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Das verkannte Genie
JAMES TALLEY
Von Ulrich Rechau
 

Der hierzulande kaum bekannte James Talley veröffentlichte auf seinem eigenen Label “Cimarron Records“ sein viertes Album mit dem Namen “Journey“. Es ist eine Live-CD mit fünf neuen Titeln. Bereits das vorherige Album “Touchstones“ war ein wahres Meisterstück. Die CD’s hätten das Zeug zum “Album des Jahres“. Viele Kritiker bezeichnen James Talley als kreativen Songschreiber. In den siebziger Jahren sprach man vereinzelt von einem neuen Woody Guthrie. 

Das neue Live-Album “Journey“ wurde während einer kleinen Tournee in Italien aufgenommen. Drei Musiker waren mit auf der Bühne: Dave Pomeroy (Bass), Mike Noble (Gitarre) und Greg Thomas (Schlagzeug). Nun eine kurze Beschreibung des Inhalts: Der Titel “Cherokee Maiden“ handelt von einer Liebeserklärung an eine Indianerin. Der amerikanische Ureinwohner ist der Inhalt von zwei weiteren Stücken. In “The Song Of Chief Joseph“ beschreibt James Talley den verzweifelten Kampf eines Häuptlings um sein Land. “Somewhere On The Edge Of The World“ sind die Gedanken um einem gemeinsamen Ritt mit legendären Indianerhäuptling “Crazy Horse“. Anders ist “That Old Magic“. Hier denkt James über eine vergangene Beziehung nach. Wie viele andere Countrystars behandelt er auch die Ereignisse des 11.September 2001 mit dem Titel “I Saw The Buildings“. Alle anderen Stücke des Live-Albums sind auf den vorherigen CD’s erschienen. 

Die vorherige CD “Touchstones“ beinhaltet Neueinspielungen von den schönsten Liedern der vier Langspielplatten, die in den siebziger Jahren bei Capitol Records erschienen. Musikalisch geht die Bandbreite über Country, Blues bis zum Westernswing. Schöne Mariachi-Klänge hört man bei “Calico Gypsy“. Bekanntester Musiker im Studio war Joe Ely, der bei dem Stück “W.Lee O’Daniel And The Light Crust Dough Boys“ mitwirkte. Inhaltlich bestechen James Talley’s Texte, die teilweise sehr sozialkritisch sind. Nicht etwa Herz und Schmerz oder Bars und Alkohol, sondern der einfache Mann auf der Straße sind sein Thema. Der berufskranke Bergmann oder die geschiedene Kellnerin im Rasthaus finden sich hier wieder. Einige Beispiele: Das Lied “Are They Gonna Make Us Outlaws Again“ beschreibt den sozialen Abstieg. Sehr autobiographisch ist “Richland, Washington“, wo sich James Talley’s Kindheit widerspiegelt. Um die Zukunft der Kinder macht er sich mit “What Will There Be For The Children“ Sorgen. Die Geschichte eines Bergmanns der seine Gesundheit dem Bergbau geopfert hat, ist “Give My Love To Marie“. Wie es ist, wenn man nach langer Zeit in die alte Heimat zurückkehrt, schildert er mit “To Get Back Home“. Eine Anerkennung der Arbeiter ist das Lied “Forty Hours“. Vom endgültigen Ende einer Beziehung handelt “When The Fidddler Packs His Case“. 

Warum ein Talent wie James Talley sich bis heute nicht hat durchsetzen können, wird anhand seiner Biographie deutlich. James wurde am 09.November 1944 in Tulsa/Oklahoma geboren und wohnte mit seinen Eltern auf einer Farm in Mehan/Ok. Als er drei Jahre alt war, zog die Familie Talley nach Richland/Washington. Vater Talley nahm dort eine Arbeit in der Plutoniumfabrik “Hanford Plant“ an, die seine Gesundheit schwer schädigte, wie sich später zeigte. Mutter Talley erzog den Sohn mit der Maßgabe, daß Bildung ein Weg aus der Armut ist. Der kleine James zeigte früh künstlerisches Interesse, was die Mutter auch förderte. Später in der Highschool lernte er Gitarre spielen. Nach der Schule schrieb sich James Talley an der “Oklahoma State University“ ein um Kunst zu studieren. Sein Vater war zwischenzeitlich berufskrank geworden, und die Eltern zogen von Richland/Wa nach Albuquerque/NM. Da die Arzt- und Krankenhausrechnungen hoch waren, konnten James’ Eltern das Studium in Oklahoma nicht mehr finanzieren. So mußte er 1965 sein Studium an der “University Of New Mexico“ zum Abschluss bringen. James hatte den Wunsch Maler zu werden. An der “University Of California“ in Los Angeles wollte er sich weiterbilden. Da die Stadt eine sehr teure Umgebung war, kehrte James nach New Mexico zurück und setzte seine Weiterbildung in Albuquerque/NM fort. 

