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Country Picks (14):
Genial und der helle Wahnsinn
The Twang:
Countryfication“/„Let there be Twang
Eine "2 in 1"-Rezension von Tobias Brockly

Zwei wirklich außergewöhnliche Platten haben The Twang schon aufgenommen. 2003 erschien ihr Debütalbum mit dem aussagekräftigen Namen „Countryfication“. Der Nachfolger „Let there be Twang“, übrigens eine Anspielung auf das AC/DC-Album „Let there be rock“, erschien 2004. Wenn man mich fragt, welches Album dieser beiden Twang´schen Meisterwerke ich bevorzuge, dann fällt mir die Antwort wirklich alles andere als leicht. Nach sorgfältiger Überlegung würde ich dann aber doch dem Erstlingswerk den Vorrang geben. Warum? Ganz einfach, weil dieses Album frischer klingt als sein Nachfolger, der vom staubtrockenen Texas-Western-Sound geprägt ist. 

The Twang schrecken wirklich vor gar nichts zurück. Man sollte meinen, es gäbe keinen einzigen Song, kein einziges Genre, das sie nicht „countryfizieren“ könnten. Okay, Country mal ausgenommen.

Von abgedroschenen Disco-Klassikern über abgedroschene Rock-Klassiker bis hin zu auch schon reichlich abgedroschenen aktuellen Songs reicht ihr Repertoire. Die große Kunst, die die Jungs von The Twang beherrschen, ist, diese Songs wieder taufrisch klingen zu lassen, indem sie ihnen praktisch neues (Country-)Leben einhauchen. 

Dies gelingt ihnen bei vielen Titeln einfach nur durch simples Einfügen eines Banjos und einer Steel-Guitar. Bei manchen Songs treiben sie mit dem Hörer allerdings ein ziemlich eigenartiges Verwirrspiel, bei dem man irgendwann nicht mehr so genau weiß, ob da nun Genies am Werk sind, oder einfach nur irgendwelche Scherzkekse. So wird z.B. aus dem flotten Radiohit „Maria“ von Blondie ein wunderschöner, lässiger Countrysong. Hier ist der Fall klar, dass es sich um Genies handelt.  

Wenn man dann aber die Twang-Version von „I just called to say I love you“ begutachtet, dann hört sich das eher nach einem schlechten Scherz an. Meine erste Reaktion auf diesen Song war ungefähr diese: „Ganz ernst zu nehmen sind die aber nicht, oder?“. Und genau das scheint das Erfolgsrezept zu sein. The Twang nehmen sich selbst und die komplette Musikgeschichte nicht allzu ernst. Was die Jungs hier aus diesem nun wirklich gefühlvollen Stevie Wonder-Song gemacht haben, das habe ich ihnen bis heute noch nicht verziehen. Nicht dass dieser Song in zahlreichen Castingshows schon zu Genüge malträtiert worden wäre, nein, jetzt müssen The Twang auch noch einen drauf setzen. Das gibt Abzüge in der B-Note! 

Ähnliche Gedanken schossen mir bei ihrer Version von A-ha´s unverwüstlichem 80´er-Jahre-Klopfer „Take on me“ durch den Kopf. Wobei man hier schon wieder die Genies erkennen kann. Die komplette Melodie wurde im Grunde umgedreht. Da wo also einst hohe Töne saßen, befinden sich jetzt tiefe Töne. Das grenzt schon an Wahnsinn! 

Ein absoluter Geniestreich ist ihnen aber mit „Angels“ gelungen. Einer der größten Hits von Robbie Williams wurde merklich mit Respekt behandelt. Hut ab vor so viel Anstand, meine Herren! Das Grundgerüst des Songs wurde beibehalten, lediglich im Refrain wenden The Twang wieder ihre „Wir vertauschen alle Töne und haben Spaß daran“-Theorie an. Trotzdem geht eigentlich kaum etwas von dem Gefühl des Songs verloren. Mir gefällt´s. 

Relativ einfach gemacht haben sie es sich bei „The boxer“ von Simon & Garfunkel, und bei „Born to be wild“ von Steppenwolf. Diese beiden Songs gehören zu denen, bei denen The Twang nur ein wenig die Instrumentierung geändert haben. Und das ist auch gut so, denn eigentlich sind das ja auch schon Countrysongs. Was soll man daran also noch großartig „countryfizieren“?   

