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It never rains in Southern California
It Never Rains In Southern California?
Von Hauke Strübing

Irgendwie hingen diese vergangenen Wochen um den Jahreswechsel 2004/2005 mit dem Wetter zusammen. Vor Weihnachten sommerliche Wärme (mit einem Wärmerekord seit 1954/28 Grad Celsius) am Pazifikstrand in Santa Monica und in Huntington Beach, gleichzeitig noch im Sichtfeld die schneebedeckten Gipfel der San Gabriel Mountains. Aus diesem Gebiet kamen dann auch schnell die ersten „Horrormeldungen“: Schneefall in Fußhöhe. Weiter nördlich in der Sierra Nevada und im Urlaubsgebiet am Lake Tahoe fiel der Schnee gleich massenhaft. Bis 8 Fuß, was einer Höhe von 2,40 m gleichkommt. Hier Hochsommer, dort beste Wintersportverhältnisse. Und was für ein Glück, dass wir „hier“ saßen! 

Doch konnte das Glück ewig währen, das erste Mal im Leben Weihnachten  bei blauem Himmel und andauernder Hitze zu erleben? Eine Erlebnisvorstellung, die in meine früheste Schulzeit zurückführt, als irgendjemand uns damals unerfahrenen Nachkriegskindern mal erzählte, dass im westlichen Kalifornien an Weihnachten die Wachskerzen am  Weihnachtsbaum nicht brennen sondern ganz einfach wegschmelzen. Eben, wegen der Hitze. Eine Vorstellung, die über die Jahre haften blieb. Dass man statt Wachskerzen inzwischen elektrische Lichterketten verwendet (und die zwei Tage vor Weihnachten bei Fry´s nachgeworfen bekommt), das konnte der / die Erzähler / -in damals noch nicht wissen. Die angenehme Sommerwärme, die milden Abende und Nächte indes trafen zu. 

Doch dann zwischen Weihnachten und Neujahr gab es schlagartig einen Wechsel, und wer da nun glaubte, dass es „never rains in Southern California“, der ist zumindest in diesen Tagen eines Besseren belehrt worden. Kübelweise kam es runter aus den tiefhängenden Wolken, und je mehr man in die San Gabriel Mountains Richtung Bakersfield fuhr, meinte man, in seinem SUV in einem Meer zu fahren. Southern California stand quasi unter Wasser. In den abendlichen News (in der Regel 2 bis 3 Stunden lang) hießen die Themen: überflutete Straßen, gesperrte Straßen, Regenrekorde, in San Diego z. B. fiel in den ersten Januartagen so viel Regen wie sonst im ganzen Jahr, Erdrutsche mit katastrophalen Folgen. Das eigentliche Regenloch lag etwas nördlich von Santa Barbara. Das Schlagwort dieser Tage hieß „storm“. Mal abgesehen von „tsunami“, das die erdbebenerprobten Kalifornier ebenfalls tief bewegte. Man kann sich nur zu schnell vorstellen, was passieren würde, wenn sich ein Tsunami auf die Pazifikküste von Kalifornien zubewegen würde. Da bliebe sicherlich auch kein Auge trocken. 

Ja, und dann kamen die ersten Horrormeldungen aus den Bergen. Schnee, Schnee, Schnee und nichts als Schnee. Einen Tag, nachdem wir Bakersfield verließen, wurde die Interstate 5 in Höhe des Tejon-Passes auf einer Länge von 30 Meilen fast 24 Stunden gesperrt. Nichts bewegte sich mehr. Wer drin saß in dem Schlamassel, konnte nur hoffen, dass er der sommerlichen Wärme an der naheliegenden Pazifik-Küste nicht allzu sehr getraut hatte. Doch es kam noch schlimmer: Auf einer Länge von 300 Meilen wurden auf der Interstate 80, die von San Francisco nach Salt Lake City führt, Schneeketten zur Pflicht gemacht. Zwei Tage später wurde die Interstate für jeglichen Verkehr total gesperrt. Man stelle sich mal vor: Knapp 500 km übertragen auf unsere Verhältnisse – von München nach Frankfurt und noch länger Stillstand auf der Autobahn? Nicht auszumalen. Drüben indes Realität. Und ich komme immer noch nicht von dem Gedanken ab, dass uns das Schicksal in Eiseskälte in der Nacht vom 2. auf den 3. Januar 2005 während der Fahrt von Bakersfield nach Los Angeles auch hätte erwischen können. Unser Glück jedoch war die Abreise schon am frühen Morgen des 2. Januar. Die beiden erlebnisreichen Tage in Bakersfield wurden also in keiner Weise getrübt bzw. eingefroren. 

