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Country Stars in Schwäbisch Hall

Ein ganz persönlicher Rückblick von Hauke Strübing

Country Stars in Schwäbisch Hall, Erinnerungen werden wachgerufen an eine Zeit, als Country Stars aus Nashville kurz um die Straßenecke auftraten und man davon keinen Wind bekam; als es in Deutschland Country-LPs in Hülle und Fülle gab - nur eben nicht für das deutsche Publikum. Es war die Zeit, als die Amerikaner in vielen deutschen Städten in ihren Camps lebten, direkt neben uns - aber dennoch in einer ganz anderen Welt. Es war die Zeit, als das PX (post exchange) das Zauberwort für jeden Deutschen war, als in den NCO-Clubs Shows mit US-Künstlern stattfanden, von denen wir Deutsche nur träumen durften. Und es war die Zeit, als deutsche Plattenfirmen Country-LPs preßten, die für uns deutsche Käufer nur über sogenannte "Auslandssonderdienste" der Firmen erhältlich waren - wenn überhaupt!

In einem dieser NCO-Clubs erlebte ich am 29. 10. 1960 in München die erste Show eines leibhaftigen Country-Stars. Es war Roy Acuff mit seinen Smoky Mountain Boys. Erst viele, viele Jahre später, ich begann gerade meine zweite Phase Country Music auszuleben, entschlossen wir uns, uns im Schwäbisch Haller Camp Dolan einen sich in Gründung befindenen Square Dance Club anzuschließen, weil ich mir dadurch versprach, näheren Kontakt zur Country Music zu finden. Das war im Sommer 1973. Während unsere Kinder im NCO-Club herumtobten, versuchten wir uns an den Figuren. Caller war ein US-GI, der uns nun in die Geheimnisse des Square Dance einführte: Kein Alkohol, die Arme bedeckt und immer sittsam sein. Und dann las ich bei einem der Square Dance-Übungsabende etwas, was mir den Atem erschlug:

Am 16. September 1973 treten hier im NCO-Club die Wilburn Brothers auf!

Das war für mich so ähnlich wie Weihnachten und Neujahr an einem Tag mit Brunch am Ostersonntagmorgen: Denn das Gesangsduo Teddy & Doyle Wilburn zählte in den 60er Jahren zu den Top-Stars der Country Music und zu meinen Favoriten. Wie wir die Wilburn Brothers-Show am 16. September 1973 erlebten, beschrieb ich in einem Beitrag in der Dezember - Ausgabe von COUNTRY CORNER:

Eine Reihe von Vorstellungen gaben die Wilburn Brothers für ihre Landsleute in Deutschland (vorher in Italien), nicht indes für die deutschen Country Anhänger. Außer - man hatte Glück oder Beziehungen. Eine ihrer Shows sahen wir in Schwäbisch Hall. Und wer sich sonst etwas in der 30 000 Einwohner zählenden Stadt auskennt, hätte nun Die Wilburn Brothers am 16. September 1973 in Schwäbisch Hall. Bild: Hauke Strübingausgerechnet die Wilburn Brothers hier nicht vermutet. Aber sie waren da. Die ersten übrigens nach mehr als 8 Jahren! Neun Stunden Country Music mit Tex Warner And His Westernaires, mit der Band "Nashville Shadow" und Teddy & Doyle, den Wilburn Brothers.... Es waren und sind ihre Aufnahmen aus den 50er und 60er Jahren, die die Erinnerung an das Duo nähren. Und so gab es dann auch in ihrer Show in Schwäbisch Hall viel Nostalgie....Begleitet wurden die Wilburns von den "Stickbuddies". Vermißt wurde die Steelguitar. Allerdings hätte dies für die Country Music so typische Instrument den ansonsten dumpfen Klangsalat nur etwas aufgelockert. Es lag wohl am Verstärkersystem und den nicht gerade idealen Raumverhältnissen. Knappe 60 Minuten dauerte der Zauber, dann war er vorbei. Was bleibt, ist das Erlebnis, die durch die Wilburn Brothers personifizierte Vergangenheit gesehen und gehört zu haben. Teddy - die Freundlichkeit in Person, und Doyle - der stille Part der Wilburn Brothers.