Eine weiterer Fall, bei dem es sich die Jungs leicht gemacht haben, ist „Don´t look back in anger“ von Oasis. The Twang selbst sagen über diesen Song, dass sich dahinter eigentlich ein Johnny Cash-Song verbirgt, der sich aber jahrelang erfolgreich als Brit-Pop-Hit getarnt hat. Und wenn man mal die Augen schließt und ein bisschen die Fantasie anstrengt, dann kann man sich sogar vorstellen, wie Johnny Cash diesen Song gesungen hätte.  

Eines steht jedenfalls fest. Wer aus „I´m on fire“ von Bruce Springsteen einen überdrehten Hillbilly-Kracher macht, der muss ganz gehörig einen an der Waffel haben. Aber gerade wenn The Twang so eine unerwartete Countryfizierung vornehmen, hat man den Eindruck, dass sie genau diesen Effekt beim Hörer erreichen möchten.  

Eine überraschende Wendung nimmt die Metallica-Hymne schlechthin, „Nothing else matters“. Das markante Intro wurde beibehalten. The Twang spielen es sogar so glaubhaft, dass man nicht damit rechnet, dass sie sich aus dem Song doch noch einen Spaß machen wollen. Aber sie wären ja nicht The Twang, wenn sie diese Gelegenheit auslassen würden. Nach einer vollen Minute des ernsthaften Musizierens lassen sie´s dann wieder in gewohnter Manier krachen. Ich find´s witzig. Eingefleischte Metallica-Fans dürften das aber wohl nicht ganz so locker sehen. 

Ein ähnliches Problem werden wohl AC/DC-Fans haben, wenn sie das „countryfizierte“ „You shook me all night long“ zu hören bekommen. Einen Vorteil hat diese „vertwangte“ Version allerdings. Endlich versteht man mal den Text des Songs. Bei den Schrei-Eskapaden von AC/DC-Frontmann Brian Johnson war dies ziemlich unmöglich.  

Der meines Erachtens mit Abstand grandioseste Song, den The Twang bisher „countryfiziert“ haben, ist „White wedding“ von der Punk-Oberlippe Billy Idol. In der Twang-Fassung bekommt man sogar den Eindruck, diesen Song schon mal in einem Western gehört zu haben. Man hat sie förmlich vor Augen, die Cowboys, die Pferde, die Saloons, kurz: das gesamte Westernflair.   

Fazit: Darf man dieser Band eigentlich weniger als die volle Punktzahl geben? Eigentlich nicht, denn wer sich so geschickt zwischen Genie und Wahnsinn bewegt wie The Twang, dem kann höchstens nur noch der ein oder andere humorlose Hardrock-Fan in die Quere kommen, der die Songs seiner Lieblingsband lieber mit harten Gitarrenriffs anstatt mit Banjoeinlagen hören möchte. Allerdings haben sie es sich mit mir auch ein wenig verscherzt. Ich darf kurz an „I just called to say I love you“ erinnern. Wie ich oben schon angekündigt hatte, gibt das Abzüge in der B-Note. Trotzdem kann ich mich irgendwie beherrschen und mein Urteil fällt sehr, sehr milde aus. 4,99 von 5 Sternen für The Twang!


The Twang - Countrification (Indigo) 7. April 2003
Welcome To Countryfication - Clint Eastwood - Sympathy For The Devil - Oops, I Did It Again - I Shot The Sheriff - Born To Be Alive - Don't Look Back In Anger - I'm On Fire - White Wedding - Maria - Staying Alive - You Shook Me All Night Long - Blitzkrieg Bop - Creep - Gimme All Your Lovin' - YMCA

The Twang - Let There Be Twang  (Indigo) 4. Oktober 2004
Spice Up Your Life - Basket Case - The Boxer - Take A Chance On Me - Born To Be Wild - Black Hole Sun - I Just Called To Say I Love You - Song 2 - Nothing Else Matters - Every Breath You Take - Take On Me - Ace Of Spades - Seven Nation Army - Angels - Rebel Yell

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