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Country Picks (9):
Einen Grammy wert:
"Van Lear Rose" von und mit Loretta Lynn
Von Hauke Strübing

Mit Loretta Lynn verhält es sich so: Länger als mittlerweile eineinhalb Jahrzehnte war von ihr - die CDs betreffend - so gut wie nichts mehr zu hören. Einmal abgesehen von ihrem AUDIUM-Album "Still Country" im Jahr 2000. 1988 ihr letztes MCA-Werk "Who Was That Stranger". Loretta Lynn zählt sicherlich mit zu jenen Country-Stars verflossener Zeiten, zu denen dem jungen deutschen Country-Nachwuchs nichts anderes einfallen wird als zu sagen: Loretta who? Ihre große Zeit als Solistin und als Gesangspartnerin von Conway Twitty liegt schlicht zu lange zurück. Ihre Langspielplatten der 60er und 70er Jahre sind Legende.

Doch dann tauchte ihr Name kürzlich urplötzlich wieder auf. In der F.A.Z. las ich eine jener abgehobenen Rezensionen (von einem anderen Stern) über ihre CD "Van Lear Rose". Immerhin in der F.A.Z. Das sollte zu denken geben, denn wenn in einer deutschen Tageszeitung das Werk eines Country Künstlers (wie jetzt am 12.2.2005 die neue CD von Alison Krauss) näher beleuchtet wird, dann gilt es die Ohren offen zu halten. Irgendetwas ist da zumeist im Busch. Mainstream Country findet in den Spalten deutscher Zeitungen eher wenig Beachtung. Also ist etwas Information angesagt. Von kompetenter Stelle höre ich: Oh ja, da gibt es wohl allerlei Rock auf die Ohren. Aber das hält mich dennoch nicht ab, "Van Lear Rose" als eine von drei CDs im Reisegepäck nach Hause zu schleppen. Irgendetwas Besonderes muß es sein, wenn die große alte Dame Loretta Lynn - mittlerweile 69 Jahre alt - vor das Mikrophon tritt: Vielleicht ihr Lebenswerk?

Zugegeben: Beim ersten Anhören fällt das Album durch das Raster. Doch beim zweiten, dritten, vierten und fünften Mal kommt ein Stück zum anderen und ich zu meiner alten Überzeugung: Nur die Musik zeugt von Qualität, die man sich erhören muß. "Van Lear Rose" zählt zu dieser Kategorie von Musik. Mein erster Eindruck vertieft sich: Die große, alte Dame hat nichts von ihrer Stimme verloren, ihr Gesangsstil knüpft nahtlos an jenen alter Tage an (da haben es die Sängerinnen eben einfacher als ihre männlichen Kollegen). 69 ist sie, aber hallo! "Van Lear Rose" ist für Loretta Lynn die Plattform, ihre Erinnerungen in einige der Lieder zu schütten, die übrigens allesamt aus ihrer Feder stammen. Zum Produzenten hat sie sich den jungen Punk-Rocker Jack White auserkoren. Und nun könnte eigentlich der musikalische Wettkampf zwischen damals und heute, zwischen der althergebrachten Country Tradition und der Rock Music von heute beginnen. Was in gewisser Weise auch stattfindet, doch nicht in der Weise, dass der Rock die Tradition auffrisst. In "Portland Oregon" hält Gesangspartner Jack White musikalisch die Rock-Oberhand - ziemlich gewagt für country-verwöhnte Ohren. Die Country-Tradition erblüht in "Trouble On The Line" mit einer alles dominierenden Steel Guitar (Dave Feeny). Es ist ein ständiges Hin und Her von Now zu Then zu Now zu Then. Doch das Then behält die Oberhand. In "Family Tree" stellt Loretta Lynn ihre Stimme unter Beweis, ihre starke Stimme. Dirk Powell begleitet auf der Fiddle. In "Have Mercy" geht dann die Post so richtig ab, have mercy. Der musikalische Enkel Jack White bestimmt die Richtung. Und mir gefällt, was die beiden da machen. Country-Pop? Keinesfalls. Da wird richtig hardrockmäßig in die Saiten gegriffen. "High On A Mountain Top": Ein bisschen Sing-a-long - schließlich kann man die Herkunft aus dem tiefsten Inneren eines Landes nicht verheimlichen, da wo die Country Music eine ihrer Quellen hat. Auf geht´s zum Square Dance - oder etwas zeitgemäßer ausgedrückt: zum nächsten Line-Dance-Event. "Little Red Shoes": Das wäre Country-Hip-Hop, wenn es die Stilrichtung gäbe, mit Steel Guitar-Background. Loretta Lynn setzt sich selbst aber auch keine Grenzen! Früher nannte man diese Art des Gesangsvortrages bzw. Sprechvortrages einen Talking Song. "God Makes No Mistakes"(Then), "Women´s Prison" (Then und Now), "This Old House"(Then), "Mrs. Leroy Brown"(Now): Wer Loretta Lynn möglicherweise zum ersten Mal hört, fragt sich vielleicht: Welcher Jungborn singt denn da? Nichts, aber auch nichts hat ihre Stimme verloren Und in vielem erinnert dieses Album musikalisch an die letzten von Johnny Cash: Weg vom teilweise abgenudelten Country-Geplärre hin zu neuen Zielen, an die man sich als Eingeschworener zuerst gewöhnen muß. Aber das tut man schnell und nur zu gern. Siehe Cash. "Miss Being Mrs.": Traditioneller als in dieser Aufnahme geht´s nicht mehr. Miss Loretta nur begleitet von einer Gitarre. "Story Of My Life": Der erste Verdacht bestätigt sich nicht. Nein, es ist nicht der Marty Robbins-Hit von damals. Loretta Lynn schließt ihr Werk ab, wie sie es begonnen hat: Sie erinnert sich. "Story Of My Life" ist ein Ohrwurm.

Loretta Lynn erhielt heute nacht (deutscher Zeit) für ihre CD "Van Lear Rose" den Grammy für das beste Country Album.

Loretta Lynn - Van Lear Rose (Interscope Records B000251302) veröffentlicht am 27. April 2004
Van Lear Rose - Portland, Oregon - Trouble On The Line - Family Tree - Have Mercy On Me - High On A Mountain - Little Red Shoes - God Has No Mistakes - Women's Prison - This Old House - Mad Mrs. Leroy Brown - Miss Being Mrs. - Story Of My Life

Beitrag veröffentlicht am 14. Februar 2005