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Old School Country mit
Buck, Dwight and Brad in Bakersfield
Von Hauke Strübing 

Buck Owens´ Crystal Palace Steakhouse in Bakersfield. Bild: Hauke Strübing, 2005

31. Dezember 2004 in Bakersfield. Die Eintrittskarten für die „New Years´Eve-Party“ waren gecheckt.. Die Fahrt morgens vom regnerischen Orange County auf der Interstate 5 durch Los Angeles und über den Tejon Pass war verdaut – Bakersfield präsentierte sich in bester Wetterlaune. Es ist eigentlich verwunderlich, auf welche Wetterverhältnisse man auf kürzester Entfernung trifft. 111 Meilen sind schließlich keine Weltreise. Schnell noch die Eintrittskarten zur ewigen Erinnerung als Ganzes fotografiert. So gegen 17 Uhr 15 geht´s rüber zum Crystal Palace, diesem kleinen „Palast“, den sich Buck Owens Mitte 1996 für eine Form der Selbstverwirklichung gebaut hat und nun Wochenende für Wochenende freitags und samstags dort selbst auftritt, andere Gäste auftreten läßt (z.B. am 12. Februar 2005 Ray Price, am 23. Februar 2005 Mark Chestnut) oder zu special events einlädt. 

 

Der Crystal Palace hat sich wenig verändert. Wie beschreibt man ihn am besten? Ein großes Holzgebäude mit einem großen Saal, die Ränge wie in einem Theater, in einem Opernhaus angeordnet. Vorne eine große, offene Bühne, davor die Tanzfläche und schließlich der hufeisenähnlich angeordnete Zuschauerraum mit Tischen und Stühlen auf 3 Etagen. Die Tische sind wichtig, denn der Crystal Palace ist für die heimische Bevölkerung in erster Linie das „Crystal Palace Steakhouse“. Im Eingangsbereich der „Giftshop“, wo man sich nun eindecken kann mit allerlei Nützlichem und mit Hinweis auf Buck Owens. Beim 5., 6., 7. Mal wirft man seinen Blick eher auf die CDs, ob vielleicht die eine odere neue dabei ist: Von den am 8. Januar 2005 in BILLBOARD angekündigten drei neuen DVDs mit Aufnahmen der TV-Serie „The Buck Owens Ranch Show“ aus den Jahren 1966 bis 1973 noch keine Spur. Noch ist es zu früh. Die ersten Besucher wurden dann um 17 Uhr 30 eingelassen und ab 18 Uhr 30 wurde serviert. Wer im Crystal Palace einmal gegessen hat, wird dies lange nicht vergessen: reichlich bis überreichlich die Mahlzeiten – auch an diesem Silvesterabend: ein Shrimp Appetizer, ein Show Starter (Soup oder Salad), dann  entweder ein Slow Roasted Prime Rib, ein Grilled Kansas City Strip vom Angus Beef, ein Grilled Halibut Filet oder ein Mushroom Chardonnay Chicken. Auch Buck´s Famous Desserts waren im Preis inbegriffen, ebenso die Getränke soweit sie nicht alkoholischer Natur waren: die Flasche Bier kostete 5 $ extra. Getrunken wird aus der Flasche. 

Auch auf der Bühne tut sich etwas. Im Vorprogramm zum großen Ereignis tritt Steve Davis & Stampede auf, eine lokale Country-Größe, der durch seine wunderschönen Keith Whitley-Interpretationen auffällt. Doch die Besucher sind im Augenblick noch mit ihren Riesenportionen beschäftigt. Anders als bei uns beschäftigt sich der amerikanische Besucher in der Hauptsache mit seinem Dinner und erlebt die Musik eher im Hintergrund. Das wird einmal mehr während des Auftritts von Gus Flamingo deutlich, der vergeblich versucht, seine Zuhörer mit Standups zu interessieren. Statt erwartetem Beifall und gelegentlichen Lachern pflegen Amerikaner vor, beim und nach dem Essen zu plaudern. Sie reden und reden und reden miteinander, sie unterhalten sich ohne Ende. Wenn Sie mich nach einer Eigenart der Amerikaner fragen: Sie unterhalten sich bei jeder Gelegenheit ohne Unterlass. Treffen zwei Amerikaner aufeinander plappern sie bei jeder Gelegenheit, ist er allein, spricht er bestimmt mit seinem Handy.  

