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Country-Flair in Bühl:
Das 2. Internationale Bühler Bluegrass Festival
Von Hauke Strübing

Das Wichtigste gleich zu Beginn: Bühl wird fortgesetzt. Bühl wird auch im nächsten Jahr Treffpunkt der Bluegrass- und Country-Anhänger in Deutschland sein. Das 3. Internationale Bluegrass-Festival steht auf der Agenda: Walter Fuchs konnte die feste Zusage der Stadt Bühl und seines anwesenden Oberbürgermeisters, Hans Striebel, noch während der Abendveranstaltung verkünden, was die Stimmung des Publikums um weitere Nuancen anhob. Um Nuancen, denn ganz oben war sie ohnehin schon - die Stimmung. Bühl und sein 2. Internationales Bluegrass-Festival am 3. April 2004 war für alle Anwesenden ein Riesenerfolg und ein Riesenerlebnis!

Denn was sich die beiden Organisatoren Rüdiger Schmitt und Walter Fuchs auch in ihren kühnsten Träumen nicht auszumalen wagten, traf zu: Das Bürgerhaus Neuer Markt, diese herrliche Veranstaltungsstätte, war bis zum letzten Platz ausverkauft und versammelte ein Publikum, das nicht den weitesten Weg scheute. Aus einem eher regionalen letztjährigen Ereignis hat sich eine nationale Veranstaltung in diesem Jahr entwickelt. Keine Spur mehr von der schon sprichwörtlichen Immobilität der Deutschen - zumindest in Sachen Country und Bluegrass. Sagte man nämlich vor einer und zwei Generationen den deutschen Country-Anhängern noch nach, man müsse ihnen ihre Stars doch bitteschön vor die Haustür setzen, damit sie Neigung empfinden, denen ihre Referenz überhaupt zu erweisen, so können heute tatsächlich auch schon einer breiten Öffentlichkeit weniger bekannte Namen die Country-Anhänger dazu bewegen, Haus und Hof zu verlassen, um während eines Kurzurlaubs Bluegrass Music zu erleben.
 

2. Internationales Bühler Bluegrass Festival am 3.4.2004: Zum Schluss eine Jamboree. Bild: Hauke Strübing
 

Das Geheimnis des Erfolgs von Bühl: Den Veranstaltern ist es im Vorfeld voll und ganz gelungen, diese Möglichkeit des Erlebens zu vermitteln. Bühl ist zum Synonym des Erlebens von Country Music geworden: Ein Ort, wo man sich trifft, wo man sich unterhält und Meinungen austauscht, wo man sich bei Musik einige Stunden seinem Hobby oder gar seiner Leidenschaft hingeben kann. Keine Veranstaltung nach dem Schema: Anreisen, anstellen, von Stand zu Stand jagen, Musikteil 1, Pause, Musikteil 2, Gedränge am Ausgang, Gedränge auf dem Parkplatz, Abreise. Bühl erinnert an Veranstaltungen, wie sie in den USA vielerorts stattfinden und gang und gäbe sind. Und genau das macht Bühl in Deutschland zum besonderen Standort für Country Music im weitesten Sinne.

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Um es gleich vorwegzunehmen: Ich will hier keine akademische Betrachtung zur Frage abgeben, was im reinsten Sinne Bluegrass ist und wer nun im reinsten Sinne Bluegrass dargeboten hat. Diesem Ziel näherte sich die Kathy Kallick Band in Bühl am ehesten. Man sollte mit dieser Diskussion ohnehin aufhören, weil sie die wenigsten der Zuhörer noch interessiert. Die Frage ist doch: Was gefällt, was spricht an, was kommt an, was begeistert, was geht ins Herz, wie ist das Flair einer Veranstaltung.  Das ist es, was ein Publikum an eine Musik fester oder überhaupt binden kann. Ich kann mich nicht isoliert in ein Konzert setzen - wie zum Beispiel in ein Opernhaus - und das auf mich niederprasseln lassen, was mir gerade angeboten wird. Ich brauche Unterstützung, ich brauche Erklärungen, ich brauche Deutungen, ich brauche das Gespräch, um mir eine allgemeine Meinung zu bilden. Und die kann ich nur in einer Veranstaltung in lockerer Atmosphäre bekommen. Die Zweiteilung der Veranstaltung und die Möglichkeit, sie als Ganzes -  nachmittags und abends - mitzuerleben, fördern den Effekt, meine Deutung des Erlebten zu vertiefen. Und genau das bot Bühl.

