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Bluegrass Music
Eine feine Nachspeise, die man zum ersten Mal genießt

Zur Situation der Country Music – von Hauke Strübing

Es ist geschehen, da ist sie - die Diskussion um die Country Music. Tief am Boden liegt sie, die Country Music, wie gar nicht mehr anders erwartet nach ihrem katastrophalen Imageverlust im Verlauf der letzten Jahre. Nicht daß wir etwa über die deutsche Country Szene sprechen. Nein nein, deren Image hat sich ohnehin in den letzten 30 Jahren nicht geändert. Hierzulande geht es zu wie eh und je: Die einen kloppen verbal auf die Anhänger der deutschen Country Musik ein, die wiederum geben es mit gleichen Mitteln den Anhängern der amerikanischen Country Music zurück.    

Geschehen ist es vielmehr um die Country Music in Amerika. Eine Tatsache, an die jeder wohl zugegebenermaßen als letztes gedacht hätte. Ricky Skaggs drückte es so aus: „Die Schallplattenfirmen in Nashville leugnen immer noch, daß „O Brother! Where Art Thou?“ eine überlebensfähige Musik ist, die jegliche Berechtigung hat.“ Und genau hier liegt die Misere der derzeitigen Country Music: Music Row in Nashville verweigert – angespornt vom US-Country Radio - jegliche Einsicht, daß die Musik, die aus ihren Tonschmieden kommt, nicht mehr den Geschmack derer trifft, für die diese Musik eigentlich gemünzt ist.

„The almighty dollar, and the lust for worldwide fame
slowly killed tradition and for that someone should hang.
And they all say not guilty but the evidence will show
That murder´s been committed down on music row”.

Man produziert nicht ungestraft am Geschmack eines Publikums vorbei, das schon immer als das treueste in der  gesamten Musik bekannt ist.  Wer das nicht beherzigt, muß mit den Konsequenzen leben. Eine Konsequenz und vielleicht die größte ist der derzeit sensationelle Aufstieg der Bluegrass Music in den USA. Die Bluegrass Music ist schon immer ein originärer Zweig der Country Music, vielleicht der am meisten mit Tradition behaftete. Während sich andere Stilrichtungen jeweils den Zeiten anpaßten, mal verschwanden, mal wieder in geläuterter Form auftauchten, blieb die Bluegrass Music das, was sie war: Der Klang von Banjos, Mandolinen, Fiddles, Dobros, String Basses und akustischen Gitarren. Zwar diskutiert man auch in den Reihen der Bluegrass-Interpreten und Anhänger über die Definition des Bluegrass. Puristen halten an der vorgegebenen traditionellen Form des Bluegrass fest. Dolly Parton nennt ihre Musik „blue mountain music“. Ricky Skaggs spricht von“passionate music, music about the mountain people.” Und das sei wirklich das Herz und die Seele der Country Music. Und er muß es schließlich wissen: Er kam aus der Bluegrass Bewegung, machte Karriere als Country Sänger und kehrte zurück zur Bluegrass Music.

Eddie Stubbs, Moderator bei WSM und der Grand Ole Opry und vor Jahren selbst als Fiddler aktiv und Mitglied der Johnson Mountain Boys faßt es so zusammen: “Die Fans schätzen jeglichen Stil der (Bluegrass-) Interpreten. Künstler wie Earl (Scruggs) und Ralph (Stanley) genießen die höchste Anerkennung. Von dieser Haltung  sollte das Country Radio (in den USA) mal etwas lernen. In  der Bluegrass Music finden alle Interpreten einen Platz am Tisch."