Die späten sechziger Jahre erlebten weltweit eine gesellschaftliche Revolution. Bedingt durch Vietnamkrieg und Bürgerrechtsbewegung setzte an den Universitäten eine Protestbewegung ein. James Talley wurde ein sehr kritischer Zeitgenosse. 1967 verließ er die Uni und trat eine Stelle als Sozialarbeiter an. James mußte eine lateinamerikanische Familie betreuen und lernte dabei die Schattenseiten des Lebens kennen. James dazu: “In der Schulzeit beschäftigte ich mich mit der Depressionszeit in den dreißiger Jahren. Durch die Schilderungen meiner Eltern und anderer Zeitzeugen konnte ich mir ein realistisches Bild machen. Im Grundprinzip hat sich für sehr arme Leute bis heute nicht viel geändert. Die Tätigkeit als Sozialarbeiter hat mein USA-Bild stark verändert.“ Ein Konzert von Pete Seeger inspirierte James Talley, sich als Autor zu versuchen. Er schrieb Lieder über die eigene Umgebung. Diese waren natürlich sehr kritisch. Die armen Latinos waren die Idee für das Lied “Road To Torreon“. James Talley fasste den Entschluss, seine Kompositionen aufzunehmen. James erinnert sich: “Ich fühlte mich als Künstler, der den Menschen etwas zu sagen hatte. Dazu glaubte ich noch Leute zu finden, die mir helfen würden. Damals wie heute liegen die Zentren der Musikindustrie in Los Angeles, New York und Nashville. Nach LA wollte ich nicht mehr zurück. New York schien mir auch nicht das Richtige zu sein. Da blieb nur noch Nashville. Mit Countrymusic war ich von Kindheit an vertraut. Bob Dylan nahm dort das Album ’Nashville Skyline’ auf. In meiner Naivität glaubte ich, die Musikindustrie wäre für sozialkritischen Songs empfänglich.“ 

1968 machte er sich auf den Weg nach Nashville/Tn. James blickt zurück: “Ich hatte 400 Dollar in der Tasche. Für 375 Bucks kaufte ich einen Gebrauchtwagen und fuhr einfach los. In Nashville angekommen, nahm ich mir erst ein Hotelzimmer und am nächsten Morgen begann ich Arbeit zu suchen. Da es damals in Tennessee auch viel Armut gab, trat James Talley wieder eine Stelle als Sozialarbeiter an. Einige Monate später lernte er seine Frau Jan kennen. James: “Ich sah sie erstmals bei einer Besprechung. Ich bat sie um ein Treffen. Kurze Zeit später hielt ich um ihre Hand an. Jan wollte sich mit der Familiengründung etwas Zeit lassen, aber zwei Wochen später waren wir verheiratet. Das ist mittlerweile 32 Jahre her.“ Nach der Arbeit nahm James seine Lieder auf Band auf, um sie den Produzenten der Musikindustrie vorzustellen. Unter den Demos war auch das Stück “Road To Torreon“. James war sich bewusst, daß die Produzenten immer auf der Suche nach der berühmten “Stecknadel im Heuhaufen“ sind. Höflich, aber bestimmt, wurde James abgewiesen. Die Chefs in den Plattenfirmen sagten: “Deine Lieder sind gut, aber so etwas können wir nicht verkaufen.“ James Talley machte die bittere Erfahrung, daß Musik ein knallhartes Geschäft ist, in der es nur ums Geld geht. 

