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Country Picks (14):
Chely Wright – The Metropolitan Hotel

Von Tobias Brockly

Das „Metropolitan Hotel“. Bisher habe ich dort noch nicht genächtigt. Da aber momentan sämtliche Hotels ausgebucht sind, und dieses „Metropolitan Hotel“ als einziges noch das Schild „Zimmer frei“ im Fenster hängen hat, bleibt mir wohl keine andere Wahl. Ich wage also den ersten Schritt in dieses Hotel. Ich öffne die Tür und sehe violette Wände. Mmmhhh… Violett ist nun wirklich alles andere als meine Lieblingsfarbe. Die Frau an der Rezeption macht aber einen ganz netten Eindruck. Ich werfe einen Blick auf ihr Namensschild, und lese „Chely Wright“. 

Sie schnappt sich ihre Gitarre und beginnt zu singen. „Different day, different town“, damit begrüßt sie mich. Na, das scheint mir hier ja ein seltsamer Laden zu sein. Ich höre trotzdem weiter aufmerksam zu. Sie scheint mir da eine Menge zu erzählen zu haben. Sie erklärt mir, dass es für sie vor allem der Song ist, der sie immer wieder an zu Hause erinnert. Das heißt also, dass sie öfters unterwegs ist. Und ich dachte schon, sie wäre hier fest angestellt im „Metropolitan Hotel“. Na gut, dann habe ich mich da wohl geirrt. Sie ist vermutlich nur eine Urlaubsvertretung. Aber ihre Geschichte fasziniert mich trotzdem. „Dolly and Loretta, maybe some Patsy Cline, I´m so lonesome I could cry…“, das sind die Worte mit denen sie meine volle Aufmerksamkeit bekommt. Immerhin weiß ich jetzt auch, was denn so ihre musikalischen Vorlieben sind. Ich kann es gar nicht fassen. Mit einem Blick auf die Uhr muss ich zu meinem Entsetzen feststellen, dass ich seit sage und schreibe 3 Minuten und 56 Sekunden in der Empfangshalle dieses Hotels verweile, und dieser netten Frau mit der Gitarre zuhöre. Selten ist die Zeit schneller vergangen als während diesem Liedvortrag, der den passenden Namen „It´s the song“ trägt. 

Noch bevor ich mich bei ihr nach dem freien Zimmer erkundigen kann, trällert sie auch schon weiter. Diesmal erzählt sie mir, was sie alles so im hinteren Teil der unteren Schublade aufbewahrt. Auf English klingt das natürlich viel geschmeidiger. „Back of the bottom drawer“, so der Titel des zweiten Songs, den sie scheinbar aus dem Stehgreif zum Besten gibt. Eine wunderschöne Ballade mit einem kraftvollen Refrain. Jetzt möchte ich aber doch so langsam mal wissen, wie es denn um das freie Zimmer steht. 

Und da kommt für mich auch schon die erfreuliche Nachricht: „I got him ready for you“. In meiner Fantasie ersetze ich das Wort „him“ durch „it“, und weiß dadurch, dass sie mein Zimmer für mich fertig hat. Ich freue mich darüber und bin erleichtert, endlich eine Absteige gefunden zu haben. Und genau diese Freude und Erleichterung vermittelt auch der Song. Ein potenzieller Hit für die Frau an der Rezeption? Wenn ihre Plattenfirma mitspielt, stehen die Chancen jedenfalls gut. 

Relaxt und nachdenklich präsentiert sich Chely Wright in epischer Länge in „The river“. Ein sehr persönlicher Text zum Genau-Hinhören. Wobei eigentlich alle ihre Songs den Eindruck machen, als wären sie sehr persönlich. Vermutlich ist das genau der Grund, warum sie sich von der Masse abhebt. Mittlerweile habe ich mein Zimmer bezogen und fühle mich wohl im „Metropolitan Hotel“. 

