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Nur das Publikum fehlte
Northeim Went Country
Ein Kommentar von Walter Fuchs

Um es gleich vorweg zu nehmen: Die Rahmenbedingungen waren erstklassig. Das Wetter hat mitgespielt, nicht zu heiss, nicht zu kühl, ideal für eine Open-Air-Veranstaltung. Die Organisation war perfekt, die Tontechnik vom Feinsten, verbunden mit einer optimalen Akustik im 1934 erbauten und in jüngster Zeit renovierten Amphitheater am Stadtrand von Northeim, der „Waldbühne“. Das Ganze eingebettet in ein wunderbares Ambiente bestehend aus grünen Wiesen, einem herrlichen, dichten Baumbestand, einem Traditionshotel und einem kleinen See mit Springbrunnen, der ab und zu noch Schwefel ausspuckt.

Das Programm: Für ein dreitägiges Festival genau richtig konzipiert mit einem breiten Spektrum, das jedem etwas zu bieten hatte von Country Rock, über Gospel, Classic Country bis hin zu Bluegrass Music und
Wiglaf Droste. Das heisst im Einzelnen: Markus Zosel mit solidem Country Sound, Silverwood mit Frontfrau Miruna und einem wohltemperierten Country Rock, grossartige mehrstimmige Harmoniegesänge ebenfalls in Richtung Country Rock mit der polnischen Sängerin Alicja Boncol und ihrer Band, der afro-amerikanische K.C. Williams mit seiner seelenvollen Stimme und seinem klassischen Country Sound am Samstag ab 11.30 Uhr vielleicht zur falschen Tageszeit eingesetzt. Dann eine der besten Bluegrass Bands Europas, Night Run, aus dem Süden der Republik, die das Publikum mit ihrem straffen Harmoniegesang und den Fiddle-, Banjo- und Mandolinen-Eskapaden zu Szenenapplaus hinriss, Virginie Schaeffer, eine tadellose Sängerin aus Frankreich, die mit ihrem Night-Club-Sound auch zur falschen Tageszeit eingesetzt war. Dann die Gruppe The Twang, technisch perfekt, die an den Westküstensound der 50er Jahre erinnerte, aber immer etwas parodistisch agierte und in ihrer theatralischen Perfektion steif und aufgesetzt wirkte. Die Country Rock Band Slow Horses brachte dann wieder das reale Leben auf die Bühne mit der Front- und Ex-Garten-Frau Gaby Schmidt. Danach holperte Michael Peterson mit seiner Band durch die Nacht, jener Michael Peterson, der es trotz eines Top Erfolgs im Jahre 1997 bis heute in den USA nicht zum Superstar geschafft hat. Erst als er allein mit seiner Gitarre und mit vokaler Unterstützung von K.C.Williams auf der Bühne stand, konnte er voll überzeugen, was vom Publikum auch honoriert wurde.

Heinrich der Wolf, nicht zu verwechseln mit Roland Heinrich, gaukelte dem hingerissenen Publikum schliesslich vor, Johnny Cash sei aus dem Hillbilly Heaven zu einer kurzen Verschnaufpause nach Northeim herabgestiegen, um seine noch immer trauernden Fans zu trösten. Und tatsächlich, wer die Augen schloss, der musste in der Tat glauben, da steht Johnny Cash auf der Bühne. Es war eine Hommage an Johnny Cash, die in dem Song gipfelte „Gimme Five Johnny Cash, Gimme Five“, was nichts anderes heisst als „Gib mir doch einfach mal die Hand, Johnny Cash“.

Dann war Zeit für Country-Gospel-Time, schliesslich war der Sonntagvormittag angebrochen: Sister T. & the S.P.A. Gospel Unit, 5 Sängerinnen, 2 Sänger und eine Begleitband mit stimmungsvollen Modern Gospel Songs und Country Gospel. Das passte exakt zur Tageszeit und wurde vom Publikum dankbar angenommen. Die Gruppe versuchte ihr Bestes, aber eben nur das, denn was früher weitaus kleinere weisse amerikanische Formationen wie die Swanee River Boys, die Sunshine Boys, die Blackwood Brothers oder die Statler Brothers mit ihren Gospel Songs an Intensität und Drive ablieferten, das schaffen eben europäische Gruppen nie und nimmer.

Schliesslich der „göttliche“ Wiglaf Droste mit seinem Spardosenterzett. Exzentrisch, skurril und hochintelligent überzeugte er auch denjenigen, der sich diesen „Typen“ bei einem Country Festival nicht vorstellen konnte. Da gab’s den Klassiker „Blowin’ In The Wind“ auf Pidgin-Deutsch, Garth Brooks wurde am Boden zerstört und Johnny Cash wurde danach zum Übervater aufgebaut und genau dies macht den Wiglaf Droste, der Country-Ikonen wie Jimmie Rodgers, Hank Williams und eben auch Johnny Cash über alles liebt, so glaubwürdig, der burschikos und flink auf der Bühne das Rad schlägt als wäre er beim alten Vater Jahn noch in die Lehre gegangen und der auf die Frage, warum er denn sonntags barfuss auf der Bühne herumrenne antwortet: „Ich war mit meinem Vater im Wald Pilze suchen, hatte die falschen Schuhe an und mir dabei Blasen geholt.“ Wiglaf Droste, ein gefeiertes Highlight des Festivals.

