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Erinnerungen
Wie war das mit der Country Music in Deutschland ab Mitte der 50er Jahre?

Von Hauke Strübing

3. Kapitel
Als ich die Country Music entdeckte
1959/1960: Tonbandjahre

Nach den Jahren des Dauerzuhörens folgten ab Mitte 1959 die Jahre der Tonbandaufnahmen. Platten gab es so gut wie keine. Ein Tonbandgerät mußte also her, es war die einzige Möglichkeit, die Country Music zu speichern, zu archivieren und zu begreifen. War die finanzielle Lösung schon schwierig genug, gab es ein ganz anderes Problem: Wie konnte man das Telefunken-Gerät vor den Eltern verbergen bei gerade mal 189.- DM Gehalt im Monat? Wie sollte man erklären, dass dieses technische Gerät wichtiger war als alles andere im Leben oder ein Paar Schuhe, ein Hemd, eine Jacke? Irgendwann Anfang August 1959 besorgte ich mir das Mono-Tonbandgerät in Frankfurt, versteckte es zwei Urlaubswochen bei einem Freund, nahm dort die ersten Stickbuddy Jamborees von AFN (vom Lautsprecher über Mikrofon!) auf und zog dann nach Mühlacker in meine Bleibe. In mehr oder etwas weniger schlechter Qualität nahm ich in den folgenden Jahren einige Tausend Lieder auf in der allerdings (heute) fast untauglichen Laufgeschwindigkeit von 4,75 cm/Sekunde, in Viertel- Spurtechnik ohnehin. Begreifen kann das heute nur der, der auch weiss, dass ein 15-cm Tonband so um die 18 DM kostete. Für damalige Zeiten ein Vermögen.

Country-Kontakte mit anderen Menschen gab es in diesen Tagen natürlich auch nicht. Auch erst viel später erfuhr ich, dass AFN seine "aktuellen" Musikstücke mit teilweise Monate langer Verzögerung spielte und im Grunde bei uns eine ganz eigene Country-Welt aufbaute. AFN war im Gegensatz zu allen anderen Sendern in den USA nicht kommerziell (was wir auch nicht wußten). AFRTS presste für seine Stationen auf der ganzen Welt eigene Langspielplatten mit einem Durchmesser von 40 cm, die eben nur auf den AFN-eigenen Plattenspielern eingesetzt werden konnten. Nur diese Spezialpressungen kamen zum Einsatz, und es entwickelte sich nun vor allem bei den deutschen Hörern in den AFN-Einzugsgebieten (Bremerhaven, Berlin, Kaiserslautern, Frankfurt, Stuttgart, Nürnberg und München) eine Hörerwunscheuphorie. Die Deejays der verschiedenen Sendungen erstickten förmlich in den Wunschkarten. Ich nehme mich davon nicht aus: An jedem Tag eine Postkarte gen AFN Munich, das war die Norm. Denn nur so kam man an seine Lieder, die man mangels Platten unbedingt auf Tonband haben wollte. Und das funktionierte. Im Laufe der Monate und Jahre sammelten sich 7000 bis 8000 Aufnahmen an, viele doppelt und dreifach, weil ja auch immer die Namensnennung bei einem Wunschtitel wichtig war: from Hauke to Armin and his mother in Frankfurt. Manchmal hörte man halt seinen eigenen Namen lieber als das längst bekannte Lied. Zugegeben.

Und noch etwas anderes war bemerkenswert: Auf Grund der vielen Hörerwünsche spielte AFN Aufnahmen und machte AFN-Sänger (so will ich sie mal nennen) zu Stars, die in den USA zu keiner Zeit auch nur eine ähnliche Rolle spielten: Ja, manchmal waren die Lieder drüben überhaupt nicht einmal bekannt, und wer sie in irgendwelchen Nachschlagewerken später suchte, fand sie nicht - oder nur am Rande vermerkt: Der "Truckdriving Man" von Terry Fell, "I Guess I´m Crazy" und viele andere Lieder von Tommy Collins, Aufnahmen des hierzulande beliebten Marvin Rainwater und die Super-Aufnahme "Say Pardner" mit den Cowboys & Indians. Und wer kannte schon Anita Carter´s "Hillbilly Heaven"?

Wir natürlich!

Jim Carter spielte z. B. in seiner Sendung HILLBILLY REVEILLE zu gern den Tommy Collins-Song "Think It Over" und auch Skeets McDonald´s "Welcome Home". Und so konnte es sein, dass in den Hitparade-Sendungen von AFN am Samstagmorgen Titel auftauchten, die a) schon ewig alt waren, die b) immer wieder auftauchten und die c) vor allem in den USA oftmals gar nicht bekannt waren.
 

Einige Country-D.J.s von AFN, mit denen ich in die Country Music hineinwuchs:

Gary Harmon, AFN Bremerhaven
Jim Carter, AFN Munich
T-O-M Tom Daniels, AFN Orleans
Bill Sellers alias Wagon Wheel Willie, AFN Munich
Jerry Haymes, AFN Frankfurt
Tommy Cash, AFN Frankfurt
Woody Gosnell, AFN Frankfurt

AFN´s Country Hitparade am 5. September 1959:

1 Johnny Horton - The Battle Of New Orleans
2 Stonewall Jackson - Waterloo
3 Ned Miller - From A Jack To A King
4 Lefty Frizzell - Cigarettes And Coffee Blues
5 Don Gibson - I Can´t Stop Loving You
6 Hank Snow & Anita Carter - It´s You, Only You, That I Love
7 Faron Young - Sweet Dreams

Andere Lieder aus jenen Tagen:

 Simon Crum - Country Music Is Here To Stay
 Don Gibson - Who Cares
 Johnny Cash - Don´t Take Your Guns To Town
 George Jones - White Lightning
  Johnny Horton - The Battle Of New Orleans
 Ray Price - Heartaches By The Number
 Stonewall Jackson - Waterloo
  Buck Owens - Second Fiddle
  Don Gibson - Lonesome Ole House
  Lefty Frizzell - Knock Again True Love
  Johnny Cash - Luther Played The Boogie
 Porter Wagoner - Me And Fred And Joe And Bill
Rose Maddox - Gambler´s Love
The Wilburn Brothers - Somebody´s Back In Town4
Hank Snow - Chasing A Rainbow
 The Everly Brothers - Take A Letter To Mary
  Faron Young - Country Girl
  Mel Tillis - Sawmill
  Simon Crum - Country Music Fiddler
  Bobby Helms - New River Train
  Hank Snow - Mainliner
  George Morgan - Little Dutch Girl
  Kitty Wells - Amigo´s Guitar
  Marvin Rainwater - Valley Of The Moon
  Ferlin Husky - Black Sheep
Hawkshaw Hawkins - I´ve Got It Again
Buck Owens - Under Your Spell Again
Marvin Rainwater - That´s When I´ll Stop Loving You

Simon Crum ist Ferlin Husky. Die Aufnahmen COUNTRY MUSIC FIDDLER, VALLEY OF THE MOON und I´VE GOT IT AGAIN sind typische AFN-Lieder, die ausser uns AFN-Hörern damals kaum jemand kannte.

4. Kapitel: Als ich die Country Music entdeckte / 1960: AFN Munich