Das Intro von „Just the way we do it“ überrascht mit einem knackigen Banjo, das ich zuletzt in irgendeinem Keith Urban-Song wahrgenommen habe. Wenn man sich mal so umsieht, wie viele Künstler in der letzten Zeit von diesem Banjo Gebrauch machen, dann wird einem klar, dass Keith Urban da einen Trend ausgelöst hat. Die Renaissance des Banjos ist jetzt also auch zu Chely Wright vorgedrungen. Das wertet diesen Song auf, denn an sich ist der nichts Besonderes. 

Der Song „The bumper of my S.U.V.“ hat schon im Voraus für ordentlich Furore gesorgt. Schließlich besingt sie hier doch ihre kleine Sympathie für die „US Marines“. Unnötigen Patriotismus kann man ihr aber dennoch nicht vorwerfen. Sie befasst sich eher mit den Missverständnissen, die durch einen Stoßstangenaufkleber mit der Aufschrift „US Marines“ entstehen können. Bissig rechnet Chely hier mit den Leuten ab, deren Leben aus Vorurteilen besteht. Bissig, aber mit Stil. Daumen hoch! 

In „Your shirt“ geht es – wie sollte es auch anders sein – um ein Shirt. Ein Shirt, das sie immer in ihrer Nähe haben möchte. Ja ja, so ein Shirt, das sollte jeder haben. 

Näheres über die Beziehung „Between a mother and a child“ erzählt sie in einer wunderschönen Ballade. Überhaupt sind es auf diesem Album vor allem die Balladen, die mit Tiefgang überzeugen. Auch in diesem Song macht es den Eindruck, als hätte Chely ihre eigene Geschichte verarbeitet.  

Southside of lonesome“ - Das wird ein Hit! Selten hat mich eine Ballade bereits beim ersten Hören dermaßen gepackt. Hit! Hit! Hit! Wobei dieser Song vielleicht schon etwas zu sehr nach einer Singleauskopplung schreit. Das könnte auch daneben gehen. Ich fühle mich aber dennoch wohl, und möchte am liebsten gar nicht mehr ausziehen aus diesem „Metropolitan Hotel“.  

Mindestens genauso emotional, aber nicht so sehr hitverdächtig, ist die Ballade „Wheels“. Wow! Da fegt eine Wahnsinnsstimme durch den Raum! Chely zeigt ihre volle Bandbreite und überzeugt bis zum letzten Ton.  

Mit dem Chuck Berry-Klassiker „C´est la vie (you never can tell)“ werden meine Lautsprecherboxen endlich mal wieder von überflüssigem Staub befreit. Ich stehe inmitten einer Staubwolke, wenn Chely so richtig loslegt. Grandios!  

Zum Schluss gibt es wieder bedächtigere Töne. „What if I can´t say no again“ ist eine Ballade, wie es sie auf diesem Album öfters gibt. Sie fährt sozusagen eine Balladen-Schiene, schafft es aber dennoch immer wieder die Weichen so umzustellen, dass die Songs nicht immer in die gleiche Richtung fahren. Leider bedeutet dieser letzte Song für mich auch den Auszug aus dem „Metropolitan Hotel“. Schade eigentlich, denn ich wäre gerne noch etwas länger geblieben. 

Fazit: Chely Wright präsentiert sich so persönlich wie nie zuvor, und vor allem, so anspruchsvoll wie nie zuvor! Dieses Album wird von mir schon jetzt vorgeschlagen als eines der Highlights 2005. In der Überzahl beweist sich Chely Wright durch das Intonieren von Balladen, die niemanden, aber auch wirklich niemanden, kalt lassen. Eines steht für mich fest: Dieses „Metropolitan Hotel“ werde ich überall weiterempfehlen, und spätestens im nächsten Jahr werde ich dort wieder ein paar Nächte verbringen.

Ein Hotel, das nichts anderes verdient als 5 Sterne!

Chely Wright  - The Metropolitan Hotel  (DUALTONE 1200/veröffentlicht am 22. 2. 2005)
It's The Song -  Back Of The Bottom Drawer -  I Got Him Ready For You - The River - Just The Way We Do It - The Bumper Of  My S.U.V. - Your Shirt - Between A Mother And A Child -  Southside Of  Lonesome - Wheels - C'est La Vie (You Never Can Tell) - What If I Can't Say No Again