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Erinnerungen Kapitel 1 und 2
Wie war das mit der Country Music in Deutschland ab Mitte der 50er Jahre?
Von Hauke Strübing

 

Vorwort
Dies ist auch die Geschichte der Country Music in Deutschland, wie sie nach Deutschland kam, wer dafür verantwortlich zeichnet, dass die Country Music in weiten Teilen der damaligen Bundesrepublik wie ein Blitz bei - zumindest einem kleinen Teil - der Jugendlichen einschlug. Und ich will mit diesen Zeilen schildern, welche Spuren sie hinterließ und was sie hernach verursachte, wie sie auch das Leben beeinflusste. Ich habe meine Erinnerungen im Jahr 2000 skizziert, als es sonst nicht mehr viel zu tun gab nach gut 40 Jahren: die Rundfunkära war abgeschlossen und an die Sache mit dem Internet dachte ich noch nicht im entferntesten. Also verfaßte ich nach und nach 20 verschieden lange Kapitel meines "Country-Lebens", das verbunden war mit AFN, mit dem "Ole Hillbilly Drifters"-Club in Basel, mit Schreiben, Schreiben und Schreiben, mit Rundfunk und Radio-Sendungen. Das alles ab 1955 bis zum Jahr 2000.

Diese Erinnerungen sind teilweise persönlich, weswegen ich auch gezögert habe, sie gleich zum Start dieser Homepage zu veröffentlichen. Nach 4 Jahren Abstand fand ich indes heraus, dass das Persönliche eher eine untergeordnete Rolle spielt, die allgemeinen Aussagen für viele Leser von allgemeinem Interesse sein werden. So habe ich in meinen Unterlagen aus 40 und mehr Jahren viele Namen und Ereignisse in Beziehung zur Zeit bringen können. Fakten, die hiermit erhalten bleiben sollen.

Diese "Erinnerungen" beschreiben weitestgehend nur meinen Einzugsbereich und jeweiligen Kenntnisstand. Kommunikation fand in diesen frühen Jahren der Country Music bestenfalls per Brief und noch nicht einmal per Telefon statt. Und die damalige Zeit kann man nicht und wird man nicht mit unserer heutigen Zeit vergleichen.

1. Kapitel
Als ich die Country Music entdeckte
1955 bis März 1958

Irgendwann im Sommer 1955 war es: Vom Nachbarhaus dröhnte eine Aufnahme - immer wieder und wieder. In dem Nachbarhaus wohnte eine amerikanische Familie mit kleinen Kindern, und das Lied hieß BIMBO. "Bimbo, Bimbo where you´re gonna go. Bimbo, Bimbo what´cha gonna do" usw., usw. Wer es sang wußte ich nicht. Wie es hieß, wußte ich auch nicht, aber irgendetwas hatte es wohl mit Bimbo zu tun. Richtig vermutet! Ich mußte mich dann wohl erkundigt haben nach diesem Lied. Es hieß tatsächlich so, wie es aus dem Lautsprecher dröhnte - nämlich BIMBO. Das war der Anfang. Dass es Jim Reeves sang, nahm ich zwar zur Kenntnis - aber nicht auf. Doch ich erfuhr dann etwas, was mich weiterbringen sollte. Es gab den Sender AFN, den American Forces Network, der solche Musik spielte. Das war der Anfang einer ewig dauernden Geschichte.In Giessen damals im Sommer 1955.

In jenen Tagen hörte ich eigentlich ganz andere Musik: Verdi, Rossini, Mozart und Beethoven. Auf der Suche nach Opernmusik strich ich in der Programm-Zeitschrift (auch damals schon HÖR ZU!) alle Sendungen mit Opernmusik an. Auf diese Weise stieß ich auf eine "Opern-Sendung" beim AFN, die nicht abzusehende Folgen haben sollte. Da stand nämlich jeweils am Samstagabend um 20.05 Uhr eine Sendung mit dem Titel "Grand Ole Opry" im Programm, was mich zwar wunderte aber dann doch wieder nicht, weil die Amerikaner ihre eigenen Ausdrücke hatten: Opry für Opera - whatever! Was soll´s!. Doch was ich dann zu hören bekam, klang weder nach Verdi noch nach Rossini oder Gounod oder Puccini. Das war was anderes. Das war Country Music. Das war der endgültige Anfang einer ewig dauernden Geschichte.