 

Was ich damals verschwieg, war eben die Tatsache, daß Doyle Wilburn recht mürrisch war, während ich mich mit Teddy noch lange nach der Show hinter der Bühne unterhielt. Doyle bequemte sich erst zu einigen Sätzen, als ich meine Überraschung aus der Tasche zauberte und fragte, ob sie diese Platte noch kennen würden: Es war die inzwischen rare Single mit der Aufnahme "Hey, Mister Bluebird", die die Wilburns gemeinsam mit Ernest Tubb im November 1957 bei (Decca Records) machten. Das ließ das Eis tauen.

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NCO-Clubs gab es in allen amerikanischen Kasernen. Die regionale Verwaltung hatte ihren Sitz in Stuttgart, lokal wurde der Berieb von angestellten Offizieren gemanagt....Das Management mußte kostendeckend arbeiten, von Stuttgart kamen nur Veranstaltungsangebote, die übernommen werden konnten, wenn die Finanzierung gesichert war.
Aus Haller Tagblatt vom 7. Februar 1998

Das erklärt auch, warum die Country Stars aus Nashville in den unterschiedlichsten NCO-Clubs aufgetreten sind, einmal hier, dann dort und in Schwäbisch Hall relativ selten. Insgesamt 7 Shows habe ich zwischen 1973 und 1979 registriert und miterlebt. Dabei handelte es sich um die verschiedensten "Kaliber". Die Wilburn Brothers waren Anfang der 70er Jahre "noch in". Ihre große Zeit waren die 50er und 60er Jahre. Zu den Top-Stars zählte 1975 der Sänger Del Reeves. Er kam 1975 nach Schwäbisch Hall. In einer Anzeige im HALLER TAGBLATT vom 11.6.1975 hieß es:

Anzeige eines Del Reeves-Konzerts im NCO-Club Schwäbisch Hall. Haller Tagblatt am 11. Juni 1975

Zum ersten Mal sprach man damals auch ganz bewußt die deutsche Bevölkerung an. Del Reeves startete am 6.6.1975 in Crailsheim eine zehntägige Tournee durch US-Clubs. Seine letzte Station hieß Schwäbisch Hall. Immerhin war auch das Interesse bei seiner deutschen Vertriebsfirma ARIOLA sehr groß: Der für das Label UNITED ARTISTS zuständige Label- Manager verbrachte an jenem Sonntag den Nachmittag bei uns.

Del Reeves am 15. Juni 1975 in Schwäbisch Hall. Bild: Hauke Strübing

1977 war dann das eigentliche große Country-Jahr für Schwäbisch Hall. Inzwischen waren die Amerikaner, was den Club betraf, (wohl hauptsächlich aus wirtschaftlichen Gründen) offen gegenüber der deutschen Bevölkerung: Gegen Hinterlegung des Ausweises an der Pforte erhielt man ohne weitere Schwierigkeiten Zugang zu den Shows im NCO-Club.Den Anfang machte 1977 der Sänger Joe Stampley, der sich auf einen starken Country Hit (Roll On Big Mama, # 1 im Sommer 1975) verlassen konnte - ansonsten im Country-Lager damals doch umstritten war. Über seine LP "Ten Songs About Her" (Epic KE 34356) schrieb ich in der Mai 1977-Ausgabe von COUNTRY CORNER:

Joe Stampley am 27. Januar 1977 in Schwäbisch Hall. Bild: Hauke Strübing

Die Musik des netten, soliden Joe Stampley bietet wenig Anlässe zu Ahas und Ohos.Das Liedmaterial ist sein Problem. Leichte Musik für Parties mit Überinstrumentierungs-lastigkeit.

