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Wunderschöne Melodienbögen:
Bill Anderson - The Way I Feel
Von Hauke Strübing

 "The Way I Feel" ist Bill Andersons erstes neues Album seit dem Jahr 2001 mit 10 Anderson-Originals - darunter auch das Lied "Whiskey Lullaby", das er gemeinsam mit Jon Randall (einem ehemaligen Mitglied der Nash Ramblers/Band von Emmylou Harris) schrieb und das für Brad Paisley (im Duett mit Alison Krauss) seit Mitte 2004 ein Single-Erfolg war. Die neun anderen Lieder schrieb Bill Anderson gemeinsam mit verschiedenen Nashville Songwriters, was darauf hindeutet, dass die CD recht zeitgemäß, dem heutigen Nashville Sound angepasst, klingt. Und das tut sie dann auch. Nur bleibt festzustellen, dass wir es bei Bill Anderson mit jemandem zu tun haben, der noch der restlichen Garde starker, einflussreicher Künstler (vor allem auch Songwritern) der Spätfünfziger und Sechziger angehört. Und das heißt dann wiederum, dass der neue Einfluss dann doch irgendwo im Hintergrund stecken geblieben ist und allenfalls eine frisch klingende Mixtur aus neuzeitlichen und älteren Auffassungen von Country Music entstanden ist. Anders ausgedrückt: So stelle ich mir Country Music heute gern vor, wenn Country Music heute noch Country Music wäre. Was sie eben weitläufig nicht mehr ist und nur noch in Leuten wie Brad Paisley, Alan Jackson, George Strait und Dwight Yoakam personifiziert wird - um vier Beispiele zu nennen. Und da Bill Anderson einer ganz anderen Generation angehört als die Vorgenannten, zählt er zu den Country-Exoten, für die das spricht, was die Country Music heute noch hörenswert macht.

"The Way I Feel" ist originell arangiert und instrumentiert. Alles ist vertreten: eine Mandoline, die Steel Guitar und die gute alte Fiddle (und nicht die zwangsweise, querschlagende, kreischende Fiddle, die in der modernen Country Music anscheinend nur den Beleg für den Begriff  "Country" zu liefern hat). Bill Anderson ist ein Meister-Songwriter, was ja wohl auch seine bleibende Größe bestimmt. Wobei sein leiser Gesangsstil ("Whispering" Bill Anderson) sich immer von allen anderen abhob. Seine Lieder, die er nun seit nahezu 50 Jahren für andere Sänger und Sängerinnen bleibend schrieb sind Legende - und seine eigenen auch: "The Tip Of My Fingers", "Po´ Folks", Get A Little Dirt On Your Hands", "City Lights", "Once A Day", "Still", "Mama Sang A Song".........und zuletzt auch "Too Country". In dieser Tradition hören sich auch die neuen Schöpfungen auf "The Way I Feel" an: melodiös, vor allem aber nicht erzwungen melodiös, thematisch abwechslungsreich, mal nachdenklich, mal nur einfach flott, mal unterhaltsam, mal beruhigend. "Whiskey Lullaby" (lese ich an anderer Stelle) ist ein Monster-Hit, überall wo er auftaucht: hier im Duett mit Kenzie Wetz. Mit Rustie Blue singt Anderson, Jahrgang 1937, das gemeinsam mit Melba Montgomery geschriebene "Chip Chip". Und wie gesagt, der Altmeister singt mit unverkennbarer, (fast) unveränderter Stimme, die in ihrer Eigenart nichts verloren hat - seit nunmehr 47 Jahren.
 
