Webb Pierce: Caught In The Webb
Sängerin Gail Davies produzierte eine CD mit 21 Webb Pierce-Hits/Erinnerung an eine Country-Legende
Von Hauke Strübing

Das erste, was ich von Webb Pierce hörte, war seine Aufnahme "More And More". Als nächstes hielt ich die Decca-Single mit "More And More" in den Händen, nur leihweise. Dann - Country-Laie der ich damals war - amüsierte ich meine amerikanischen Freunde aus der Housing Area, indem ich den guten Webb Pierce umtaufte in Pierce Webb. Ja meine Güte, woher sollte ich denn auch die Namen all dieser mir unbekannten Leute kennen, wo doch viele Jahre später ausgewachsene Rundfunk-Moderatoren immer noch nicht wußten, wie man den Namen der Louvin Brothers ausspricht, und andere nicht wußten, daß die Sängerin Norma Jean nicht Marilyn Monroe ist!

Danach war die Aufnahme "More And More" meine alle Zeiten überstehende Lieblingsaufnahme (neben "You Are The One" von Carl Smith). Später erfuhr ich gar Merkwürdiges: Webb Pierce habe auf seinem Anwesen in Nashville einen Pool in Gitarrenform, wo unsereins doch noch nicht einmal einen Fuß in einen Pool gesteckt hatte. Mit der Zeit kamen die nächsten Erfahrungen: Webb Pierce hatte bereits bis dato eine so tolle Karriere hingelegt, wovon andere nur träumen können:

1952: Wondering 4 Wochen # 1
1952: That Heart Belongs To Me 3 Wochen # 1
1952: Back Street Affair 4 Wochen # 1
1953: It´s Been So Long 8 Wochen # 1
1953: There Stands The Glass  12 Wochen # 1
1954: Slowly 17 Wochen # 1
1954: Even Tho´ 2 Wochen # 1
1954: More And More 10 Wochen # 1
1955: In The Jailhouse Now 21 Wochen # 1
1955: I Don´t Care 12 Wochen # 1
1955: Love, Love, Love 13 Wochen # 1
1956: Why Baby Why (mit Red Sovine) 4 Wochen #  1

 

Und dann die bittere Erfahrung, daß an all diese wunderschönen Webb Pierce-Aufnahmen nicht heranzukommen war. Das dauerte noch Jahre, doch immerhin gab es ja das Tonbandgerät und AFN, und damit war fürs erste Abhilfe geschaffen. Irgendwann in späteren Jahren ergatterte man auf die eine und andere Weise Langspielplatten und Singles des Verehrten - manche im Original, andere wiederum in einer (gar nicht so geschätzten) Stereo-Zweitfassung: Es war die Periode, als die Musikindustrie in den USA ihre vormals monauralen Aufnahmen in Stereo umgossen und dem Gesang eine neue Instrumentalfassung beifügten. Nichts Halbes und nichts Ganzes, aber jetzt hatte man wenigstens etwas. Mitte der 70er Jahre erschienen dann bei TELDEC auf der "Western Express"-Doppel-LP (Tupelo County Jail/Why Baby, Why/In The Jailhouse Now/Sparkling Brown Eyes), auf der "Golden Era of Country & Western"-Doppel-LP (More And More/Why  Baby, Why [weil´s so schön klingt gleich nochmals]/Walking The Streets/Finally [Duett mit Kitty Wells]) und auf der LP "Country Cream" (Sweet Lips) mit Hilfe und Zutun des Verfassers dieser Zeilen einige der bedeutenden Webb Pierce-Aufnahmen in der Originalfassung. Und bereits 1971/1972 auf den beiden TELDEC Samplern "All-Time Country & Western Hits" die Originale von "Wondering", "I Ain´t Never" und "Slowly". BEAR FAMILY RECORDS veröffentlichte dann zur Freude aller Webb Pierce-Anhänger 1990  die Box "Webb Pierce, The Wondering Boy 1951 - 1958" mit 4 CDs und sämtlichen Aufnahmen dieser Jahre (BCD 15522). Eine wahre Fundgrube für den Country-Sammler und den Webb Pierce-Anhänger im Besonderen. Eine Box, die es immer noch gibt, Freunde!

Webb Pierce ist einer der Großen der Country Music. Die 70er Jahre waren nicht gerade gnädig mit ihm. Danach geriet er völlig zu Unrecht in Vergessenheit. Die Country Music Hall Of Fame in Nashville ziert sich mit seinem Personenwagen, den Webb Pierce mit Pistolen, Gewehren und sonstigem Schnick-Schnack ausrüstete. Ein Gag wohl in den 50er Jahren. Ulkig heute. Aber seiner Bedeutung in der Country Music wird dieses Utensil beileibe nicht gerecht. Webb Pierce starb am Sonntag, dem 24. Februar 1991.

Nun wurde es wirklich Zeit, daß man sich seiner erinnert. Anfang dieses Jahres erschien in den USA die CD "Caught In The Webb/A Tribute To The Legendary Webb Pierce" (Koch Records/Audium 8146). Mit 21 seiner Hits, die hier im Text fett hervorgehoben sind und weiteren Titeln: "I´m Tired/If You Were Me (And I Were You)/I´m Walking The Dog/That Heart Belongs To You/Honky Tonk Song/That´s Me Without You/It´s Been So Long/No Love Have I"). Vorgetragen von Dale Watson, Mandy Barnett, Charley Pride, Rosie Flores, George Jones, Dwight Yoakam, Emmylou Harris, Robbie Fulks & Joy Lynn White, Allison Moorer, Matt King, Crystal Gayle, The Del McCoury Band, Lionel Cartwright, Guy Clark, Gail Davies, Willie Nelson, BR549, Kevin Welch & Deborah Pierce, Trent Summar, Billy Walker und Pam Tillis. Einige Aufnahmen hervorragend, andere gewöhnungsbedürftig, wer das Original kennt, und allesamt produziert von Gail Davies, die sich hiermit verdient gemacht hat - allein der Tatsache wegen! Natürlich war es wohl schwierig für jeden der Interpreten, diese Lieder zu singen, wo sie doch schon von Webb Pierce für alle Zeiten und die Ewigkeit in eine endgültige Fassung gegossen waren. Ein Fehler haftet dieser CD noch an, man muß es leider und bedauerlicherweise sagen: Die meisten Interpreten dieser CD werden heute konsequent vom US-Country-Radio ignoriert mit der Folge, daß "Caught In The Webb" nur ein kurzes Zwischenspiel in der Hitparade gab und zum Insider-Tipp verkommt.

Ich habe es in den vergangenen Jahren anläßlich meiner Besuche in Nashville immer als Pflicht einem großartigen Sänger gegenüber betrachtet, das Grab von Webb Pierce auf dem Woodlawn Cemetery am Thompson Lane in Nashville aufzusuchen. In Zukunft muß ich auch darauf verzichten, weil das Grab inzwischen eingeebnet worden ist. Das Foto auf dieser Seite stammt vom Oktober 2000.