BIMBO mit Jim Reeves, das war also meine erste Country-Aufnahme, die ich bewußt zur Kenntnis nahm. Über die Grand Ole Opry-Sendung stieß ich dann schnell auf die werktägliche Stickbuddy Jamboree-Sendung nachmittags um 14.05 Uhr beim AFN. Doch Radiohören war damals noch eine abenteuerliche Angelegenheit. Denn wer Radio hörte, der hörte eigentlich seinen deutschen Heimatsender mit deutschen Schlagern, mit deutschen Informationen, vielleicht auch mit klassischer Musik. Wer indes den Soldatensender AFN einschaltete, der konnte sich Mitte der 50er Jahre Ärger mit seinen Erziehungsberechtigten einhandeln. Deswegen war es zweckmäßig, nach Gebrauch die Senderanzeige immer wieder auf ihre Ausgangsposition zurückzustellen. Elvis hatte nämlich seine tiefen Spuren hinterlassen, die seitens der Altvorderen nur Verdruss schufen. Wer erinnert sich nicht an den Ausruf: "Stell´ diese Negermusik leiser!"? Oder am besten gleich ganz aus.

Bei AFN öffnete sich eine ganz neue Welt: Namen von Sängern und Sängerinnen, die ich vorher nie gehört hatte mit Aufnahmen, die so ganz anders klangen: In stärkster Erinnerung sind heute noch Hank Locklin´s "Let Me Be The One", Terry Fell´s "Truck Driving Man", Carl Smith´s "Hey Joe" und die beiden Duett-Titel "It´s You Only You That I Love" (ein Lied, das ich einige Jahre als "In An Old Rose Garden" abspeicherte) mit Hank Snow & Anita Carter sowie "One By One" mit Red Foley & Kitty Wells. Natürlich sagten mir die Namen der Künstler zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch nichts.

Meinen 1. Plattenspieler kaufte ich mir dann Ende 1955 für 108.- DM. Klingt zwar wenig - ist aber ein Haufen Geld gewesen damals und überstieg das monatliche Taschengeld (6 Mark) ins Unermessliche. Da bot es sich also an, ganz schön brav zu sein und in Gegenwart der Eltern eben nur das zu spielen bzw. zu hören, was eben opportun war und den Rest in deren Abwesenheit. Meine 1. Platte war - brav - eine 78er Schellack-Platte (30 cm) mit dem "Kaiserwalzer" von Johann Strauss: Teil 1 auf der A-Seite, Teil 2 auf der Rückseite. Meine erste 45er Single steht heute noch im Archiv: Die Elvis Presley-Single "Baby Let´s Play House/I´m Left, You´re Right, She´s Gone" bezog ich von einer damals befreundeten Familie eines in Giessen stationierten US-Soldaten. Von den Hinelines lieh ich mir für einige Tage auch meine erste Country-Single aus: "More And More" heißt sie, die hatte ich zuvor  im AFN gehört, und Pierce Webb würde sie singen". Die Hinelines brachen in fröhliches Lachen aus: Woher sollte ich armseliger Country-Nobody auch wissen, daß der Sänger von "More And More" Webb Pierce und nicht Pierce Webb heißt. Das war alles im Laufe des Jahres 1956.

