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Country Picks (4):
Neue Country CDs - diesmal ausführlich vorgestellt
Von Hauke Strübing

Bill Monroe -  In Germany (1975 & 1989): Far Across The Blue Water  (Bear Family Records BCD 16624 EK)

Am frühen Samstagmorgen machte im und vor dem "Lindenhof" in Neusüdende der Satz die Runde, Richard Weize, der Boss von Bear Family Records himself, käme gleich - mit einer Box im Gepäck. Es war der 29. Mai 2004, Pfingstsamstag, und wir waren in Vorstimmung und Erwartung des 39. Pfingstfestivals. Die Neugier trieb uns an den Ort des Geschehens auf den benachbarten Parkplatz. Billy Yates war gerade aufgetaucht. Er unterhielt sich mit Mandy Stroebel. Schnell einige Fotos. Wo aber war Richard Weize? Die Box war nicht irgendeine gewöhnliche CD-Box von Bear Family. Diese Box mit 4 CDs und einer DVD enthält einige historische Momente deutscher Country-Kultur - u. a. die beiden Konzerte, die Bill Monroe mit seinen Blue Grass Boys an gleichem Ort und an gleicher Stelle vor 29 Jahren hier im "Lindenhof" gegeben hatte. Die Aufregung war natürlich groß. Mir schoss gleich durch den Kopf, dass Bill Monroe in einem der beiden Konzerte zusammen mit den Emsland Hillbillies auftrat. Ein Ereignis, über das Eberhard Finke in COUNTRY CORNER vom Juli 1975 befand und dessen Worte ich damals noch in die Schreibmaschine eintippte: "Was aber mag Bill Monroe von diesem Unternehmen gehalten haben, das ihn immerhin seine höchsten musikalischen Prinzipien verraten ließ???". Mir ging dieser geradezu sensationelle Vorgang ohnehin die letzten 30 Jahre nie so richtig aus dem Kopf. Und nun sollte er dokumentiert sein? Er war es!

Ich nehme es vorweg: Die 4 CDs und 1 DVD präsentieren sich in absolut hervorragender Qualität. CD 1, 2 und 3 enthalten die Aufzeichnungen der beiden Konzerte am 17. Mai 1975, also auch die gemeinsamen Auftritte von Bill Monroe mit Bill Clifton und von Bill Monroe mit den Emsland Hillbillies. Auf CD 4 befindet sich die (teilweise) Wiedergabe des Konzerts von Bill Monroe vom 30. Juli 1989 in Streekermoor nahe Oldenburg (Live at Streekermoor, Germany). Ursprünglich sollte auch dieses Konzert anläßlich des 2. Besuchs von Bill Monroe im "Lindenhof" zu Neusüdende stattfindet. Wegen einer Hochzeit im "Lindenhof", so erzählte mir Reinhard Pietsch, mußte das Konzert jedoch an einen anderen Ort verlegt werden.

Ein weiteres Highlight dieser außergewöhnlichen Veröffentlichung, die wohl wegen ihrer Einmaligkeit weltweites Interesse finden wird, ist das Begleibuch mit einer Fülle von Dokumenten: Bilder von den Ereignissen in Neusüdende und Streekermoor, Bilder von Fans und den Personen, die für die Veranstaltungen verantwortlich waren. Die Wiedergabe des Programm-Titelblattes von Neusüdende, das damals (ursprünglich als Anzeige für COUNTRY CORNER) von Peter Kandler gestaltet wurde. Dann der minutiöse Programmablauf. Weiter auch die Reproduktion des offiziellen "Tour Programms" von Bill Monroe - und, und, und. Reinhard Pietsch - damals gemeinsam mit Ekkehard Schumann Veranstalter des Festivals in Neusüdende - schrieb einen detaillierten Bericht über das Festival und die Monroe-Tournee in Deutschland. Rolf Sieker (damals Mitglied des gefeierten BLUEGRASS EXPRESS, heute lebt und wirkt er in Austin, Texas) erinnert sich in seinem Beitrag "Mit Bill Monroe auf Deutschland-Tournee 1975". Klaus Grotelüschen (heute Veranstalter des Neusüdende Pfingstfestivals) beschreibt den Auftritt von Bill Monroe am 30. Juli 1989 im Gasthaus "Zur neuen Heimat"  in Streekermoor.