Und was haben wir nun erlebt in Bühl? Bluegrass Music in ihrer ganzen Breite: Bluegrass in reinster Form vorgetragen von der aus den USA (San Francisco) angereisten Kathy Kallick Band. Sie präsentierte die kunstvolle Seite dieses Genre. Ihre Musik zwingt zum Zuhören, man muß sie begreifen. Der Auftritt der Kathy Kallick Band war der (zweifach) anspruchsvollste Teil dieser Veranstaltung, der allerdings auch viel Verständnis der Zuhörer für diese Musik voraussetzte. Ihr Vortrag deckte in erster Linie wohl auch die Ansprüche der Puristen ab, denen dann schon wieder ihr Ausflug in das "Country Department" (wie Kathy Kallick es umschrieb) nicht unbedingt in den Kram gepaßt haben könnte. Don Gibson´s "Just One Time" war aber genau der Stil, der beim Publikum ankam: Eine bekannte Melodie, die akustisch untermalt wurde eben von den Instrumenten, die nach landläufiger Meinung zur Country Music gehören wie das Amen in der Kirche.

Diesen - ich will sagen - etwas volkstümlicheren Stil deckte die französische Band Turquoise ab, als sie zu Beginn der Abendvorstellung die Begeisterung der Zuhörer entfesselte. Bluegrass war nicht die Grenze des Machbaren für Turqoise: Mit Country (u.a. Merle Haggard´s "The Way I Am"), Western Swing ("Take Me Back To Tulsa") und Bluegrass deckte die Gruppe vieles ab, was die Country Music allgemein zu bieten hat. Und nicht zu vergessen: Naheliegend war auch ihr Cajun-Beitrag: Bluegrass - Fiddle - Louisiana - französische Gruppe - Cajun - ahee!

Die Nachmittagsveranstaltung raste nach den Auftritten der etwas blassen deutschen Band One4Five und der französischen Band Turquoise auf ihren ersten Höhepunkt zu mit der holländischen Gruppe Bluegrass Boogiemen. Da hätte es wahrscheinlich Bill Monroe die Schuhe ausgezogen, wenn er sie noch erlebt hätte, aber Freunde: so ist das nun mal. Wenn ich einem breiten Publikum auf die Bluegrass-Sprünge helfen will, dann muß ich notfalls auch einmal oder zweimal oder dreimal während meines Vortrags auf der Bühne hüpfen. Sie verstanden es durch ihren bewegten Vortrag, ihre frohe Stimmung ins Publikum zu tragen - mit Worten und mit ihrer Musik. Die Bluegrass Boogiemen verstehen es zudem perfekt, die Musik von Willie Nelson, von Hank Williams & Co in die Bluegrass Music zu transferieren. In der Werteskala "publikumswirksam" belegten sie ohnehin Platz 1 an diesem 3. April 2004.

Die BLUEGRASS BOOGIEMEN am 3. April 2004 beim 2. Internationalen Bühler Bluegrass Festival. Bild Markus Jacob-tor-Weihen

