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Der Kommentar:

Kommt das Country Radio in den USA zur Einsicht?
Humor hat der, der daran glaubt.

Wer bei uns hierzulande auch nur einen Gedanken daran verschwendet, der Kunde oder der Käufer, der Anhänger oder der Liebhaber von Country-Klängen sei der König im Gefüge des gesamten Ablaufs - vergessen Sie diese abwegigen Ideen. Auch bei der Country Music dreht es sich nicht um den musikalischen Geschmack des Einzelnen oder um andere hehre Dinge, hier geht es nur ums große Geld.

Daß diese Gänge funktionieren und der Einzelne als Schlußglied der langen Kette eben nur das unbeachtete Schlußglied ist, ist nicht zu übersehen. Übersehen wird hierzulande von den Fans, Nörglern, Selbsternannten und Besserwissern die Rolle des Country-Radios in den USA, dessen Einfluss bis zur neuesten CD, die wir uns gerade gekauft haben, zu spüren oder besser: zu hören ist. Es ist das US-Country-Radio mit seinen Tausenden Stationen, das mit Blick auf Einschaltquoten, ebenfalls dem Jugendwahn 14 bis 29 erlegen, und somit nur mit Blick auf $$$$ der Country Music-Industrie in Nashville vorschreibt, wie Country Music zu klingen hat und was Country zu sein hat.

Erinnern wir uns: Als vor nunmehr gut 2 Jahren der Soundtrack "O Brother, Where Art Thou?" auftauchte, ging ein Ruck durch das US-Country-Radio. Allerdings nicht so, wie Sie jetzt meinen. Nein, nein, das amerikanische Country Radio - vertreten durch deren Programm-Direktoren (PD) - bekannte sich in einhelliger Haltung gegen die Musik traditioneller Herkunft. In der US-Musikzeitschrift BILLBOARD ließen die befragten, zumeist großen und wichtigen Country-Stationen des Landes keinen Zweifel daran, daß sie die Musik des "O Brother"-Soundtracks meiden und nicht spielen würden. Ausdrücklich!

Doch dann dies! Trotz des Radio-Boykotts setzte "O Brother" zu einem Höhenflug großen Stils an. 6 Millionen Exemplare plus wurden inzwischen allein in den USA verkauft. Frage: Etwa einfach nur so zum Spaß? Oder vielleicht doch, weil die extrem traditionelle Musik dieser Zusammenstellung genau den Nerv der Käufer traf? Der inzwischen 75jährige Ralph Stanley erlebte durch "O Brother" seinen inzwischen - wievielten eigentlich? - Frühling. Bei der letztjährigen Grammy-Verleihung sang er sein  A-Cappella-Lied "Oh Death" vor einem Millionenpublikum weltweit. Der Atem stockte. "O Brother" erhielt 2002 den Grammy für das beste Album! Mal ganz zu schweigen von den unzähligen Auszeichnungen diverser Country-Organisationen - auch der Country Music Association.

Doch das US-Radio blieb taub! Es setzte trotz gegenteiliger erster Anzeichen weiterhin auf mehr Pop in der Country Music als Country in Country. Faith Hill, Shania Twain und diverse Jung-Bubi-Bands - alles Leistungsträger jener Tage, sie mußten nur eins tun: Nur nicht den leisesten Hauch von Country-Tradition anklingen lassen. Wer das tat, war sehr schnell weg vom Fenster der Country Music, und die Zahl derer, die das erleben mußten, ist groß. Schlicht und einfach groß. Man nehme sich wahllos eine BILLBOARD-Hitparade von 2000, von 2001 und 2002: Über die Klinge sind viele gesprungen, die die Zeichen der Zeit nicht verstanden. Dabei spielte es überhaupt keine Rolle, ob sich die angebotene Leistung durch Qualität auszeichnete. Die Frage war nur: Bist du Radio-tauglich, bist du es nicht. Als Folge dieser Tendenz verkam die Country Music zu einem Übungsfeld, auf dem geforscht, erforscht - und ausgesondert wurde. Gefragt war nur der, der den Bedürfnissen des Country-Radios nach Pop-Country und Soft-Rock entsprach.