Es gab in Nashville aber auch Leute, die es mit James Talley gut meinten. Einer davon war Chuck Glaser von den Glaser Brothers. Chuck seinerzeit: “Du mußt kommerzieller werden. Die Songs dürfen für das Radio nicht zu lang sein. Schreib keine Protestsongs. Halte dich an Themen wie Liebe und Einsamkeit. Das Stück muß einen Wiedererkennungswert haben.“ Die Schallplattenfirmen produzieren nur für das Radio, wobei es in den USA leider nur um Werbeeinnahmen geht. Kunst ist da weniger gefragt. In Nashville ist Countrymusic keine Kunst, sondern nur Geschäft. James Talley versuchte seinen Stil zu ändern, doch leider kam er nicht weiter. So mußte er es doch noch in New York versuchen. Über einen Bekannten, Rechtsanwalt Larimore Burton, nahm James Kontakt zu John Hammond von CBS auf. Dieser betreute Bob Dylan und Leonard Cohen und entdeckte sogar den berühmten Bruce Springsteen. Überraschenderweise war Mr. Hammond sehr entgegenkommend und hörte sich James Talley’s Demobänder an. Der damalige CBS-Chef Clive Davis zeigte dagegen kein Interesse. So reichte John Hammond das Demomaterial an Jerry Wexler von Atlantic Records weiter. Mr. Wexler nahm James Talley unter Vertrag, und 1973 wurde die Single “Mississippi River Whistle Town“ veröffentlicht. Ein knappes Jahr später schied Jerry Wexler aus der Firma aus, und James Talley stand wieder ohne Vertrag da. Da entschloß sich James, eine LP auf eigenes Risiko aufzunehmen. Es sollte ein Countryalbum mit Schwerpunktthema “Herkunft aus Oklahoma“ werden. Mit befreundeten Musikern entstand das Debutalbum ”Got No Bread, No Milk, No Money, But We Sure Got A Lot Of Love“. Aufgrund James Talley’s Finanzlage spielten die Musiker kostenlos in der Hoffnung, die Dollars nachträglich zu bekommen. 1000 LP’s wurden gepresst, die James im Selbstverkauf unters Volk brachte. 

In der Zwischenzeit nahm er eine Stelle als Zimmermann an. Wie der Zufall es wollte, mußte James am Haus von Frank Jones eine Instandsetzung durchführen. Mr. Jones war Vizepräsident der Countrymusic-Division von Capitol Records in Nashville. Der bekam auch die Debut-LP von James Talley zu Gehör. Dadurch sprang einige Monate später ein Plattenvertrag heraus. James blickt zurück: “Ich sagte, wenn ihr meine LP wollt, können wir ein Geschäft machen. Alles was ich brauche sind 5000 Dollar um die Musiker zu bezahlen.“ Der Vertrag wurde unterzeichnet, und die LP ”Got No Bread, No Milk, No Money, But We Sure Got A Lot Of Love“ erschien 1975 auf Capitol. 1976 erschien die zweite LP “Tryin’ Like The Devil”. 

Ein wichtiger Moment in James Talley’s Werdegang war das Aufmerksamwerden des früheren US-Präsident Jimmy Carter. Er und seine Gattin Rosalyn waren von James’ Musik begeistert. So bekam James Talley mehrere Einladungen ins “Weiße Haus“, die erste zur Amtseinführung, danach noch zwei weitere. Selbstverständlich nutzte Capitol Records das für Werbezwecke. Auch erschien in der Industriepublikation “Billboard“ ein ganzseitiger Artikel. Doch der nutzte leider nichts. Als dritte LP erschien 1977 “Black Choir“ mit dem Titel “Bluesman“, wobei der berühmte Bluesgitarrist B.B. King mitspielte. James Talley ging auch auf Tournee. Er eröffnete Konzerte für Jerry Jeff Walker. Im gleichen Jahr veröffentlichte Capitol LP Nummer Vier “Ain’t It Somethin’“. Durch interne Streitigkeiten in der Plattenfirma wurde die Betreuung immer schlechter. 

James Talley wurde mit der Plattenfirma unzufrieden. Da trat ein gewisser Michael Brovsky ins Geschehen. Mit ihm sollte James Talley einen schwerwiegenden Fehler machen. Brovsky meinte: “Capitol ist das falsche Label für dich. Ich helfe dir wo anders unterzukommen.“ James war an einen Blender geraten: “Ich hatte ihm blind vertraut“. 1978 war der Vertrag aufgelöst. Die Plattenchefs waren stinksauer. Schließlich hatte man viel Geld in James Talley investiert. Als es um den neuen Vertrag ging, ließ sich Michael Brovsky ständig verleugnen. James fühlte sich verraten und verkauft. Dieses Mißgeschick wirkt bis heute nach, denn “die Geschäftswelt ist sehr klein“. Ohne Plattenvertrag hat man keinen Buchungsagenten, und ohne diesen keine Auftritte. Dazu nahm Capitol auch noch die LP’s aus dem Angebot. Jetzt mußte James Talley wieder mühsam in Clubs auftreten. Seine Frau Jan begann wieder zu arbeiten. Diese unglücklichen Umstände fielen auch noch in eine Zeit der wirtschaftlichen Schwäche. In der Unterhaltungsindustrie wurden viele Leute entlassen. Ein Konzertagent zu James Talley: “Ich bekomme 10% vom Eintrittsgeld. Was nützt es mir, wenn du nur 500 Dollar in die Kasse bringst.“ 