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Wer wollte widersprechen, dass es in Bühl auch Momente gab, die zu Herzen gingen und in denen Freude aufkam. Etwa beim Auftritt der Musselwhite Family: Mama Cindy Musselwhite und ihre 4 Kinder Morgan - 13 und Fiddle, Molly - 11 und 5-String-Banjo, Luke - 9 und Mandoline, und John - gerade mal 7 und String-Bass. Meine Güte, dieses Bild, wie der Jüngste die "übergroße" String-Bass-Gitarre, herein- und herausschleppt, war schon mal das halbe Eintrittsgeld wert. Als ich im letzten Jahr im damals noch halbleeren Zuschauersaal saß, während der Nachmittagsvorstellung war das, wunderte ich mich über 4 disziplinierte, geduldige Kinder auf Plätzen eine Reihe vor mir, von denen ich zu dem Zeitpunkt nicht wußte, dass sie einige Stunden später quasi "entdeckt" werden würden. Es waren die Musselwhites aus Georgia, die aus Bad Kissingen samt Instrumenten angereist waren, doch nicht ahnten, dass amerikanische Verhältnisse eben keine deutschen sind - und dann doch ihre Chance bekamen. Meine war futsch, weil ich Bühl dummerweise zu früh den Rücken kehrte und erst später vom Debut der Kids erfuhr. In diesem Jahr hatten die Musselwhites nun ihren festen Platz im Programm: Mutter Cindy und ihre vier musizierenden Kinder - während der Vater im Irak war. Nur wer früh übt, wird was. Und nur wer früh übt, kann Musik wie die Musselwhites machen. Bei uns sind derlei Auftritte eher Mangelerscheinungen und erfreuen deshalb um so mehr. Viele Beobachter hatten mir von anderen Gelegenheiten über die Mimik und Gelassenheit des 7jährigen John über seine "Tätigkeit" am String-Bass berichtet. Allein das ist eine Bilderserie wert.

2. Bluegrass Festival am 3.4.2004 in Bühl: Kleiner Mann am großen Bass, der 7jährige John Musselwhite & Family. Bild: Hauke Strübing

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Country Music nichts für deutsche Ohren? Bluegrass Music gar? Das ist mit Sicherheit alles anders, als es immer wieder gesagt und geschrieben wird in den deutschen Medien, was jeder dann auch meint nachplappern zu müssen. Es ist tatsächlich anders, und wer sich eines Besseren belehren lassen will und kann, der sollte 2005 nach Bühl aufbrechen oder eine andere frühere Gelegenheit beim Schopf packen. Bühl 2004 hat uns gesagt: Ein volles Haus, ein begeistertes Publikum, Bluegrass - und damit Country - ist in! Keine Lagerfeuer-Veranstaltung, sondern ein Top-Ereignis, von dem alle Kenntnis nehmen sollten, die bei uns etwas über den Wertverlust oder über die  angeblich niederen musikalischen Werte der Country Music lamentieren zu müssen (und damit nichts zu sagen haben). Man muß halt wissen, wie man eine Veranstaltung dieses Ausmaßes andenkt, in Angriff nimmt, aufbereitet und verwirklicht. Für die Bühler Veranstalter ist das keinerlei Problem. Und wie es der Urvater aller Country-Macher im deutschsprachigen Raum, Chuck Steiner, vor 40 und mehr Jahren genial verstand, den unkommerziellen AFN für seine Country-Bewegung anfangs unbemerkt einzuspannen, haben die Bühler Veranstalter etwas ähnlich Geniales geschaffen: Sie bieten mit ihrer Nachmittagsveranstaltung das Besondere einer familiären Atmosphäre: man hört Musik, man plaudert miteinander, man trifft alte und neue Freunde wieder oder man trifft sich überhaupt. Entfernungen spielen da gar keine Rolle mehr. Das alles geschieht ganz ungezwungen. Was sich dann abends allerdings ändert. Denn wer am 3. April 2004 um 18.45 Uhr nicht im Saal saß, der mußte sich anstrengen, noch einen Platz zu finden. (Hauke Strübing, am 5. April 2004)

Walter Fuchs und Rüdiger Schmitt am 3. April 2004 während des 2. Internationalen Bluegrass Festivals in Bühl. Bild: Jens Holger Jensen

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Riesenerfolg für das 2. Internationale Bluegrass Festival in Bühl/Baden. Von Friedrich Hog

Bilder vom Auftritt der Musselwhite Family. Von Hauke Strübing und Markus Jacob-tor-Weihen

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Das 2. Internationale Bühler Bluegrass Festival im Spiegel der Presse:

BADISCHES TAGBLATT vom 5.4.2004:

Zweite Auflage des internationalen Bluegrass-Festivals lockt bis zu 600 Fans ins Bürgerhaus/Sechsjähriger John Musselwhite zupft talentiert Kontrabass