Als man sich von ELF und dem Sänger Martin Jones, der für seine Stimmlage immer etwas zu hoch sang, erholt hatte, lag die ganze Hoffnung auf The BossHoss. Jeder dachte, mein Gott, jetzt geht so richtig die Post ab, das ist „High Energy“, gleich fliegt die ganze Waldbühne von Northeim in die Luft. Sie flog nicht, obwohl die „Energie“ der Band über 90 Minuten nicht nachliess. Eigentlich war es immer dasselbe, ein Titel zu hören hätte genügt, die Texte gingen ohnehin in der „Energie“ unter. Doch „BossHoss“ wurde vom Publikum frenetisch gefeiert.

Mit Larry Schuba und seiner Western Union Band klang schliesslich am Sonntagabend das Northeimer Country Festival aus. Schuba ist zweifellos ein Typ, ein „Original“, der es versteht, sein Publikum zu fesseln mit alten und neuen Songs in deutscher Sprache, der es aber partout nicht lassen kann, seine Auftritte mit derben politischen Parolen zu würzen, als wäre er jahraus, jahrein auf der Wahlveranstaltung einer bestimmten Partei und der sich lustig macht über Zeremonien der katholischen Kirche und dies auch noch mit Orgelklängen musikalisch untermalen lässt. Das sind keine spontanen Ausrutscher, sondern gezielte Inszenierungen. Ob er es wagen würde, islamische oder jüdische Rituale genauso in den Dreck zu ziehen, sei dahin gestellt.

Das also war das Northeimer Country Festival mit allen Höhen und Tiefen, das aber letztendlich jedem etwas geboten hat. Nur eines hat gefehlt: Das Publikum. Wo waren sie denn, jene Wichtigtuer, die immer und überall nach mehr öffentlichen Aktivitäten rufen und schliesslich durch Abwesenheit glänzen? Sie waren einfach nicht da. 8.000 Menschen passen in das Amphitheater von Northeim, mit mindestens 1.000 pro Tag hätte man in aller Bescheidenheit rechnen können und müssen. Der Veranstalter glaubte 700 bis 800 gesehen zu haben, die Northeimer Presse berichtet von knapp 500, neutrale Beobachter schätzen den täglichen Andrang auf etwa 300. Doch gleichgültig, ob 300 oder 800, in einer Arena, in die 8.000 Menschen passen, wirkt diese relativ geringe Publikumsbeteiligung wie ein verlorenes Häufchen. Es beschleicht einem schon Wehmut, wenn man weiss, mit wie viel Herzblut der Bürgermeister von Northeim, Herr Irnfried Rabe, sich für dieses Festival eingesetzt und wie viel Energie und Zeit der Kulturamtsleiter Harald März investiert hat, um diesen Event auf die Beine zu stellen. Der Niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff hatte obendrein die Schirmherrschaft übernommen.

Trotzalledem, Northeim macht 2006 weiter, man lässt sich nicht entmutigen. Das spricht für die Standhaftigkeit der Initiatoren. Gratulation! Vielleicht hat zur diesjährigen Premiere auch nur das Sahnehäubchen gefehlt in der Person eines amerikanischen Top Stars auf den alle seit Jahren oder Jahrzehnten warten. Vielleicht waren drei Tage für den Anfang auch zu viel oder vielleicht waren die Preise für die heutigen Verhältnisse zu hoch angesetzt. Andererseits hat Qualität auch ihren Preis, man bekommt Top Stars nicht für Peanuts. Und wenn heutzutage bereits Kleinkunstbühnen für eine 2-stündige Unterhaltung 13,-€ nehmen, dann sind knapp 50,-€ für 3 Tage Festival bezw. 27,-€ für den Festival- Samstag sicherlich nicht zu viel. Der Insider stellt sich aber auch die berechtigte Frage, warum macht ein Tonträgerverkäufer beim Internationalen Bühler Bluegrass Festival, mit etwa 650 Gästen, seit 2 Jahren die Geschäfte seines Lebens, während er in Wolfsburg und Northeim kaum das Geld für die Fahrtkosten erwirtschaftet? Fragen über Fragen, die vielleicht nur ein Soziologe nach tiefschürfenden Recherchen beantworten kann.

Meine Bemerkungen zu "Northeim Goes Country". Von Hauke Strübing