Sein "angehörtes Wissen" trug man in jenen Tagen ganz allein mit sich herum. Country Music hörte man ausschließlich über AFN, Platten gab´s so gut wie keine. Und wenn es je welche gab, dann erfuhr man nichts über sie. Die erste Country-Single, die ich mir in einem deutschen Plattenladen im Januar 1957 kaufte, war der Sonny James-Hit "Young Love". Sie sollte bis weit ins Jahr 1958 auch die einzige bleiben. Inzwischen dudelte AFN seine Country-Hits hoch und runter: gut für mich, denn so konnte ich mir viel einprägen. Was ich so erfuhr und erlernte, nahm ich in einem ersten Schritt ab Mitte 1959 auf Spulentonband auf, und in einem zweiten Schritt kaufte ich mir im Laufe der Jahre und Jahrzehnte alle erdenklichen Titel auf Platten und ab November 1986 auch auf CDs zusammen.

Mit den Jahren wußte ich dann auch, wer da im Radio sang. Ich wußte auch, welchen Titel sie sangen. Wer sie allerdings waren, wie sie aussahen - das entzog sich alles meiner Kenntnis. Außer AFN im Radio gab es nichts. Und dass Jim Reeves am 6. April 1957 im Belvoir Theatre in den US-Kasernen in Giessen leibhaftig und gerade mal 1 km Luftlinie von unserer Wohnung auftrat, das ging total an mir vorbei. So war das damals.

Die passenden Aufnahmen zu diesem Kapitel:

 1955 und früher:
 Jim Reeves - Bimbo
 Hank Locklin - Let Me Be The One
 Hank Snow & Anita Carter - It´s You, Only You, That I Love
 Terry Fell - Truck Driving Man
 Webb Pierce - More And More
 Elvis Presley - Baby Let´s Play House
 Elvis Presley - I´m Left, You´re Right, She´s Gone
 Carl Smith - Hey Joe
 Kitty Wells & Red Foley - One By One

1956:
 Jim Reeves - Yonder Comes The Sucker
 Johnny Horton - Honky Tonk Man
 Carl Smith - Let Old Mother Nature Have Her Way
 Porter Wagoner - Eat, Drink And Be Merry
 Carl Smith - You Are The One
 Kitty Wells & Red Foley - You And Me

1957:
 Sonny James - The Cat Came Back
 Hank Snow - Conscience I´m Guilty
 Jim Reeves - According To My Heart
 Hank Thompson - Blackboard Of My Heart
 Marty Robbins - Singing The Blues
 Sonny James - Young Love
 Ray Price - My Shoes Keep Walking Back To You
 Jimmy Dean - The Farmer And The Lord
 Bobby Helms - Fraulein
 Porter Wagoner - I Thought I Heard You Calling My Name
 Hank Snow & Chet Atkins - New Spanish Two Step
 Webb Pierce - I´m Gonna Fall Out Of Love With You




2. Kapitel

Als ich die Country Music entdeckte
März 1958 bis April 1959

School is out! Abitur am 3. März 1958 in Giessen (Herderschule), und danach ging es dann ab in die Großstadt nach Frankfurt und ins Berufsleben. Damit verbunden war das Frühaufstehen, aber das war eher eine angenehme Seite des Lebens - und sie sollte es in den nächsten 4 Jahren auch bleiben. Denn da gab es den AFN, und der sendete werktags morgens ab 6.05 Uhr Country Music in seinem HILLBILLY GASTHAUS (bis einschließlich Freitag, 16. Mai 1958). Ab 19. Mai heißt die Sendung dann HILLBILLY REVEILLE. Sie war mein täglicher Begleiter bis 1962. Samstags lief zusätzlich die "European Country & Western Hitparade", die die Hörerwünsche der Country -Sendungen im AFN auf den Nenner brachte.

