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Unsere Country-Music-Ecke (2)
In den 70er Jahren veröffentlichte ich eine Reihe von Beiträgen über die Country Music in verschiedenen Tageszeitungen

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Unsere Country-Music-Ecke
Bill Monroe am 14. Mai 1975 in Tübingen

Und wieder steht ein Country-Ereignis von besonderer Bedeutung an. Ich hatte in vorausgegangenen Berichten, wenn in irgendeinem Zusammenhang das Wort ,Bluegrass' fiel, des öfteren den Namen Bill Monroe erwähnt. Bill Monroe gilt nicht nur, er ist der „Vater der Bluegrass Music", der diese Stilrichtung kurz nach dem 2. Weltkrieg kreierte. Den Namen „Bluegrass" verwandte man dann erstmals in den Jahren 1953/54. Pate war diesmal die Begleitgruppe von Bill Monroe: die Bluegrass Boys.

Im Gegensatz zur
moderneren Country Music trägt die Bluegrass Music auch heute noch traditionellere Züge, was sich allein in dem Einsatz der Instrumente wiederspiegelt: Fiddle, fünfsaitiges Banjo, Mandoline, Gitarre und Baß. Meist zeichnet sich die Bluegrass Music durch ein atemberaubendes Tempo aus. Fiddle, Banjo und Mandoline wechseln sich im Solo ab, wogegen die Gitarre und der Baß fast nur als Rhythmus-Instrumente eingesetzt werden. Vokalstücke werden meist mit hoher, fast schriller Tenorstimme vorgetragen.
 

In diesem Monat nun kommt Bill Monroe mit seinen Bluegrass Boys erstmals auch nach Deutschland. Am 14. Mai tritt er um 20.30 Uhr in der Neuen Mensa Tübingen (Universität), Wilhelmstraße, auf. Eintrittskarten für diese einmalige Veranstaltung sind an der Abendkasse (8 DM) oder im Vorverkauf gegen Überweisung von 6 DM auf das Konto Nr. 242 xxx Kreissparkasse Tübingen für Club Voltaire Tübingen erhältlich. Bestellte Karten werden an der Abendkasse zur Abholung bereitgehalten.

Rechtzeitig zur Bill-Monroe-Tournee veröffentlicht seine deutsche Vertrags-firma Teldec eine Langspielplatte in der Mittelpreisklasse.
Der Titel: „Bill Monroe Presents His 7th Annual Bluegrass Festival" (MCA 6.22238).

Apropos Bluegrass Music: Sicherlich erinnern Sie sich noch an unseren Bericht über die junge Amateurgruppe „Bluegrass Express" anläßlich ihres Auftritts im Schwäbisch Haller „Neubau"-Saal im November des vergangenen Jahres. Rief mich letzthin der Leiter der Gruppe an: „Wir sind von einer deutschen Schallplattenfirma im Mai zu Probeaufnahmen ins Studio eingeladen worden." Wer wollte da noch sagen, daß es mit der Country Music in Deutschland nicht aufwärts geht. Schritt iür Schritt.

Hauke Strübing

Neue Kreis-Rundschau, Samstag, 10. Mai 1975
 

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Unsere Country-Music-Ecke
Bill Monroe lächelte
Über sein Konzert am 14. Mai 1975 in Tübingen
 

Die einen nennen ihn den „Originator", den Gründer, der Bluegrass Music, die anderen schwärmen liebevoll vom „Father of Bluegrass" (Vater des Bluegrass). Gemeint ist in beiden Fällen Bill Monroe, der in diesen Tagen seine erste Deutschlandtournee beendete. 