Bodenständige Songs ohne großen technischen Firlefanz

Von Michael Müller

Bühl - Was sich schon bei der Premiere abzeichnete, wurde jetzt zur Gewissheit: Das Internationale Bühler Bluegrass-Festival ist zu einem Aushängeschild für Bühl und das Kulturleben der Stadt geworden.
„Herzlich willkommen in der Bluegrass-City Bühl" begrüßte Rüdiger Schmitt, neben Moderator Walter Fuchs die treibende Kraft hinter dem Bluegrass-Festival das Publikum. Er hatte allen Grund zum Strahlen: Schon am Nachmittag kamen mehr als 300 Fans ins Bürgerhaus Neuer Markt, und am Abend wurde es dann richtig voll: Am Ende hatten über 600 Leute ein Ticket gekauft.
Und sie dürften ihr Kommen nicht bereut haben. Was sicher auch an der Konzeption liegt, die Ausdruck der Philosophie ihrer Macher ist. Sie stehen nicht nur für Qualität, sondern auch für das Bemühen, der Country-Musik das Renommee zurückzugeben, das sie verdient, und dem so viel Schaden zugefügt worden ist - nicht nur in Deutschland, auch in den USA selbst.
Der konzertante Rahmen hilft, die Leute für die Tugenden zu sensibilisieren, die Bluegrass seit jeher auszeichnen: Bodenständigkeit und Wärme, der Verzicht auf neumo-dischen Technik-Firlefanz, und empfundene Emotionalität.
Dem Mainstream hat sich Bluegrass nie angebiedert. Seit Bill Monroe ist er im Kern das gebliebcn, was es war: eine fast ausschließlich auf Naturklang-Instrumenten gespielte Stilart der Country-Musik, die auf den Musiktraditionen der anglo-irischen Einwanderer fußt, aber auch dem Jazz verwandt ist.
Obwohl das „Grundgerüst“ relativ fest ist, erlaubt es einen erstaunlichen Abwechslungsreichtum, der sich auch im Programm widerspiegelte. Die Kathy Kallick Band etwa, die Headlincr des Festivals, demonstrierte die Hohe Schule des Country-Gcsangs. Mit Amy Stanberg hatte Kathy Kallick eine absolut ebenbürtige Partnerin an ihrer Seite.

Bluegrass Boogiemen bot rasante Nummern
Die betörenden Vokalharmonien in „Warmer Kind of Blue" oder „Dark Moon" können selbst Steine zum Weinen bringen. Unterfüttert wurde dies durch eine federnde und dennoch zupackende Instrumental-Arbeit. Zudem ist Kathy Kallick eine veritable Autorin.
Mächtig aufs Tempo drückten die Bluegrass Boogiemen aus Holland: Als sie zum Schluss zum alten Train Song „Orange Blossom Special" ausholten, qualmten die Socken und das Auditorium tobte. Neben rasanten Instrumental-Nummern konnten sie jedoch auch mit sattem Harmoniegesang und witzigen Show-Einlagen Punkte sammeln.
Fabelhaft war erneut die Musselwhite Family, die im Vorjahr mit ihrer Spontan-Einlage ganz unverhofft zum Publi-kumsliebling avanciert war. Papa Mark war zwar nur als „Papp-Kamerad" auf der Bühne (derzeit ist er als Helikopter-Pilot im Irak im Einsatz), dafür war Nesthäkchen John mit dabei.
Der gerade mal sechsjährige Steppke spielte den Kontrabass - und das erstaunlich gut. Bluegrass als „Stubenmusik": Das ist kein Relikt der Vergangenheit, sondern nach wie vor Lebenswirklichkeit amerikanischer Familien von heute. Auch das macht diese Musik aus.
Turquoise aus Frankreich überzeugte durch Eleganz und Geschmeidigkeit. Erfreulich auch, dass sie einige Western-Swing-Nummern mitbrachten, die sie mit viel Dampf und Witz spielten.
Einzig One4Five fiel ein wenig ab. Die Musiker spielten zwar einen sehr urwüchsigen Bluegrass, doch der Gesang klang arg brav. Dass sie dann doch einigermaßen ins Rollen kamen, war auch Gastsängerin Sally Greenfield zu verdanken.
Unterm Strich war es ein gelungenes Festival. Das fand auch Oberbürgermeister Hans Striebel: Per Handschlag gab er Walter Fuchs grünes Licht für eine weitere Auflage im nächsten Jahr. Dann vielleicht sogar in etwas größerem Rahmen.