Vorbei war dann auch die Zeit des ersten Kennenlernens der Musik und ihrer vortragenden Künstler. Die Kenntnisse verdichteten sich, die Namen der Sänger und Sängerinnen wurden zum Allgemeinbegriff. Das Jahr 1958 und die nachfolgenden Jahre bildeten die Voraussetzungen für mein späteres Wirken in der Szene zunächst als Mitarbeiter bei einer Country-Zeitschrift, später als Herausgeber einer eigenen Country-Zeitschrift. Für deutsche Plattenfirmen "durfte" ich Platten zusammenstellen und Begleittexte schreiben (TELDEC, RCA, EMI, ARIOLA, PHONOGRAM, WAM). Mein Hang zum Radiomachen war unausstehlich: knapp 900 Sendungen zwischen 1971 und 1999. Die Grundlagen meines Wissens erwarb ich in diesen Jahren Ende der 50er - nach dem Motto "Drei Dinge braucht der Mensch zum Leben": Ein Tonbandgerät, ein zweites Tonbandgerät und den Verzicht auf Schlaf am frühen Morgen. Denn um 6.05 Uhr war Country Time beim AFN! Jeden Morgen. Doch die Großstadt brachte noch andere Annehmlichkeiten mit sich: Hier gab es endlich die ersten Country-Singles: Johnny Cash´s "All Over Again/What Do I Care", Don Gibson´s "Oh Lonesome Me/I Can´t Stop Loving You" und als größte Überraschung die Marvin Rainwater-Aufnahme "Baby, Don´t Go" (alle drei heute noch im Archiv). Allerdings gab´s auch Nöte: Des Deutschen liebster Country-Song in jenen Tagen, Hank Locklin´s "Send Me The Pillow That You Dream On", war mir nur für zwei, drei Tage gegönnt. Dann mußte ich sie wieder rausrücken - leider vor der Zeit mit dem ersten Tonbandgerät. In die Sammlung einverleiben konnte ich diese Hank Locklin-Aufnahme allen Ernstes erst am 5. November 1971. In den 60er Jahren war die Wiederveröffentlichung älterer Aufnahmen eben noch nicht angesagt.. Erst als die Industrie massiv auf Stereo setzte, gab´s die eine oder andere Aufnahme erneut im Angebot. Zumeist im Ausland. Zwischendurch tröstete AFN den Fan - so auch am 13. Dezember 1958, als die 10 Top Songs der European Country & Western Hitparade wie folgt hießen:

  1 Ray Price - City Lights
  2 Hank Locklin - Send Me The Pillow That You Dream On
  3 Johnny Cash - The Ways Of A Woman In Love
  4 Ray Price - Curtain In The Window
  5 Ernest Tubb & The Wilburn Brothers - Hey, Mr. Bluebird
  6 Don Gibson - Look Who´s Blue
  7 Johnny Cash - Guess Things Happen That Way
  8 Don Gibson - Blue, Blue Day
  9 Webb Pierce - Teenage Boogie
10 Johnny Cash - What Do I Care
 

*

Diese nachfolgenden 15 Aufnahmen waren im Laufe des Jahres 1958 in allen Country- Sendungen von AFN (Hillbilly Gasthaus, Hillbilly Reveille und Stickbuddy Jamboree)
rauf und runter zu hören:

Johnny Cash - Ballad Of A Teenage Queen
  Jim Reeves - Am I Losing You (die Originalversion)
 Johnnie & Jack - Stop The World And Let Me Off
 Bobby Helms - My Special Angel
 Hank Snow - Whispering Rain
  Don Gibson - Oh, Lonesome Me (A-Seite)
 Don Gibson - I Can´t Stop Loving You (B-Seite)
 Marvin Rainwater - Baby, Don´t Go
  Marty Robbins - The Story Of My Life
 Jim Reeves - Anna Marie
Hank Thompson - Squaws Along The Yukon
 Johnny Cash - All Over Again
 Webb Pierce - Tupelo County Jail
  Charlie Walker - Pick Me Up On Your Way Down
 Skeets McDonald - Welcome Home

Und die folgenden im Jahr 1959:
 Ned Miller - From A Jack To A King
 Johnny & Jonie Mosby - Just Before Dawn
 Kitty Wells - Whose Shoulder You Cry On
 Marvin Rainwater - Gonna Find Me A Bluebird
  Marvin Rainwater - Look For Me (I´ll Be Waiting For You)

Dieser Artikel wird mit 18 weiteren Kapiteln ergänzt.

Kapitel 3 (1959/1960: Tonbandjahre)