Bill Anderson - The Way I Feel  (Varese Records) - veröffentlicht am 14. Juni 2005
It’s Been A Good Week - That’s Just The Way I Feel - Let It Go - What Drove Her Away - Him And Me - Chip Chip (featuring Rustie Blue) - Whiskey Lullaby (featuring Kenzie) - Gettin’ Ready For You - Cold All The Time - God’s Country

Es ist natürlich klar: Wenn sich zwei Leute aus verschiedenen Generationsetagen an eine CD eines Mannes wie Bill Anderson heranmachen, dann können da schon recht unterschiedliche Meinungen vertreten werden. Der alte Mann (Hauke) und der junge Mann (Tobias) hatten sich vorher verabredet, die neue CD von Bill Anderson jeweils aus der eigenen (Generations-) Sicht zu besprechen: Der eine kennt ihn und seine Musik mittlerweile seit 45 Jahren, der andere aus wirklich jüngster Zeit (und mehr aus Brad Paisley-Sicht), um nicht zu sagen seit  Wochen bzw. Monaten erst richtig. Hier kommt nun der Jüngere zu Wort:


Er geizt nicht mit Lebensweisheiten:
Bill Anderson – The way I feel
Von Tobias Brockly

Bill Anderson ist eine Legende. Seit einem knappen halben Jahrhundert ist er nun schon dabei und gehört somit zur obersten Elite der Countrystars. In den letzten Jahren hat er sich eher als Songwriter einen Namen gemacht - mehr als ein großartiger Interpret seiner Songs. Das beste Beispiel dafür ist wohl der Song „Whiskey lullaby“, der in der Version von Brad Paisley & Alison Krauss inzwischen sämtliche möglichen Auszeichnungen abgeräumt hat. Auf seinem neuen Album präsentiert Bill Anderson nun seine ganz eigene Interpretation dieses Superhits. Ganz eigen, ja genau so kann man es beschreiben. Das Album beginnt mit „It´s been a good week“, einem potenziellen Hit. Es ist ein Song, dessen Melodie und Arrangement sich sofort beim Hörer einschmeichelt. Das Problem bzw. die große Hemmschwelle ist hier allerdings Bill Andersons Stimme. Die ganz alleine könnte es zu verantworten haben, dass dieser Song die Charts glatt verfehlt. Dafür sind die Hitlisten inzwischen einfach zu glatt. 

Sagte ich zu glatt? Moment! Zu glatt können die gar nicht sein, denn sonst hätte es ein Song wie „Whiskey lullaby“ wohl niemals so weit nach oben geschafft. Wenn man sich Bill Andersons eigene Interpretation des Songs anhört, dann wird einem klar, dass dieser große Erfolg wohl an den Stimmen von Krauss und Paisley gelegen haben muss. Denn gesungen von Bill Anderson selbst wirkt dieser Song nicht halb so intensiv und dramatisch. Ein Großteil der Songs ist aber durchaus akzeptabel. Bill Anderson hat´s halt nicht so mit den härteren Tönen, was aber gar nicht weiter stört. Es sind kleine Weisheiten wie „You don´t have to be politically correct each time you speak” und „You can´t get her back with what drove her away“, die dieses Album hörenswert machen. 

Das Coverfoto mag für den Bill Anderson-Neuling auf den ersten Blick vielleicht etwas abschreckend wirken. Aber keine Sorge, so lächelt der Mann schon seit 50 Jahren von fast jedem seiner Plattencover. Mit Altersdebilität hat das also anscheinend nichts zu tun. Fazit: Für Fans der traditionellen Countrymusic ist dieses Album ein netter Zeitvertreib. Für alle anderen fällt diese Veröffentlichung wohl komplett unter den Tisch. Schade eigentlich, denn so ein Superstar wie Bill Anderson hätte doch etwas mehr Beachtung verdient. Das Album erreicht bei mir trotzdem nur 3 von 5 Sternen. An einigen Stellen fehlt halt einfach das gewisse Etwas. Dafür geizt der Künstler aber nicht mit Lebensweisheiten. Und weil´s so schön war, gibt es zum Schluss noch eine Weisheit: „It´s been a good week, and it´s only monday, [...] it´s the first day out of seven [...]”. Wieder was dazugelernt...   

Anmerkung des Alten: Das hat er doch gut hingebracht, der junge Tobias! Ganz ehrlich.