahme seines „Carolina Breakdown“, eine seiner ersten – damals noch – 78er Schellackplatte. Hören Sie sich einmal diesen recht seltenen Oldtime Fiddle-Instrumental „Carolina Breakdown“ mit Don Gibson (Gitarre) & His King Cotton Kinfolks an.  

Wie sich doch die Zeiten ändern: Don Gibson mit Banjo und Fiddle! 

Das ist also der Text auf der Rückseite der Plattenhülle von MIT BANJO UND FIDDLE. Und ich muß heute sagen, daß mir der Gag mit der Don Gibson-Aufnahme gelungen ist, denn 1. gab es diese Aufnahme  nach der Schellack-Veröffentlichung nur in der Erinnerung, 2. hatte der Name von Don Gibson in jenen Jahren  einen guten Klang und einen hohen Wiedererkennungseffekt und 3. sprach speziell dieses „Carolina Breakdown“ viele Kritiker im positiven Sinne an. Rundherum also ein Gag. Das einzige, was ich damals wie heute schlicht und einfach deplatziert fand und finde, ist dieses unsägliche Coverbild des am Lagerfeuer stehenden Cowboys (sicherlich aus deutschen Landen) mit dem viersaitigen Banjo. Was aber auch für ein Stilbruch!!     

Die Titel von MIT BANJO UND FIDDLE, die als LP und MC (RCA 26.21528 AF) erschien:
The McPeak Brothers - May I Sleep In Your Barn Tonight Mister / Lester Flatt & Mac Wiseman – Homestead On The Farm / Lester Flatt – Cuttin´ The Grass (Instrumental) / Lester Flatt & Mac Wiseman - Special / The Country Fiddlers featuring Wade Ray – Mississippi Sawyer (Instrumental) / Lester Flatt – She Left Because I Drink // Lester Flatt – I´m Gonna Get My Picture Took / The Country Fiddlers featuring Wade Ray – Soldier´s Joy / The Monroe Brothers – Bringin´ In The Georgia Mail / Lester Flatt & Mac Wiseman – Salty Dog Blues /
Don Gibson – Carolina Breakdown (Instrumental) / The McPeak Brothers – Somebody Socked It To Mine  

Die Bilder von oben nach unten: Das Five-String-Banjo, eine Mandoline, das Dobro, Roy Clark spielt die Fiddle, eine Autoharp.