Bakersfield. Irgendwie übt dieser Name immer wieder einen Zauber auf mich aus. Nicht die Stadt als solche. Die ist eher genauso amerikanisch wie die meisten andern auch: Fast alle Straßen rechtwinklig angeordnet, was zugegebenermaßen das Autofahren einfach und auch angenehm macht. Und auch sonst gibt´s nichts Erwähnenswertes. Als ich jemand kurz vor Weihnachten in einem Gespräch erwähnte, dass wir den New Year´s Eve in Bakersfield verleben würden, fragte mich derjenige so in etwa, ob uns eigentlich nichts Besseres einfallen würde. Nun gut, derjenige wußte natürlich nicht, was es bedeutet, vier der Lichtgestalten der Country Music quasi auf einen Schlag zu erleben. Und machen Sie das mal einem Amerikaner in Southern California deutlich.  

Aber ich ahnte ja bereits in der Planung der Reise, dass im „Crystal Palace“ in Bakersfield sicherlich etwas geboten werden würde. Dass dann die Post dort abgehen würde, erhoffte ich im Stillen, glaubte aber dennoch nicht so richtig dran. Ende November warf ich einen Routineblick auf die Buck-Owens-Website. Im November war Don Williams wieder einmal im Crystal Palace, David Allan Coe war für Mitte Dezember 2004 angekündigt, einen Tag nach unserer Ankunft. Das war zu früh. Doch dann das: New Year´s Eve-Party with Buck, Dwight und Brad. Zunächst traute ich meinen Augen nicht. Kühnste Bilder liefen in meinen Vorstellungen vor mir ab. Buck Owens (den ich zuletzt im Oktober 2002 an gleicher Stelle erlebte), Dwight Yoakam (den ich noch nie gesehen hatte) und Brad Paisley (den ich im September 2002 in Universal City in concert erlebte) an einem Abend in aller nächster Nähe – quasi auf Tuchfühlung im Crystal Palace? Ich hatte diese angenehme Athmosphäre im Crystal Palace zu Bakersfield nun schon zu oft erlebt, und ich wußte: Dieser Abend wird der Abend aller Abende – hinsichtlich Country Music. Man ist nahe dran, man kann sich bewegen, man kann fotografieren, man hört die Musik, die man hören möchte. Und zu essen gibt es auch allerlei. Und zwar riesig allerlei, nichts für die schlanke Linie. Offiziell heißt der Crystal Palace dann ja auch „Crystal Palace Steakhouse“. Eine Übernachtungsmöglichkeit ist zu Fuß zu erreichen (für amerikanische Verhältnisse geradezu ideal). Und man ist sich nicht ganz sicher, ob nicht gleich die nächste Überraschung vor der Tür steht. Und nicht anders war es: Denn die Krönung dieses ohnehin schwer begreiflichen Erlebnisses war die Ankündigung, dass Merle Haggard am Neujahrstag an gleicher Stelle auftritt. Was will man da eigentlich noch mehr? 

Eigentlich nur die Eintrittskarten! Also ran ans Telefon. Am schlimmsten war an jenem 29. November die Warterei, bis das Büro in Bakersfield endlich besetzt war. Diese 9 Stunden Zeitunterschied bringen einen um! Doch es klappt alles. Die Karten sind bestellt. In den nächsten Wochen bis zum Ereignis bangt man eigentlich nur noch um einige gute Plätze. Doch dann galt es noch einen Schrecken zu überstehen, als wir am Silvester-Morgen die gebuchten Karten an Ort und Stelle abholen wollen: Karten für Struebing? Die können wir leider nicht finden. Das Management wird eingeschaltet. Irgendjemand kommt dann auf die Idee, sich meinen Vor- und Zunamen geben zu lassen. Und was glauben Sie wohl, was die fröhlichen Geister im Giftshop des Crystal Palace gemacht hatten? Die Karten waren unter dem Vornamen abgelegt. Gott sei Dank! Und ab geht´s zunächst mal beruhigt auf die „Streets of Bakersfield“ und zum nächsten HomeTown Buffet.

Die Bilder (von oben nach unten):

Old School Country mit Buck, Dwight and Brad in Bakersfield