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Erinnerungen
Wie war das mit der Country Music in Deutschland ab Mitte der 50er Jahre?
Von Hauke Strübing

13. Kapitel
Die Zeitschriften- und Rundfunkjahre:
Der zweite Traum, der eigentlich der erste war

Das Jahr 1975, bis dato das interessanteste und aufregendste und in Sachen Country Music das erfolgreichste. Im Mittelpunkt steht die Rundfunkarbeit und die Arbeit an COUNTRY CORNER. Und es gibt so viele andere Erinnerungen: Zum ersten und auch einzigen Mal war ich in einem PX der US-Army, jene geheimnisvolle Shopping-Stätte, in der es alles gab und alles billig gab - so hieß es doch immer. Einmal war ich in einem PX, und zwar am 12. Juli 1975 in Heilbronn. Warum ich mich so genau erinnere? Ganz einfach. Zum einen vermerke ich mir auf meinen Plattenkäufen jeweils Tag und Ort des Einkaufs, was fast ein Tagebuch ersetzt. Die Platte, die ich damals erstand, war die Waylon Jennings-LP "Dreaming My Dreams". Ein Prachtwerk Aber ich erinnere mich noch an einen anderen Umstand, und der war viel einprägsamer. Ins PX durften nur Army-Angehörige, Deutsche hatten keinen Zutritt. Einmal drin mit einem Amerikaner gab er die dringende Anweisung, auf keinen Fall den Mund aufzumachen, da man uns Deutsche sofort erkennen würde und er Ärger bekäme. Also lief ich stumm wie ein Fisch durch das Einkaufs-Paradies. So war das mit meiner ersten und einzigen LP aus einem PX.

Kurz nachdem RCA den Sampler "The Best Of Country & West Volume 6" mit meiner Musikauswahl und meinen Linernotes veröffentlichte, war Justin Tubb auf US-Club-Tournee. Angang Dezember 1975 traf ich ihn in Frankfurt in einem US-Club. Indes das ganz große, das Jahr 1975 abschließende Ereignis stand noch aus. Don Williams, der Shooting-Star der Country Music war da. In Stuttgart-Vaihingen im Candlelite-Club der US-Army trat er mit seiner 2-Mann-Band auf (Danny Flowers und David Williamson). Am 13. Dezember 1975. IN COUNTRY CORNER # 48 vom Februar 1976 schrieb ich:

"Sein auffallend ruhiges, fast wortkarges Auftreten während seiner 70-Minuten-Show haben zwischen ihm und den Zuhörern eine spannungsvolle, eine respektvolle Distanz geschaffen. Man kann partout nicht behaupten, daß jener viel zitierte Funke diesmal von der Bühne ins Publikum übergesprungen sei. Aber irgendwie gab's die Verbindung dann doch. Nur, sie gestaltete sich viel komplizierter als sonst in anderen Shows. Don Williams gräbt sich ins Unterbewußtsein seiner Zuhörer ein. Don Williams zeigt Nachwirkung. Denn Don Williams macht keine Show im herkömmlichen Stil etwa. Er macht überhaupt keine Show. Show ist bei ihm Vortrag, das sind seine Lieder: Lied an Lied ohne verbindende Wortpassagen. Ohne Euphorie sang und sang er, als wolle er sagen: Du mußt so viel bieten wie irgend nur möglich. Man erlebte mit Don Williams einen Ästheten der Country Music."

Nach diesem Don Williams-Auftritt änderte sich einiges in Country-Deutschland. Das US-Label ABC Dot wechselte von EMI zu ARIOLA und mit ihm der Label-Manager Harald Steinhauer. Er, der noch zuvor gesagt hatte, daß ihm die Steel Guitar in der Country Music an der Nase vorbei ginge, wurde zum großen Förderer der Country Music, speziell auch für Don Williams. Und damals schon für Jimmy Buffett! 1976 und 1977 erschien das komplette Repertoire von Don Williams auf dem deutschen Markt. Man ließ Don Williams sogar eigens für den deutschen Markt ins Studio gehen für eine spezielle Version der Aufnahme "Time On My Hands". Und am 28. Februar 1977 reiste Harald Steinhauer eigens nach Schwäbisch Hall, um hier im NCO-Club in den Dolan Barracks den Auftritt von Red Steagall zu erleben.