Liz Meyer erinnert sich in ihrem Beitrag u.a. über Bill Monroes Auftritt am 30. Juli 1989: "Immer wenn ich diese Bänder höre, bekomme ich eine Gänsehaut. Da hat man ein Leben lang grandiose Bluegrass-Musik gehört, selbst mit ausgezeichneten Musikern zusammengespielt und denkt: Ist nicht mehr zu toppen! Aber bei diesem Konzert erfaßt mich der Zauber von Big Mon jedesmal aufs neue. Man könnte befürchten, Monroe würde hier schon erschöpft klingen, weil er diese Songs seit Jahrzehnten im Repertoire hat - nichts da! Es scheint, als könne er diese Musik für alle Zeiten so energievoll spielen. Wie er ehrfürchtig und mit leiser Stimme über seine Musik spricht, das ist nach wie vor ergreifend."

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COUNTRY CORNER - ich habe die Zeitschrift schon mehrmals erwähnt. In seinen "Musiknotizen vom Lindenhof" schrieb Eberhard Finke in der Juli -1975 - Ausgabe eine Kritik zum 11. Country & Bluegrass Meeting am 17. und 18. Mai 1975. An anderer Stelle der gleichen Ausgabe ist ein Interview mit Bill Monroe nachzulesen, das Manfred Vogel im Mai 1975 in Utrecht für COUNTRY CORNER führte. Und schließlich hierzu noch eine "Nachlese zur Bill Monroe-Tournee" -ebenfalls aus dem Juli-1975-Heft von COUNTRY CORNER. Zeitdokumente zu einem Ereignis, das nun für jedermann wieder zugänglich ist. Diese Zeitdokumente lesen Sie nun als nächstes.

Neusüdende
MUSIKNOTIZEN VOM LINDENHOF

Das Festival 1975 hat in jeder Beziehung seine Vorgänger übertroffen: so viele und so gute Musiker und Gruppen sind in Neusüdende noch nie auf­getreten. Die Ausdehnung auf zwei Tage ist ein Novum, und eine Ansammlung von knapp 400 Besuchern wurde noch nie begrüßt.

Zum wiederholten Mal dabei waren die pfiffigen E(ms) L(and) Hillbillies in gewohnter Lautstärke und veränderter Besetzung, die virtuosen Grasshoppers aus Dänemark und Deutschlands Bluegrass Express. Wie sich diese vier Jungen entwickelt haben, ist aller Bewunderung wert - vor allem ihre Fiddle-Tunes brachten das Publikum zur „Raserei“. Bill Clifton schlug mit seiner Routine, seinem musikalischen und mimischen Talent die Zuhörer sofort in seinen Bann.

Als erste 'Newcomer' eröffneten die Country Cavaliers um 14.30 Uhr das Programm mit Western Swing. Die erste Begeisterung im Saal erregte der „Orange Blossom Special“ von Fast Freight: Das sind zwei junge Burschen aus Köln, die alte und neue Country- und Folksongs spielen und es in einem Jahr sowohl im individuellen Können als auch im partnerschaftlichen Verhältnis beachtlich weit gebracht haben. Der Auftritt der schon zu Plattenehren gekommenen Country Vival LTD litt unter schwacher Verstärkerleistung; die fünf Hamburger spielten sozusagen „Oldest Timey Music“ von ganz unglaublicher Authentizität. Horst Hertschel, Sologitarrist und Chet Atkins Fan, kam unmittelbar nach Monroe beim strapazierten Publikum mit seiner Kunst leider nicht mehr recht an.

Den Höhepunkt von Neusüdende bildeten natürlich Bill Monroe £ His Blue Grass Boys. Er kam um 18 Uhr und spielte eine Dreiviertelstunde zur allgemeinen Begeisterung, auch am Schluß seiner dreiwöchigen Europatournee voll Schwung und Energie. Ein weiterer Auftritt dauerte später eine Stunde; bei einigen Songs war Bill Clifton dabei, und der endlose Beifall erzwang einige Zugaben. Und nun zur „Sensation vor Mitternacht“: die E. L. Hill­billies überlisteten Monroe zu einer Jam Session! Mit ihm kamen Kenny Ba­ker und Gitarrist Ralph Lewis, und sie spielten zusammen „Roll In My Sweet Baby´s Arms“ und „Truck Driving Man“ und ohne Baker ein langes Medley. Die Country Rocker hielten sich dabei gebührend im Hintergrund und paßten sich mit ihrem Akkordeon dem Stil an. Was aber mag Bill Monroe von diesem Unternehmen gehalten haben, das ihn immerhin seine höchsten musikalischen Prinzipien verraten ließ???