Da die Country Music mehr und mehr ihre Identität verlor, verkam die Nachfrage nach Country in den urbanen Ballungsräumen mit der Folge, dass etwa die zwei größten Musikmärkte der USA, nämlich New York und Los Angeles, über keine Country Radios mehr verfügten. Angesteckt von diesem Trend meinte inzwischen auch die Mutterstation aller Country Radio Stations in den USA, WSM-AM in Nashville, ihre Country-Identität aufgeben zu müssen. Für das traditionsreiche WSM-AM-Radio, das seit 1925 die Grand Ole Opry live überträgt, war das Country-Aus angesagt.  Dank Internet und einer bislang nie vorher dagewesenen landesweiten Protestaktion im Frühjahr 2002 konnte das Gaylord-Unternehmen schließlich von diesem Schritt abgehalten werden - nicht allerdings im Januar 2003 davon, 8 Beschäftigte des Senders vor die Türe zu setzen. Darunter auch der langjährige Grand Ole Opry-Announcer Kyle Cantrell.

Das Jahr 2002, insbesondere die letzten Monate, brachten dem US-Country-Radio andere, gar nicht mehr erwartete Erkenntnisse. Mit Spannung und viel Brimborium wurden u.a. die neuen Alben und Singles der derzeitigen Top-Crossover-Künstlerinnen Faith Hill und Shania Twain erwartet, angekündigt, veröffentlicht und bewertet. Doch alles Getöse brachte nicht das Erwartete: Fath Hills Single "Cry" versank und erreichte nicht einmal die Top 10. Shania Twains "I´m Gonna Getcha Good" kam immerhin auf Platz 7 der BILLBOARD "Hot Country Singles & Tracks"-Hitparade. Die Plattenfirma von Faith Hill versank ins Grübeln und im Fall Shania Twain fragte man sich nicht zuletzt auch beim Country-Radio, ob es das gewesen sein soll. Schnell wurde die mehr nach Country klingende "Up!"-Aufnahme nachgeschoben. Und up, auf geht´s! Dabei handelte es sich in beiden Fällen immerhin um die sogenannte "grüne" Version der Lieder von Twain, also um jene für das Country-Radio und den amerikanischen Country-Markt zugeschnittene Country-Version und nicht um die "blaue" bzw. "rote" Version, mit denen man das "alte Europa" beglückte. Nun gut, Ende Januar 2003 bewegte sich "Up!" nicht gerade im "Auf geht´s"-Tempo in den Charts sondern eher auf dem bescheidenen Platz 22 (Vorwochen Plätze 24 bzw. 24). Stand der Dinge am 8. Februar 2003: Platz 16.

Noch bescheidener sieht die Bilanz für die Alben der beiden Crossover-Damen aus. "Up!" stürzte bereits nach 6 Wochen von Platz 1 ab und begnügt sich seither mit dem bescheidenen 2. Platz. Faith Hills Erfolgsbilanz von "Cry" sieht noch bescheidener aus. Was dann die Kommentatoren der US-Country-Radiostationen prompt auf den Plan rief. Das Erfolgsalbum "O Brother" wurde plötzlich - man höre und staune - von einigen Programm-Direktoren nur zu gern zu Rate gezogen, die noch vor 2 Jahren mit dieser Musik absolut nichts am Hut hatten: "Die Tatsache, daß "O Brother" einige Millionen verkauft hat, sollte uns etwas sagen", meinte ein PD. Und: "Wenn das Format Country wieder einmal einen Anstoß braucht, dann kam dieser Ruck gewöhnlich aus der Richtung "traditional country music". Na cool! "Das Interesse bewegt sich weg von "too-pop" in der Country Music, gefragt ist der weniger "überproduzierte" Sound. "O Brother" ist ein Hinweis dafür". Und so verwundert es kaum, daß in letzter Zeit eher die Aufnahmen der Dixie Chicks, von Blake Shelton, Brad Paisley, Darryl Wooley, Joe Nichols und immer wieder, immer noch die Aufnahmen von George Strait, Alan Jackson, Trace Adkins und die Musik von "O Brother" angesagt sind.

Ja, es gibt inzwischen nicht wenige Programmverantwortliche, die sich sogar eine halbe Generation zurückversetzt fühlen in eine Zeit, als George Strait, Randy Travis und Dwight Yoakam in den Jahren 1986/1987 mit ihrer betont traditionellen Musik die Crossover-Stars (jener Jahre) Kenny Rogers, Crystal Gayle und Eddie Rabbitt auf die Plätze verwiesen. Doch die Frage ist natürlich, ob diese Haltung zur allgemeinen Grundhaltung der Mehrzahl der Programm-Direktoren im US-Country-Radio wird.

Was ich anzweifele. Es ist wie gesagt das große Geld und nicht das Wunschdenken des Einzelnen, das die Geschicke der zukünftigen Country Music leitet. Und wer wöchentlich BILLBOARD liest, merkt nur zu gut, daß die Country Music inzwischen nur noch am Katzentisch sitzt.

Hauke Strübing, 6. Februar 2003