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„Green Rolling Hills Of West Virginia“
Hedy West ist tot
Von Walter Fuchs

Wie erst jetzt bekannt wurde, ist Hedwig Grace West, weltweit bekannt geworden als Hedy West, am 03. Juli 2005 in ihrem Haus auf Long Island/New York nach einer langen, schweren Krankheit im Alter von 67 Jahren gestorben. Mit ihr hat die amerikanische Folk-Szene eine ihrer wichtigsten Repräsentantinnen verloren. Als Sängerin mit einer eigenwilligen Stimme hat sie die traditionellen Lieder genauso gepflegt wie ihre vielen Eigenkompositionen, bei denen sie sich auf der Gitarre oder dem 5-String-Banjo selbst begleitet hatte. Vor allem in den 70er Jahren, aber auch noch bis in die 80er Jahre hinein, war sie oft in Bühl/Baden, und ihre Besuche im „Schwanen“ waren nicht nur Pflichtübungen, nein, dieses Traditionsgasthaus hatte sie magisch angezogen, sie hat sich dort wohlgefühlt. Und dass die „Hanne“, die damalige Wirtin und „gute Seele“ des Schwanen ihr schon nach wenigen Besuchen eine kleine Bühler Hexe als Souvenir geschenkt hat, empfand Hedy West als grosse Ehre. Meist hatte sie ihre Gitarre oder ihr Banjo dabei und gab zu vorgerückter Stunde für die Schwanen-Gäste ein kleines Konzert. Kein Wunder, dass auch Jürgen Ebner, damaliger Lokalmatador in Sachen „Alemannisches Tongut“, immer wieder mit seiner Gitarre auftauchte, und so kam es im Schwanen zu denkwürdigen Sessions, denen man nachträglich das Motto unterstellen könnte „Folksongs und badisch-elsässische Folklore“. Jürgen Ebner intonierte den „Hans im Schnoogeloch“ oder das Lied von der „Mamme mit dem Bonbonstand“, während Hedy West von den „Green Rolling Hills Of West Virginia“ oder den „Babies In The Mill“ sang und wenn sie schliesslich das pennsylvanisch-deutsche Lied mit dem Titel „Ein Schönes Liedlein“ (from the Pennsylvania Germans of the Shenandoah Valley) aus einem alten Liederbuch aus dem Jahre 1816 hervorkramte, dann hatte sich der Kreis geschlossen. Auch Hedy’s Ehemann, Dr. Joseph Katz, ein Psychologieprofessor, hatte sich immer wieder im Schwanen wohlgefühlt, vor allem während seiner mehrmonatigen Gastlehrtätigkeit an der Universität Heidelberg in den 80er Jahren. Bühl, so kann man mit Recht heute sagen, war für über ein Jahrzehnt zur zweiten Heimat für Hedy West geworden, die sich in diesen Jahren auch immer wieder in der Zwetschgenstadt mit Legenden aus der Folk-und Country-Szene getroffen hatte, mit Künstlern, die in Bühl und Umgebung aufgetreten waren. Erinnert sei nur an Bill Clifton, Red Rector, die Folk-Ikone Hazel Dickens, Mike Seeger, den Halbbruder von Pete Seeger, Alice Gerrard, Lamar Grier, Tracy und Eloise Schwarz mit Sohn Peter, Norris, Bonnie Dobson und viele andere. Bühl war schon in den 70er Jahren zu einem beliebten Treffpunkt amerikanischer und kanadischer Künstler geworden.

Hedy West wurde am 06.April 1938 in Cartersville/Georgia geboren und erlernte sehr früh das Banjospielen von ihrer Oma Lillie West und bereits mit 4 Jahren erhielt sie ihren ersten Klavierunterricht. Hedy’s Vater, Don West, war stark gewerkschaftlich orientiert und galt als anerkannter Volkspoet des amerikanischen Südens. Viele seiner Gedichte wurden von Hedy West später vertont. Nach ihren eigenen Worten wuchs sie in kleinen und grossen Städten auf, zwischen einer fast undefinierbaren Schicht von Unter- und Mittelklasse, Akademikern und Gewerkschaftern. Sie studierte in New York City Musik- und Theaterwissenschaft und stiess in den 60er Jahren fast zwangsläufig zur damaligen Folk-Music-Bewegung. Von Pete Seeger entdeckt und gefördert, wurde sie rasch in Greenwich Village zu einem Begriff. Sie zog an die Westküste, nach Los Angeles, und spielte dort einige aussergewöhnliche LPs für Vanguard ein. Nach einigen Reisen durch England blieb sie für ein paar Jahre in London hängen und produzierte auch dort einige LPs. Schliesslich kam Hedy West nach Deutschland, lebte eine geraume Zeit in Berlin und war Ende der 60er Jahre ein gern gesehener Gast bei den legendären Burg Waldeck Folk Festivals. Ihr grösster Erfolg und auch weltweiter Dauerbrenner war der Song „500 Miles Away From Home“, 1963 von Bobby Bare zum Top Ten Hit gemacht. Peter, Paul and Mary hatten den Titel im Repertoire genauso wie The Seekers und Sonny and Cher. In Frankreich wurde der Song von Richard Anthony unter dem Titel ‚J’Entends Siffler Le Train“ bekannt und in Deutschland war es Peter Beil, der Erfolg damit hatte unter dem Titel „Dein Zug Fährt Durch Die Nacht“.

Während ihrer Zeit in Deutschland entstand 1972 ein Duett-Album mit Bill Clifton unter dem Titel „Getting Folk Out Of The Country“ und 1976 das Solo-Album „Whores, Hell and Biscuits“.
Ausserdem war sie in diesen Jahren häufig zu Gast in den SWF-Studios in Baden-Baden, wo Solo-Aufnahmen, Duett-Produktionen zusammen mit Bill Clifton und sogar eine Trio-Session für den „Country Express“des Pop-Shop produziert wurden: Hedy West, Bill Clifton und Ray Austin. Unvergessen ihre Auftritte in Konzertsälen, Kneipen und Jugendclubs der Region in Baden-Baden, Bühl, Rastatt und Karlsruhe.
Dann, nach der Geburt ihrer Tochter, war es plötzlich ruhig um Hedy West geworden. Langjährige Kontakte, die sie intensiv gepflegt hatte, brachen ab. Auch viele ihrer amerikanischen Freunde konnten keine Auskunft darüber geben, was aus ihr geworden war. Man erfuhr zwar noch, dass ihr Mann Ende der 80er gestorben war, doch sie selbst blieb verschollen. Erst jetzt, nach ihrem Tod, drangen spärliche Informationen an die Öffentlichkeit. In den letzten Jahren habe sie kaum noch Musik gemacht. Ihre Stimme sei von der Krankheit beeinträchtigt gewesen und ohne den Gesang habe ihr das Banjospielen auch keinen Spass mehr gemacht. Ihre Krankheit habe sie still bis zum bitteren Ende ertragen.

In einem Gedicht, das Don West 1960 für seine Tochter Hedy geschrieben hat, heisst es am Schluss:


And the wind came over the mountain
laughing with a wimple of oak leaves
talking secrets in soft whispers
as low bending willows
plucked the sparkling creek waters
for music to sing the silent songs
of the sleepers.


Vielleicht ist Hedy West so gestorben, begleitet von einem leisen Lied der Natur, dem Wind, den Eichenblättern und den Weidenbäumen von Long Island. Und vielleicht hängt sie noch immer an der Wohnzimmerlampe in ihrem Haus: Die kleine Bühler Hexe.