In Braunschweig, Hamburg, Berlin, Neusüdende und Tübingen dasselbe Bild: begeisterte Zustimmung für einen Musiker, der in seiner Zeit zur Legende geworden ist. Als 16jähriger gründet er 1927 mit seinen Brüdern Birch und Charlie Monroe eine professionelle Country-Gruppe. Als die Monroe Brothers nehmen Bill und Charlie Monroe von 1936 bis Oktober 1941 insgesamt 76 Aufnahmen für RCA Victor auf. Von ihrer ersten Platte im Oktober 1936 werden 100.000 Stück verkauft. Bill Monroes Musik dieser frühen Jahre: Old Time, Mountain Music und Stringband Music. Erst im Jahre 1946 entwickelt der Musiker Bill Monroe durch eine Kombination der Saiteninstrumente Mandoline, Fiddle, Baß und Gitarre jene Stilrichtung, die heute unter dem Namen „Bluegrass" bekannt ist (das fünfsaitige Banjo wurde etwas später beigefügt).

Was den Hauptunterschied der Monroe-Musik eh und je zur Konkurrenz aus-machte, war das Mandolinenspiel. Alles andere war und ist Beiwerk und Verzierung. Wer Bill Monroe kürzlich nun in einem seiner Konzerte hörte, fand sich in seiner durch viele Plattenaufnahmen genährten Auffassung bestätigt, daß sein Stil seit bald 30 Jahren im wesentlichen unverändert geblieben ist. Eine Tat-sache, die ihm seine loyalen Anhänger „auf den Knien" danken, die ihm Kritiker indes auch als gewisse Einfallslosigkeit vorwarfen, weil er die Entwicklung der Bluegrass Music anderen Konkurrenten überließ und selbst keine Initiative mehr ergriff. Monroe ließ sich von Modeströmungen nur wenig und zunehmend weniger beeinflussen.

Bill Monroe und seine Blue Grass Boys am 14. Mai 1975 in Tübingen: Kenny Baker, Bob Black, Randy Davis (im Hintergrund), Bill Monroe und Ralph Leims. Bild: Hauke Strübing

Gerade diese Grundhaltung ließ Bill Monroe in den der mehr traditionellen Musik zugewandten Kreisen zum Idol heranwachsen. Und wie groß seine Anhängerschaft bei uns ist, zeigt das in Tübingen begeistert aufgenommene Konzert, das schließlich dank seiner Bereitschaft zu einem zweieinhalbstündigen Marathon auswuchs. Das war Bluegrass Music in Vollendung. Harmonisch und aus einem Guß. Auf der Bühne standen fünf Einzelkönner. Unter ihnen Kenny Baker, der in der Bluegrass Music als bester Fiddler anerkannt wird und seit Jahren Mitglied in Bill Monroes Gruppe, den „Bluegrass Boys", ist. Viele Enthusiasten messen ihm sogar die gleiche Bedeutung wie Bill Monroe zu. Weiter auch Bob Black (fünfsaitiges Banjo), Ralph Leims (Gitarre) und Randy Davis, ein erst 21jähriger Bassist. 

Bill Monroes Show, wenn man seinen Auftritt überhaupt als Show bezeichnen kann, ist improvisiert. Sie lebt von der Improvisation. Unermeßlich reichhaltig demnach auch das Repertoire, in dem seine Standardwerke „Blue Moon Of Kentucky", „Uncle Pen" und „Mule Skinner Blues" ebenso wenig fehlen wie ein Gopsel-Potpourri, bei dem er seine Zuhörer erfolgreich zum Mitsingen auffordert. 

Die Begeisterung des fachkundigen Publikums schlägt wie ein auffordernder Funke auf den verschlossenen Menschen Bill Monroe. Er lächelt! Und allein das schon hat Seltenheitswert. Bill Monroe nach seinem Konzert: „Ich bin überrascht über den Anklang, den ich hier vorgefunden habe. 1976 plane ich eine weitere Tournee durch Deutschland ein."         

