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Walter Fuchs:

Das neue große Buch der Country Music
1,8 kg Country-Wissen für jedermann. Besprechung von Hauke Strübing

Neu und für alle Ewigkeiten geschaffen: Das neue, das große und das diesmal auch schwere Buch der Country Music ist da! Knapp 1,8 kg Country Wissen! " Das neue große Buch der Country Music" von Walter Fuchs erschien dieser Tage im Heel-Verlag. Es ist schlechthin  d a s  Standard-Werk für die Country Music im deutschsprechenden Raum. Ein Buch mit herrlicher Aufmachung auf herrlichem Papier, auf das eben nur herrliche Bilder und ein Schriftgut von dauerhaftem Wert passen. Ein Buch, das - mit Ausnahme der eigenen Vorgänger - alles andere in Vergessenheit geraten läßt, was der deutschsprachige Raum an geschriebenem Wort über dieses Genre bislang bot. Und damit trete ich all jenen nicht zu nahe, die sich über die Jahrzehnte und teils auch schon vor Jahrzehnten in den diversen Zeitschriften über die Country Music ausließen (Hillbilly, Country Corner etc.). Sie umrissen zwar zielgenau das Geschehen jener Tage bis in alle Einzelheiten, sie litten allerdings alle am gleichen Symptom: Sie hatten nicht das nötige technische Material zur Hand, vor allem aber fehlte ihnen die Öffentlichkeit, das Publikum. Diese Grundvoraussetzung für einen Erfolg hat diese Neuerscheinung.

Für die Beteiligten der deutschen Country Szene, für diejenigen, die die Geschichte mitgeschriebnen haben und für alle Interessenten, die sich in die deutsche Country-Geschichte und in die Entwicklungsgeschichte einlesen wollen, ist "Das neue große Buch der Country Music" eine Fundgrube unermeßlichen Werts. Wer dies nicht bereits 1980 mittels des Taschenbuches "Die Geschichte der Country Music" (erschienen bei Bastei Lübbe) konnte, wer das auch 1988 mittels der 88er-Ausgabe  und 8 Jahre später mittels der 90er-Ausgabe des "Buches der Country Music" (beide erschienen im Heel-Verlag) versäumte, der hat nun die Gelegenheit, sich in "Das neue große Buch der Country Music" einzulesen. Einlesen - das ist wohl die richtige Beschreibung, wie diese Neuerscheinung anzugehen ist. Einlesen - um nachzuerleben, um neu zu erleben und um nachzuvollziehen. Walter Fuchs ist der fachkundige Autor aller 4 Bücher und jemand, der in seiner inzwischen über 50jährigen Beziehung zur Country Music, seine gesammelten Erfahrungen wortstark auszudrücken versteht.

Ein Kernstück des Buches sind die nahezu 500 zum Großteil farbigen Abbildungen, die nicht (wenn nötig, dann aber nur zum geringsten Teil) wie in anderen ähnlichen Publikationen zum Thema Country Music aus dem Fotofundus der PR-Abteilungen stammen. Im "Neuen großen Buch der Country Music" sprudelt förmlich das Leben mit Bildern aus vielen Privatschatullen, die erahnen lassen, was wohl sonst noch für ungehobene Schätze im Verborgenen schlummern mögen. Hier haben Walter Fuchs und der Verlag fürwahr eine glückliche Hand gehabt. Bei einzelnen Abbildungen konnte ich mir beim schnellen Durchblättern nicht ein Schmunzeln verkneifen. Bilder, die wir möglicherweise sonst nie mehr zu Gesicht bekommen hätten. Roy Acuff "in Ruhestellung" im Backstage-Bereich der Grand Ole Opry (Seite 157) oder Waylon Jennings mit vertraulichem Griff zum Ohrläppchen seiner Holden (Seite 129). Und was auch zu einer meiner Manien geworden ist: die Herren Stars ohne Kopfbedeckung zu fotografieren (Garth Brooks, Seite 68, gemeinsam mit Porter Wagoner). Überhaupt befinden sich sehr viele neue Bilder in dieser Auisgabe des Buches. Und wie schnell die Zeit vergangen ist, mag man an der Tatsache messen, dass die Karriere von Garth Brooks vor Erscheinen der 2. Auflage des "Buches der Country Music" 1988 gerade eben mal begonnen hatte und sie heute bereits (für die Öffentlichkeit vernehmbar) abgeschlossen ist.

Entgegen den ursprünglichen Planungen hat das Buch erheblich im Umfang zugenommen: Aus 256 Seiten wurden 360 Seiten, aus 300 Abbildungen wurden  schließlich 500, viele halb- und ganzseitig. Dieses "Neue große Buch der Country Music" ist - um es schlicht und frei weg von der Leber zu sagen - sein Geld (49,90 €) wert, weil es einen dauerhaften Wert hat. Und da es derzeit ohnehin nichts Aufregendes mehr aus der Welt der Country Music zu vermelden gibt (außer den Berichten, wer wann in den Hillbilly Heaven eingezogen ist), stelle ich lapidar fest: Walter Fuchs hat auf lange Zeit den unerreichbaren Gipfel erklommen.

