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Ein ungewöhnliches Erlebnis - nachbetrachtet:
Marty Stuart: Live At The Ryman
Von Hauke Strübing

So war das damals im Jahr 2003: Am 23. Juli Flug Frankfurt-Atlanta. Übernachtung in Atlanta. Am nächsten Morgen Fahrt auf der I-75 und I-24 Richtung Nashville. Der Zeitplan war festgelegt und eng: Einchecken im Studio Plus und gleich direkt zur Opry Mills und zum Opry-Schalter. Am 23. Dezember 2002 hatte ich Tickets geordert für das letzte Konzert der "10th Anniversary Bluegrass Nights" am 24. Juli 2003. Im Stillen hatte ich gehofft, Ralph Stanley zu erleben - aber immerhin: Marty Stuart stand auf dem Programm. Die Tickets lagen bereit und ab ging´s zum Lunch im "Old Country Buffet" schräg gegenüber der Rivergate Mall am Gallatin Pike. Und danach blieb dann nur noch knappe Zeit der Vorbereitung für das Ereignis des Tages. Was konnte es noch Erhebenderes geben als ein Konzert, eine Show im Ryman Auditorium, dem früheren Sitz der Grand Ole Opry in Downtown Nashville. Eine ganz besondere Sache ohnehin, weil es mein erstes erlebtes Konzert im Ryman überhaupt war. Natürlich war das Ryman kein unbekannter Ort, den ich in langen Jahren - obwohl es nichts Besonderes mehr zu sehen gab - immer wieder anstrebte. Aber so ist das mal: Einmal country-verrückt - immer country-verrückt. Einmal auch ein Besuch im Ryman ganz bewußt am 5. April 2002 - dem 50. Jahrestag, an dem Hank Williams und Little Jimmy Dickens ihre "Old Country Church" sangen. Wir setzten uns damals auf den Balkon des Rymans und ließen das Lied vom CD-Player abspielen. Und nun ein gutes Jahr später unser erstes Konzert im Ryman. Eddie Stubbs hielt sich im Eingangsbereich auf. Wir wechselten einige Worte und Weisheiten aus. Dann noch ein kurzer Blick auf die Memorabilien und jedes Mal wieder die Zurkenntnisnahme, dass auch Enrico Caruso schon im Ryman sang.

Eddie Stubbs eröffnete die Show mit einigen Worten, Mr. WSM-Radio himself, der dann auch im Verlauf des Konzerts gelegentlich die Fiddle spielte: Sein Background ist die Bluegrass Music. Und dann ging´s los. Da stand er dann auf der Bühne des Ryman: Marty Stuart, der Mister Allgegenwärtig in Nashville. Wo man auch hinsah, hintrat - Marty Stuart war überall: Im Opryland Hotel, bei sonstigen Veranstaltungen der Nashvillianer, im Ernest Tubb Record Shop. Immer dabei. Und in der Grand Ole Opry natürlich auch. Man kam nicht an ihm vorbei. Deswegen war ich anfangs auch gar nicht so hell begeistert, als ich erfuhr, was uns der Abend des 24. Juli 2003 bringen sollte. Um mal ganz ehrlich zu sein. Aber diese Eindrücke schwanden schnell dahin, als er mit seinen "Fabulous Superlatives" Kenny Vaughn (guitar), Brian Glenn (upright bass) und Harry Stinson (drums) sowie den Gast-Musikern Charlie Cushman (banjo) und Stuart Duncan (fiddle) loslegte. "Das ist meine Interpretation von Bluegrass" kündigte der Meister an und verquickte Swing und Blues und Mainstream und rockigen Einlagen mit der Bluegrass Tradition. Es beginnt mit dem übermütigen "Orange Blossom Special" mit einem glänzend aufgelegten Stuart Duncan. In "No Hard Time Blues" reisst Marty Stuart das Publikum durch sein Mandolinenspiel hin: Hier an gleicher Stelle hatte er als 13Jähriger in der Band von Lester Flatt sein Opry-Debüt - auch damals spielte er die Mandoline. Wie soll ich sagen: Geboten wurde Bluegrass in allen Schattierungen. Und zu hören war etwas vom Mississippi Delta-Blues, von der Carter Family, den Monroe Brothers, den Stanley Brothers, von der Mountain Music bis zum Rock´n´Roll.

Dass dieses Konzert etwas Besonderes sei, den Verdacht hatte ich im Laufe der Vorstellung dann schon, als nämlich einer der ganz großen Interpreten der Country-Geschichte angekündigt wurde: Der Dobro-Spieler Josh Graves. Der Verdacht, dass das Konzert am 24. Juli 2003 das ganz Besondere ist und war, bestätigte sich in den letzten Tagen: Es war wohl in der Form der Darbietung von langer Hand vorbereitet und für eine Veröffentlichung eingeplant. Was nun auch geschah.

Nachbetrachtet ein ungewöhnliches Ereignis.

Marty Stuart & His Fabulous Superlatives: Live At The Ryman  (Universal South Records B000496102)

1. Eddie Stubbs Intro 
2. Orange Blossom Special  
3. No Hard Times Blues 
4. Homesick 
5. Shuckin’ The Corn 
6. The Whiskey Ain’t Workin’ Anymore 
7. Mr. John Henry Intro 
8. Mr. John Henry, The Steel Drivin’ Man 
9. Uncle John’s Intro 
10. Train 45 
11. Josh’s Joke 
12. The Great Speckled Bird 
13. Sure Wanna Keep My Wine 
14. Walk Like That 
15. Hillbilly Rock
(CD veröffentlicht am 7. Februar 2006)



Stuart Duncan (verdeckt), Eddie Subbs, Kenny Vaughn, Charlie Cushman, Marty Stuart (v.l.n.r./Bild: Hauke Strübing)

Stuart Duncan (verdeckt), Kenny Vaughn, Josh Graves, Marty Stuart,
Harry Stinson (v.l.n.r./Bild: Hauke Strübing)