Auch in der Erinnerung spielt Bill Monroe in dieser wichtigen Phase der Spielführerschaft der Bluegrass Music in der Country Music eine große Rolle. Er, der mit seinen Blue Grass Boys in den 30er und 40er Jahren des vergangenen Jahrhunderts alle Einzelstücke zum Ganzen zusammenfügte: die Stringband Music, die Gospel Music, die Old-Time Mountain Music. Ricky Skaggs glaubt gar, daß Bill Monroes Tod im Jahr 1996 den schnellen Popularitätsgewinn der Bluegrass Music förderte: „With Bill Monroe´s death, it was like the bluegrass seed falling into the ground and growing. It really has a deep root now and has borne a whole lot of fruit”.

Wie recht er doch hat, der gute Ricky Skaggs! Und noch ein treffendes Zitat stammt aus seinem Mund: "Der „O Brother“-Soundtrack hat viel dazu beigetragen, die Tore für die Bluegrass Music zu öffnen, doch der Aufstieg begann schon einige Jahre früher. Es erfreut zu sehen, daß die Menschen diese Musik hören möchten, die sie in ihren Herzen spüren, anstatt sich damit herumzuärgern, was das Radio so spielt.“

Geradezu sensationell war die Platzierung einer Bluegrass-Album-Hitparade in BILLBOARD in der 3. Juli-Woche 2002, eine bislang nicht vorstellbare Ergänzung, woran selbst die Bluegrass-Gemeinde nicht im Traum gedacht hatte. Aber so ist es nun mal: Wenn der eine sein Hab und Gut dermaßen in den Keller wirtschaftet, wie es Music Row und das US-Country Radio in den letzten Jahren zielstrebig taten, der macht Platz für andere, die jetzt am Tisch Platz nehmen dürfen. Wen wundert´s: 6 Millionen (und mehr) Exemplare des Soundtrack-Albums „O Brother! Where Art Thou?“ sind allein in den USA verkauft, wobei mein erster Eindruck damals auch „Oh, Gott“ war, als ich mir die Musik zu Gemüte führte. Als in den 70er Jahren von den deutschen Plattenfirmen und in den 90er Jahren vom deutschen Rundfunk geprägter Mensch, sagte ich mir: Das kann nicht gut gehen. Wie soll diese Musik bestehen, vor der die deutschen Plattenfirmen und der deutsche Rundfunk stets und ständig das Kreuz machten. Und als ich dann Ralph Stanley mit „O Death“ während der Grammy-Übertragung hörte und sah, verstand ich im ersten Moment die Welt nicht mehr, zog die Schultern ein, um im nächsten Augenblick zur Einsicht zu kommen: Das war es! Die Country Music in ihrer bisherigen, schon fast verkommenen Form hat sich verabschiedet. Es lebe die Country Music! Blamiert hat sie sich, die bisherige Country Music, bis auf die Haut blamiert. Von wenigen Ausnahmen abgesehen hat sie nichts mehr auf die Beine gebracht, und jetzt versucht die Country Music Association mit einem umstrittenen Slogan die bisherige Richtung wieder aufzurichten. Und dann kommt der inzwischen 75jährige Ralph Stanley daher, dieser großartige Mann, von dem inzwischen eine ganze Szene lebt. Ob er sich das wohl je erträumt hat?  Aber man braucht sich eigentlich nur das anzuhören, was mit der good old country music geschehen ist, dann zieht es einen freiwillig zur Bluegrass Music.

Jetzt ist Bluegrass aufgestiegen in die 1. Liga der Country Musicszene. Um mit Eddie Stubbs zu sprechen: “Wenn man erst einmal den guten Geschmack von Bluegrass verspürt hat, schmeckt Bluegrass wie eine feine Nachspeise, die man zum ersten Mal genießt.“

Quellennachweis: Die aufgeführten Zitate stammen aus dem Artikel „O Brother! Bluegrass Is Blooming“ der Zeitschrift BILLBOARD vom 20. Juli 2002, der zitierte Text aus dem Lied „Murder On Music Row“ (Larry Cordle & Larry Shell), CD „Murder On Music Row“ – Larry Cordle & Lonesome Standard Time [Shell Point Records SPCD 1001].