COUNTRY CORNER wurde in dieser Zeit ein Bestandteil meines Lebens, die Arbeit stieg ins Unermeßliche. Nachdem sich meine Mitarbeiter Kurt Rokitta, Eberhard Finke, Günther Rauschenbach, Manfred Vogel und Helmut Treude schon lange eingearbeitet hatten, war es an der Zeit für eine Entlastung: Ab Heft 50 vom Juli 1976 übergab ich Günther Rauschenbach in Kassel die Redaktionsarbeit, während ich mich mit der Gestaltung befaßte. Die Druck erfolgte auf  fotografischem Wege, so daß ich jetzt Seiten gestalten konnte. Die ersten Anzeigenseiten liefen ein.

1977: Meine Sendungen beim Südfunk gehen ins dritte Jahr, seit März 1976 im neuen Funkgebäude. Inzwischen wird - man soll es glauben oder nicht - der Süddeutsche Rundfunk Abteilung Aktuelles auf mein Wirken aufmerksam. Lutz Wagner vom Studio Heilbronn kommt zum Interview. Ein Mitarbeiter vom Südfunk Fernsehen meldet sich. Er will einen Filmbeitrag für die Abendschau drehen: Zu Hause - er will mehr über die Zeitschrift COUNTRY CORNER erfahren - und im Studio während einer Sendung. Was dann auch passiert. Am Donnerstag, dem 23. Juni 1977, rückt das Fernsehteam des Südfunk Fernsehens im Studio an, man fuchtelt mir ständig mit dem Belichtungsmesser unter der Nase herum, ich moderiere derweil die Sendung Country Corner im Club 19  in aller Ruhe von 19 bis 20 Uhr und harre der Dinge, die da nun noch kommen mögen. Die Dinge kamen - nur eben anders, als ich dachte, denn der Mitarbeiter kam im Sommer 1977 während eines Badeurlaubs ums Leben. Den Film habe ich niemals gesehen, den Beitrag gab's auch nicht, nur das Tondokument ist mir geblieben: Die eigene Aufzeichnung der Sendung vom 23. Juni 1977. Wie ich übrigens auch alle anderen Sendungen (Südfunk 2, Südfunk 3 und später dann bei Radio Regional in Heilbronn) auf  Tonbändern bzw. MusiCassetten konservierte.


Der zweite Traum, der eigentlich der erste war
Bereits seit Ende 1976 hatten Monika und ich ständiges Reisefieber, denn nun stand es fest: Vom 29. März bis zum 12. April 1977 stand uns unsere erste USA-Reise bevor. Dieses Erlebnis hielten wir in verschiedenen Berichten in COUNTRY CORNER fest - u. a. in einem Reisetagebuch, das Monika unterwegs führte. Die vom Country Music Club Bavaria (Walter von Vogelstein) gestaltete Reise startete in Frankfurt, ging nach New York und von dort aus mit dem Bus nach New Jersey, Washington D.C., Roanoke (Virginia), Bristol, Knoxville, Nashville (Tennessee), Lexington (Kentucky), Charleston, Wheeling (West Virginia) und zurück nach New York. Wie es passierte, weiß ich heute nicht mehr, ich hatte aber das Glück, vor der Reise hier bei uns per Telefon die Bekanntschaft mit dem Komponisten Kermit Goell zu machen. Er bereitete uns ( Manfred Vogel, Kurt Rokitta, Monika und mir) in Nashville ein Fest auf Erden!

Doch der Reihe nach: In Roanoke, Virginia gab es zunächst die erste Überraschung: JIM EANES, der Sänger aus frühen Tagen, gab für uns 80 Teilnehmer ein Konzert. Am nächsten Tag trat der Bluegrass-Barde RED RECTOR mit der Gruppe Knoxville Grass für uns in Knoxville auf. Zuvor gab es allerdings den ersten "Crash" mit dem Veranstalter, den ich (so bin ich nun mal) vom Zaune brach, als er nämlich an Bristol, Tennessee sang- und klanglos vorbeifahren wollte, ich aber gemeinsam mit Manfred Vogel zu bedenken gab, daß man als Teilnehmer einer Country Music Reise Bristol nicht übergehen darf, jenen Ort, der als Geburtsort der modernen Country Music schlechthin gilt.  Hier wo Jimmie Rodgers und die Carter Family im Jahre 1927 ihre ersten kommerziellen Aufnahmen gemacht haben. Worauf als einziges Indiz ein Gedenkstein heute noch hinweist.

Walter von Vogelstein ließ sich überzeugen.
 

Dieser Artikel wird mit weiteren Kapiteln ergänzt. Als nächstes:
Kapitel 14: Die Zeitschriften- und Rundfunkjahre
Die 1. USA-Reise (Fortsetzung)