Dieser Redefluss kommt erst gegen 21 Uhr 30 zum Stillstand, als der Hausherr die Bühne betritt. Von diesem Zeitpunkt an (bis kurz vor 1 Uhr) war dann Schluss mit der allgemeinen Ruhe. Die Tanzfläche füllte sich mit begeisterten Zuschauern, die es vor ihren großen Portionen nicht mehr aushielten. Bewaffnet mit Kameras hielten sie ihre Position bis zum letzten Takt. Buck Owens, im August 2004 inzwischen 75 Jahre alt geworden, präsentierte sich in bester Verfassung. Er war gut aufgelegt, hatte eine gute Stimme und legte nun einen Gang los durch sein riesiges Repertoire. Hinter mir, neben mir bekam er ständig Zurufe: Buck Owens! Buck, you´re the greatest. Ich hatte ihn zuletzt im September 2003 an gleicher Stelle erlebt und war zugegebenermaßen damals enttäuscht. Keine Spur mehr von den damaligen Schwächen an diesem unvergesslichen Silvesterabend. Es lag wohl auch an dem eingespielten Team der Buckaroos, die zwar vor zwei Jahren auch so hießen aber eben nicht die gleichen waren. 30 Jahre und mehr singt er nun sein „Together Again“, „Act Naturally“, „I´ve Got A Tiger By The Tail, „Big In Vegas“ und und und. Wenn  man Glück hat, konnte man es in den Ursprungszeiten miterleben. Auf jeden Fall auf Vinyl. Zu allen Zeiten waren seine Lieder gewisse Reißer. Dann hat es nichts Neues mehr gegeben, und man hört sich „Act Naturally“ und „I´ve Got A Tiger By The Tail“ und „Big In Vegas“ immer (wieder gern) noch einmal an. Inzwischen hat Buck Owens eine etwas abgewandelte Form sein früheren Bühnendarbietungen entwickelt. Irgendwann begleitet er sich selbst auf der Mandoline, dann mit der Fiddle und dann auf einer Dobro Guitar, die er seinem Publikum aber zunächst einmal erklärt. Irgendwie gewinnt man den Eindruck, er unterstelle, dass das Dobro etwas völlig Unbekanntes sei – zumindest an der Westküste in Bakersfield im Crystal Palace. Das Dobro sei entwickelt worden von den Dobrintschky Brothers oder so ähnlich aus der Tscheslowakei. Aber lieber Buck, es ist ganz einfach: Die Dopera Brothers erfanden das Dobro, und der Name des Dobro leitet sich ab von DOpera BROthers. Aber, whatever!  

Ich hatte nie das Glück, Buck Owens in seinen jungen Jahren zu erleben. An diesem Abend war er nicht weit davon entfernt. Und ich auch nicht. 

Inzwischen rinnen die Minuten dahin. Knapp eineinhalb Stunden noch bis zum Jahreswechsel. Ich kehre kurz zum Tisch zurück, was sich als Fehler erweist. Auf der Tanzfläche vor der Bühne wird es eng. Also zurück an die Reling. Gespannte Blicke in Richtung Bühnenaufgang. Und dann platzt die Stimmung. Dwight Yoakam kommt. Seine Musik habe ich kennengelernt im Jahr 1986, als er - und noch mehr Randy Travis - eine neue Aera in der Country Music einläutete. Außer seiner Musik hatte ich bislang keine großen Vorstellungen von ihm, wie er sich gibt, was er so treibt auf der Bühne. Wenn ich seine Musik von Platten höre, müßte jetzt indes etwas Bewegung auf die Bühne kommen – habe ich gedacht. Und ich überlege heute noch, ob ich nun den wahren Dwight Yoakam oder einen anderen Dwight Yoakam erlebt habe. Auf jeden Fall nimmt er Platz auf einem Barhocker, und nicht nur das erinnert mich an einen gewissen Don Williams an gleicher Stelle vor zwei Jahren: Dwight Yoakam nimmt Platz und spielt nun 45 Minuten oder so sein Programm runter – auf dem Barhocker sitzend. Begleitet wird er von einem Gitarristen. Und nun passiert das: Er spielt, er singt, er spielt und singt, und dann auf einmal bewegt er seine Beine. Sitzend. Seine Knie gehen auseinander und wieder zusammen. Hinter mir und neben mir geht ein Sturm der Begeisterung durch die Zuschauer. Und das wiederholt sich unendlich viele Male. Irgendwie bin ich perplex: Da sitzt jemand und bewegt seine Gliedmaßen, und das Volk tobt. Und dann erst als er tatsächlich einmal aufsteht! Irgendwie und irgendwann muß ich in der Vergangenheit etwas verpaßt haben. Und bin nun froh, dass ich es jetzt miterleben konnte.  