Der Sonntagnachmittag brachte vor einer kleineren Hörerschaft noch einmal die verbliebenen Gruppen auf die Bühne, wobei der BLUEGRASS EXPRESS stolz mit Bill Clifton zusammen spielte. Als überraschende Gäste traten Bob Foyle auf, ein folkloristischer Sänger aus England, der als Bauingenieur bei den englischen Truppen in Hannover arbeitet und auf ein Gastspiel in Nashville hofft, und der umstrittene Gunter Gabriel, der seine Theorien zur deutschen Country Musik erläuterte und mit zwei deutschen Hitversionen untermauerte. Die ganz Unentwegten vereinten sich am Abend noch anderswo am Lagerfeuer bei Bier, Würstchen und – natürlich - Country Music.

Insgesamt war das Festival für alle Hörer ein großes Ereignis; allerdings beanspruchte Bill Monroe ihre Aufmerksamkeit sehr stark, so daß manch anderer Auftritt nicht ganz seine verdiente Beachtung fand. Die Doppelfunktion - Treffpunkt der deutschen Countrydiaspora und Konzert - bleibt problematisch angesichts der permanenten Unruhe im Saal. Offensichtlich ist die Veranstaltung in jeder Hinsicht zu einem Punkt gediehen, wo keine Steigerung mehr möglich ist, ohne den bisherigen Charakter grundlegend zu verändern,

Wir sind gespannt, was sich die verdienstvollen Veranstalter Schumann/Pietsch als nächstes einfallen lassen, und wir warten schon wieder voll Ungeduld auf den nächsten Pfingstsamstag im Neusüdender 'Lindenhof'.

Eberhard Fink

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Bill Monroe-Tournee
NACHLESE 

(CC). Andere Stationen der Bill Monroe-Tournee hießen Braunschweig, Hamburg, Tübingen und Berlin. 150 bis 200 Zuschauer waren in Braunschweig von ihm und seinen Zugaben begeistert. Im Vorprogramm die Bluegrass/Old Time Music-Band EDISON WAY aus Frankfurt, die es recht gut verstand, Bluegrass zeitgemäß vorzutragen. Die gleiche Begeisterung dann auch 4 Tage später in Hamburg (13.Mai). Mit annähernd 400 Besuchern war das Amerika-Haus fast ausverkauft. Vom Norden ging's in den Süden: Tübingen hieß die nächste Station (14. Mai). Das war nicht nur der südlichste Punkt seiner Kreuz- und Querreise durch Deutschland, Tübingen war auch für viele Anhänger aus der Schweiz und Frankreich die lange Anreise wert.

Es ist bemerkenswert, daß die Fluktuation in Bill Monroes Gruppe sehr stark ist. Der Grund hierfür, so Monroe in einem Gespräch, ist, daß die meisten Musiker zunächst bei ihm sozusagen „in die Lehre gehen": Einmal mit Bill Monroe zusammen spielen, so heißt das Motto, und sich dann selbständig machen. So konnte man auch jetzt eine relativ neue Zusammensetzung der Blue Grass Boys „bewundern: Robert Wilson Black, 5-String-Banjo; Ralph Lewis, Guitar; und Stephen Randy Davis, Bass. Nur Kenny Baker (Fiddle) gehört schon seit Jahren ständig zu den Blue Grass Boys. Tübingen wollte es, daß die Besetzung der Blue Grass Boys für eine kurze Weile einmal anders aussah, als Monroe für einige Darbietungen einen ehemaligen Blue Grass Boy auf die Bühne bat: den Banjospieler BILL KEITH. Er und Jim Rooney gastierten just zur selben Zeit in der Schweiz.

Von seinem zweitägigen Aufenthalt in Berlin, man mag's nicht glauben, liegen hier leider keine Informationen vor, was wohl auch mit der Eigenart der vielbesagten deutschen Country-Szene zusammenhängt. Sei daher noch ein Schlußwort zum Neusüdende-Festival hinzugefügt. Neusüdende ist eine reine Liebhaberveranstaltung und damit mit großen finanziellen Risiken verbunden. Bill Monroe und auch Bill Clifton als Höhepunkte einer langjährigen Tradition in Neusüdende auftreten zu lassen, hieß andererseits für sämtliche weiteren Gruppen und Solisten: Auftritt ohne Gage. Und wenn die Veranstalter dennoch 'zubuttern' mußten, dann hängt das nicht zuletzt damit zusammen, daß sich einige ein kostenloses Vergnügen bereiteten, indem sie ganz einfach vergaßen, ihren Obulus zu entrichten. Country Leute in Deutschland sind sparsame Leute.

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