Um finanziell am Leben zu bleiben, mußte James Talley sich ein neues Betätigungsfeld suchen. Ein Freund war Immobilienmakler. Er bot James an, ihm im Büro auszuhelfen. So fand James Gefallen am Maklergeschäft. Nach einer Reihe von Schulungen und Abschlussdiplom betreibt James Talley heute ein eigenes Vermittlungsbüro. Trotzdem ist er der Countrymusic treu geblieben. Bereits 1982 hatte James wieder genug Geld zusammen, um Aufnahmen für eine neue LP mit dem Titel American Originals“ zu machen. Die deutsche Plattenfirma “Bear Family Records“ veröffentlichte das Album 1985, einige weitere folgten. Das Ganze brachte finanziell nichts ein. Auch ein nochmaliges Anklopfen bei “Capitol Records“ hatte keinen Erfolg. 1999 entstand James Talley’s eigenes Label “Cimarron Records“. Drei Alben wurden in eigener Regie veröffentlicht. Beachtenswert ist auch die vorletzte CD “Nashville City Blues“. Wie der Name schon sagt, ist das Album stark von Bluesklängen geprägt. Eine Besonderheit ist der Titelsong, der die Musikindustrie in Nashville anprangert. Beklagt wird, daß die Musikindustrie der Countrymusic die Seele genommen hat. Ein Freund sagte zu James: “Wenn du dieses Lied herausbringst, bist du in Nashville erledigt!“ James Talley tat es trotzdem. Bei diesem Album überschlugen sich die Kritiker dennoch mit Lob. Die schönsten Titel der CD sind die bittersüssen Liebeslieder “Baby Need Some Good Times“ und “When I Need Some Love.“ 

In den Billboardcharts kam James Talley nie über ein Statistendasein hinaus. Nur dreimal war er in der Hitparade. Die erste Notierung hieß “Tryin’n Like The Devil“ im Jahre 1976. Der größte Erfolg im gleichen Jahr war “Are They Gonna Make Us Outlaws Again“ auf Rang 61. Die letzte Notierung hatte James mit “Alabama Summertime“ 1977. Dieses wunderbare Lied hätte wesentlich mehr Beachtung finden müssen. Erwähnt werden soll auch noch, daß die Plattenfirma Curb 1982 Talley’s “Are They Gonna Make Us Outlaws Again“ als Single veröffentlichte. 

Trotz aller Rückschläge hat James Talley den Glauben an die Musik noch nicht verloren. Er ist mit Sicherheit ein “verkanntes Genie“. Ein guter Freund sagte einmal: “James, dein letztes Kapitel ist noch nicht geschrieben.“ Wollen wir hoffen, daß er noch seine große Chance bekommt. Verdient hätte es James Talley allemal.

Diskograhie: 
Für Informationen zur Beschaffung von Alben bitte die Webseiten “www.cimarronrecords.com oder www.jamestalley.com aufrufen.

1975)    “Got No Bread, No Milk, No Money, But We Sure Got A Lot Of Love”
(Original Capitol Rec.) 
Cimarron Records         CIM 1001 

1976)    “Tryin’ Like The Devil” (Original Capitol Rec) Cimarron Records         CIM 1002 

1977)    “Blackjack Choir” (Original Capitol Rec.) Cimarron Records         CIM 1003 

1977)    “Ain’t It Somethin’”  (Original Capitol Rec.) Cimarron Records         CIM 1004 

1985)    “American Originals”  Torreon Productions / Cimarron Records CIM 1005 

1989)    “Love Songs And The Blues”   Torreon Productions / Cimarron Records CIM 1006 

1992)    “The Road To Torreon”  Torreon Productions / Cimarron Records CIM 1007 

1994)    “James Talley: Live” Torreon Productions  /Cimarron Records CIM 1008 

1999)    “Woody Guthrie And Songs Of My Oklahoma Home” Cimarron Records  CIM 1009 

2000)    “Nashville City Blues” Cimarron Records  CIM 1010

2001)    “Touchstones”  Cimarron Records   CIM 1011 

2004)    “Journey“   Cimarron Records  CIM 1012