Mittlerweile etwas hörgeschädigt (direkt neben einem Lautsprecher stehend) versuche ich die Musik von Dwight Yoakam zu ordnen und muß feststellen, dass manche Mitmenschen, die sich nicht hauptsächlich mit der Country Music befassen, richtigerweise zu dem Urteil kommen können, dass in der Country Music manches Lied wie das andere klingt und dass diese Mitmenschen die Lieder eines Künstlers wenig von einander unterscheiden können. Oder wie sie es anders sagen: Ein Lied klingt wie das andere in der Country Music. Dieser Gedanke schoss mir am 31. Dezember 2004 so gegen 23 Uhr 10 auch einmal während des Vortrags von Dwight Yoakam durch den Kopf. Ein Eindruck, der hauptsächlich deswegen entstand, weil er quasi nur mit einer Ein-Mann-Band auf der Bühne stand und keine instrumentale Abwechslung brachte. Anyway, Dwight Yoakam in Mini-Besetzung einmal im Leben (so nah) erleben oder gar nicht? Die Antwort habe ich mir schnell gegeben. Und schließlich sang er auch noch die „Streets Of Bakersfield“. Und von da an war die Welt für mich wieder vollkommen in Ordnung. 

Buck Owens, Dwight Yoakam and featuring Brad Paisley”: Inzwischen war das Jahr weit vorangeschritten. Gegen 23 Uhr 30 betrat der dritte Hutträger an diesem Abend die Bühne: Brad Paisley (Der Begriff des Hutträgers kam damals Anfang der 80er Jahre mit George Strait so richtig auf, und die Frage war nur noch: schwarz oder weiß). Wenn mir vor einem halben Jahr jemand gesagt hätte: am 31.12. siehst du und erlebst du Brad Paisley aus allernächster Nähe, dann hätte ich ihm weiß Gott auch was gesagt. Aber irgendwie verbinden sich meine letzten USA-Aufenthalte tatsächlich mit dem Sänger Brad Paisley: Mit „Me Neither“ kam alles ins Rollen, dann auf der Bühne der Opry im April 2002 und nur ein halbes Jahr später ein Konzert in Los Angeles (Brad Paisley 2002 in Los Angeles). Und jetzt steht er hier auf Tuchfühlung im Crystal Palace, den noch nicht einmal der Ausfall seiner Gitarre aus der Ruhe bringt: Er geht während der Darbietung zu seinem Gitarristen, nimmt ihm lächelnd die Gitarre weg – und weiter geht die Show. Brad Paisley ist einer jener jungen Stars, die sich der guten alten Country Music verschrieben haben. Ein Bannerträger der Old School Country Music. Ein Begriff, der hier an der Westküste der USA lebendig und gebräuchlich ist für Country Music, die sich als solche anhört. Mit Leichtigkeit spult Brad Paisley sein Programm ab: Er singt und zwischendurch stellt er seine Fähigkeiten als Gitarrist unter Beweis. Und schließlich singt er auch die „Streets Of Bakersfield“. 

Inzwischen ist es Mitternacht geworden. Auf den Bildschirmen wird das Ten, Nine, Eight.....Three, Two, One vom Time Square in New York eingespielt: Happy New Year. Und alle sind zufrieden. Vor allem auch damit, dass der Abend mit Buck, Dwight und Brad noch lange nicht zu Ende ist. Nur ein stiller Wunsch erfüllt sich nicht mehr: Zu einem gemeinsamen Vortrag der „Streets Of Bakersfield“ mit Brad, Buck & Dwight kam es dann nicht mehr. Irgendwo im Hinterstübchen haben die beiden anderen Größen der Country Music wohl ihr Glas gehoben. Der Abend war aber ohnehin die helle Freude.

Copyright Hauke Strübing 2005