Was aber auch für ein Wort! Von Joe Stampley blieb mir bis zum heutigen Tag eine Bemerkung in Erinnerung, die ich damals so recht nicht verstand: Mein Eindruck von Deutschland ist, daß es hier so sauber ist. Joe Stampley sollte jetzt mal wiederkommen!

A
ls nächster Sänger meldete sich im NCO-Club der Dolan Barracks in Schwäbisch Hall ein Texaner an: Red Steagall aus Red Steagall am 28. Februar 1977 in Schwäbisch Hall. Bild: Hauke StrübingGainesville in Texas. Ein waschechter Texaner mit waschecher Texas-Music. Am 28. Februar 1977 begeisterte er sein Publikum bei Bier und guter Laune - und mich auch. Denn Red Steagall war damals Inbegriff dessen, was wir als Country Music auslegten. Bei ARIOLA begeisterte man sich (in etwas bescheidenerem Rahmen) auch für ihn, und was lag da eigentlich näher, daß sich ein weiteres Mal (nach Del Reeves im Jahr 1975) ein Vertreter von ARIOLA nach Schwäbisch Hall begab, um sich mal das live anzuhören, was man gelegentlich auf schwarzen Scheiben zu veröffentlichen beabsichtigte. Der Name des Mannes, der sich um Red Steagall in Deutschland bemühte, ist mir noch in Erinnerung. In sehr guter sogar.
Harald Steinhauer machte sich zunächst bei EMI in Köln um die Country Music verdient und später bei ARIOLA (Don Williams!!), obwohl er - wie er mir gegenüber mal äußerte - nun gar nichts an der Steelguitar in der Country Music findet - gelinde ausgedrückt. Bei Red Steagall mußte er sich das allerdings antun. Und was mich danach angenehm überraschte, war der Einsatz der Steelguitar in einigen Aufnahmen von Nicki (I bin a bayrisches Cowgirl), die er in den 80er Jahren produzierte. Die Country Music hat bei ihm wohl doch tiefere Spuren hinterlassen, als anfangs anzunehmen war.

Red Steagall also am 28. Februar 1977 in Schwäbisch Hall, und zwei Monate später - am 27. April 1977 - schoß das Management des Haller NCO-Clubs den absoluten Vogel ab: die Country-Legende, das spätere Mitglied der Country Music Hall Of Fame (1989) Hank Thompson trat auf der kleinen Bühne im heutigen Solpark auf. Der Texaner (aus Waco) feierte damals schon sein 30. Bühnenjubiläum. Mit seiner Musik zog die Mutterstation aller Country-Sendungen in Deutschland, der AFN, uns Youngster in den 50er und 60er Jahren groß. Es war damals am 27. April ein großer Augenblick, diesen Mann einmal live zu erleben! Irgendwie in Vergessenheit geraten ist indes jegliche Erinnerung an den Auftritt der Sängerin Sue Thompson am 4.12.1977. Warum, weiß ich nicht, wenngleich doch ihre Lieder "Sad Movies (Make Me Cry)" und "Norman" Standardstücke der Country Music sind (John D. Loudermilk schrieb sie!).

Ab Herbst 1979 brachte der neue Manager des "Community-Clubs" (wie der NCO-Club jetzt hieß) neuen Schwung in "seinen Laden". Mit einem attraktiven Programm wollte William Paul Smith vor allem auch die Kontakte zwischen Deutschen und Amerikanern fördern - dies auf dem Wege, daß er den Club für Deutsche öffnete. Als ersten musikalischen Leckerbissen bot er am 6. September den Country-Sänger David Houston auf.