Hauke Strübing
Neue Kreis-Rundschau, Mittwoch, 21. Mai 1975

Bill Monroe am 14. Mai 1975 in Tübingen. Bild: Hauke Strübing

Bill Monroe am 14. Mai 1975 in Tübingen. Bild: Hauke Strübing

Bill Monroe am 14. Mai 1975 in Tübingen. Bild: Hauke Strübing

Bill Monroe am 14. Mai 1975 in Tübingen. Bild: Hauke Strübing
Bill Monroe am 14 Mai 1975 in Tübingen. Bilder: Hauke Strübing

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In der TELEPOST stand in Heft 12/1975 eine Plattenbesprechung folgenden Wortlauts, der meine Antwort herausforderte:

"In dem Völkergemisch der Vereinigten Staaten von Amerika gibt es einen Musikstil, der bei der breiten Masse der Bevölkerung so beliebt ist wie "Country & Western". Eine Auslese bietet das Doppelalbum "Country & Western-Festival" (MCA 6 28 347, 24,90 DM) an. Träume von der Prärie, wehmütige Erinnerungen an Columbus, und immer wieder die Hymne auf das schöne, natür-liche Mädchen. Einfache Songs vom einfachen Leben. Wem´s gefällt."

So weit dies, und hier meine Antwort:

Erstaunlich immer wieder diese Aussage-Bemühungen, wenn es um den Begriff „Country Music" geht. Automatisch verbindet man diese Musikgattung mit Pferden, Cowboys, Prärie und Lagerfeueridylle. Die neueste Variante sind die ,,wehmütigen Erinnerungen an Columbus" -und bald glauben's dann alle! Wie man hierzulande die Country Music sieht und beurteilt, ist hanebüchen, oberflächlich und glattweg falsch. Und wenn man dann versucht, in fünf Sätzen eine Aussage über die Country Music mit einer Plattenrezension zu verbinden, dann muß das schlechthin in die Hecken gehen. Die Wildwest-Abbildun-gen auf deutschen Country-Platten sind für Musikkritiker (und auch für Rezensent Sahner) Indiz genug, bei den Klischeevorstellungen zu bleiben und nicht weiter in die diffizile Materie Country Music einzu-dringen. Allenfalls halten noch die Titel einiger Aufnahmen her, und so entstehen dann Formulierungen, die dem Kenner ein schwaches Lächeln abringen. Der Wildwest-Drall ist eine ganz spezielle verkaufstechnische Erfindung deutscher Plattenfirmen gewesen, von der diese heute partout nicht mehr abzubringen sind. Auf die Idee, daß die Country Music heute nicht mehr im geringsten etwas mit den romantischen Vorstellungen vom Westen Amerikas zu tun hat und in früheren Jahrzehnten auch nur relativ wenig, scheint hierzulande kein Rezensent zu kommen. Dabei ist die Sache doch leicht verständlich: Ihre Ursprünge hatte die Country Music in der Folklore der weißen Siedler des Appalachen-gebirges. Hier entwickelte sie sich in der Isolation regional recht unterschiedlich. In den 20er Jahren dieses Jahrhunderts begann das kommerzielle Zeitalter der Country Music. Heute ist Nashville in Tennessee eines der drei größten Musikzentren der Welt. Country Music ist das Beispiel einer total verkommerzialisierten Volksmusik, in der die Idylle von Cowboys seit Jahrzehnten keinen Platz mehr hat. Nur bei uns geistern solche Klischeevorstellungen noch herum. So ist es halt einfacher.

Hauke Strübing, 7170 Schwäbisch Hall

Anmerkung: Und nun sollte man noch wissen, um welche Platte es sich damals handelte. Kenner würden sich wahrscheinlich heute die Finger danach ablecken! Aufnahmen von Bill Monroe, Roger Miller & Donny Young, den Wilburn Brothers, Red Foley, Bob Wills, Jack & Daniel, Arlie Duff, Grandpa Jones, den Osborne Brothers, Jimmy Martin, Roy Drusky, Kitty Wells, Webb Pierce, Bill Anderson und und und.... waren bzw. sind zu hören. Aufnahmen, die teilweise erstmals (weltweit) auf einer Langspielplatte veröffentlicht wurden - einige zum ersten Mal überhaupt. Hauke Strübing, 18. Mai 2004