Zum Inhalt: Karl Heinz Sieber schrieb das Vorwort zur 2005er Ausgabe, zur Erinnerung sind auch die beiden Vorworte der Vorgänger-Ausgaben wiedergegeben (Charles Steiner und Manfred Vogel). Den Abschnitten "Ursprung und Entwicklung der Country Music" (neu hinzugekommen sind die Themengebiete "Die 80er Jahre/Die Neo-Traditionalisten"/"Die 90er Jahre/Garth Brooks" und "Der Beginn des 21. Jahrhunderts") und "Die drei epochemachenden Stars" (Jimmie Rodgers, Hank Williams, Johnny Cash) folgen die Abhandlungen über "Die großen Stilisten" (Tom T. Hall, Hank Snow, Merle Haggard, Willie Nelson, Doc Watson, Lefty Frizzell). DeFord Bailey ist wiederum ein eigenes Kapitel gewidmet. Im ebenfalls neuen Abschnitt "Das Million Dollar Quartet" befasst sich der Autor mit der Bedeutung von Memphis, SUN-Records und den Protagonisten der Memphis-Szene Mitte der 50er Jahre. Auch die Zentren der Country Music haben Zuwachs erhalten: Außer Nashville, Los Angeles, Bakersfield, Cincinnati und Austin finden Branson (in Missouri) und Bell Buckle (in Tennessee) Eingang in die Chronik, wobei Bell Buckle sicherlich Nashville nie den Rang ablaufen wird. Aber jedem Nashville-Besucher sei inzwischen empfohlen, Bell Buckle eher einen Besuch abzustatten als der Music Row. Die Music Row ist erstarrt, in Bell Buckle findet das reine Leben statt. Stilmäßig hat sich auch in den letzten 16/17 Jahren nichts geändert: Bluegrass, Western Swing und Cajun Music sind die Urquellen der good ole Country Music. Platz ist wiederum der "Grand Ole Opry" eingeräumt und sehr viel Platz der "Country Music in Europa" (erweitert von 15 auf 22 Seiten), ein Thema, auf das die Leser ein großes Augenmerk werfen werden. Seitenzahlmäßig ist das Kapitel mit den Kurzbiographien am stärksten angewachsen (von 118 auf 174 Seiten).Wie akurat der Autor das Buch aufbereitet hat, belegen die aktuellsten Daten in den Lebensläufen (Beispiel Hank Garland, der am 27.12.2004 gestorben ist). Auf den Discographie-Teil hat der Autor diesmal verzichtet, was in Hinblick auf die Präsenz des Internets leicht zu verschmerzen ist.

Ein uns vorrangig interessierendes Thema ist natürlich die Entwicklung der Country Music in Europa - und hier speziell in Deutschland. In der erheblich erweiterten Abhandlung kommen nun sehr viele neue Aspekte zur Geltung, weil sich aus der Distanz der vergangenen Jahrzehnte viele Ansichten verfestigt haben. So zum Beispiel die Rolle des deutschen Rundfunks für die Country Music: "...die Hörfunkprogramme in der Bundesrepublik Deutschland hatten lange Zeit, und inzwischen haben sie es wieder, ein gestörtes Verhältnis zur Country Music." Und weiter: "Doch vergleicht man die augenblickliche Country-Radio-Szene mit jener aus den 70er, 80er und auch noch 90er Jahren, dann registriert man in den vergangenen Jahren einen unglaublichen Niedergang." Bluegrass und Country Music etwas für Fernfahrer, Cowboys und Florida-Touristen? Das ist tatsächlich einer der "dümmsten Irrtümer der Popkultur" hierzulande. "Diesem Irrtum unterliegen die meisten deutschen Hörfunksender....Ein Sender versucht den anderen mit Super-Hits zu übertrumpfen. Die Langeweile macht sich breit, der Stumpfsinn feiert fröhliche Urständ" (Seite 168). Wo er Recht hat, hat er Recht, der Autor und frühere Rundfunkmann Walter Fuchs. Zu einem ähnlichen Urteil kommt der Autor auch über die Rolle der deutschen Country Künstler, für deren Mehrzahl Country Music der deutschsprachige Country-Schlager war und ist. Wo keine thematische Substanz vorhanden ist, kann auch nichts geschrieben werden. Und so fällt auf, dass etwa im Abschnitt "Kurzbiographien", der sich immerhim über die Hälfte des Buches erstreckt, nur noch wenige deutschsprachig singende Künstler aufgeführt sind: Tom Astor, der sich mit seiner phänomenalen CD "Meilensteine" vom Jahr 1995 beim deutschen Country-Publikum (leider) alles andere als ein Denkmal setzte (sie war eben too country für deutsche Geschmäcker), Western Union und Dagmar. Bei den englisch singenden deutschen Künstlern/Künstlerinnen/Gruppen sind es Mandy Strobel, Jill Morris, Flop House String Band, HEP, Country Company, Frank Baum, Country Green, Groundspeed, Sacred Sounds Of Grass, Rüdiger Helbig, Texas Radio, Drifters Caravan, Chambergrass und einige andere.

Walter Fuchs:
Das neue große Buch der Country Music

Heel Verlag GmbH

360 Seiten, etwa 500 teils farbige Abbildungen, 210 x 295 mm, gebunden mit farbigem Schutzumschlag, erschienen Ende Februar 2005, ISBN: 3-89880-364-3, 49,90 €