David Houston – ein Country-Sänger mit Vergangenheit
Konzert vor dankbarem deutsch-amerikanischem Publikum
Bei seinem mit kurzen Unterbrechungen vier (!) Stunden dauernden Auftritt stellte der Sänger eine Vielzahl eigener Lieder vor. Natürlich nahm sein Dauerbrenner "Almost Persuaded" eine Sonderstellung ein: Schließlich ist es sein Lied! Vieles kommt auch den deutschen Zuhörern bekannt vor - da sind die Melodienfolgen eines Hank Williams oder altbekannte Western-Titel der Sons Of The Pioneers, mit denen schon Ken Curtis alias Festus vor einem guten halben Jahr im Fernsehen glänzen konnte. Und vieles hört sich ganz einfach recht schön an, weil David Houstons Musik eingängig zwischen dem traditionellen Bereich rustikaler Country-Klänge und dem weichen Sound der Pop Music angesiedelt ist. Begleitet wurde David Houston von seiner Gruppe, den "Persuaders", die mit ihm erst am Mittwoch [5. September 1979] eingeflogen ist und nun in den nächsten zwei Wochen eine Reihe von Shows u.a. in Stuttgart, Berlin, Wiesbaden, Gießen und Augsburg gibt. Sein Schwäbisch Haller Auftritt war der Beginn dieser Tournee, sein erster Auftritt übrigens nach gut 14 Jahren Europa - Abstinenz. Zum letztenmal war er 1966 in Deutschland.

Mit von der Partie war noch ein anderer bedeutender Mann, der mehr im Hintergrund des Country Music-Geschäfts wirkt: Tillman Franks, Komponist einiger großer Hits und langjähriger Manager von David Houston, führte vor nun 20 Jahren Johnny Horton (The Battle Of New Orleans) zur Weltkarriere, um nur kurze Zeit darauf in dem Auto zu sitzen, in dem Johnny Horton 1960 in Texas tödlich verunglückte. Dieser Tillman Franks schrieb auch den Erfolgstitel "North To Alaska" - allerdings unter dem Pseudonym M. Phillips.Aber natürlich war David Houston die Hauptattraktion an diesem Abend, und seine Fans haben es dankbar vermerkt, daß sie ihren Star nun nach 17 Jahren im großen Showgeschäft so ganz bescheiden, so ganz einer wie sie, ganz ohne Allüren hören, sehen und erleben konnten.

Aus Haller Tagblatt vom 8. September 1979

David Houston war dann meines Wissens der letzte Country Star aus Nashville, der in Schwäbisch Hall auftrat. Der NCO-Club in den Dolan Barracks in Schwäbisch Hall-Hessental ist heute Geschichte. Mit dem Abzug der Amerikaner im September 1993 endete auch seine Existenz.

In diesem Gebäude im früheren Camp Dolan in Schwäbisch Hall-Hessental befand sich der NCO-Club, der Ort vieler Auftritte von Nashville Stars. Bild: Haller Tagblatt

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Teddy Wilburn tritt noch gelegentlich in der Grand Ole Opry in Nashville auf. Sein Bruder Doyle starb am 16. Oktober 1982. 1977 und 1978 habe ich beide kurz nochmal in Nashville bzw. London getroffen. Joe Stampley feierte Ende der 70er Jahre eine Reihe von Duett-Erfolgen mit Moe Bandy (Where´ s The Dress/Just Good Ol´ Boys). Red Steagall tat sich noch in den 90er Jahren hervor mit Western-Balladen (Born To This Land, 1993). Hank Thompson ist heute berühmter denn je und ist mit seinen 76 Jahren immer noch "on the road". Sue Thompson haben wir indes aus dem Blickfeld verloren. David Houston starb am 30. November 1993 in Nashville. Er war bis zu seinem Tod Mitglied der Grand Ole Opry. Ebenso wie Del Reeves, der heute allerdings mehr im Music Business tätig ist. Die Zitate stammen aus Artikeln, die ich für COUNTRY CORNER und für das HALLER TAGBLATT geschrieben habe.

The Wilburn Brothers.....................................16. September 1973
Del Reeves.................................................................15. Juni 1975
Joe Stampley.........................................................27. Januar 1977
Red Steagall........................................................28. Februar 1977
Hank Thompson.......................................................27. April 1977
Sue Thompson...................................................4. Dezember 1977
David Houston..................................................6. September 1979