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Erinnerungen
Wie war das mit der Country Music in Deutschland ab Mitte der 50er Jahre?
Von Hauke Strübing
 

4. Kapitel (2)
Als ich die Country Music entdeckte
1960: AFN Munich

 

"AFN MUNICH, Library Sgt....“ (1)

Als mir Chuck Steiner Ende März (1961) anbot, am DRIFTERS' ROUNDUP mitzuarbeiten, habe ich mich hingesetzt und nach einem Thema gesucht, das interessant ist, und über das ich ausführlich berichten kann.  Was liegt näher, als über ein Ereignis zu schreiben, das mir stets in Erinnerung bleiben wird: ein Besuch beim AFN München.

Eine Reihe von Fragen beschäftigte mich als "steady listener" der Sendung "Hillbilly Reveille" seit einiger Zeit - vor allem interessierte mich aber, wie wohl diese Sendung "gemacht" wird. Nun, nach einigen Bemühungen fand ich die Telefonnummer von AFN Munich heraus, die übrigens 12stellig ist. Ich fasste meinen ganzen Mut und vor allem meine englischen Sprachkenntnisse zusammen und wählte: München - Munich Military, dial the number - "AFN Munich, Library Sgt. . . . ". Es war soweit! Ich verlangte nach Jim Carter. In meinem ersten persönlichen Gespräch mit Jim - sonst hatte ich ihn ja nur über den Aether sprechen gehört -unterhielten wir uns über einige allgemeine Themen. U.a. erfuhr ich bei der Gelegenheit die Anschrift der Hillbilly Drifters. Es war für mich damals ein bedeutender Augenblick, weil mir plötzlich Tür und Tor für die C&W Music geöffnet wurden, ohne die ich heute nicht auskommen könnte. Ich vereinbarte mit Jim einen Besuch beim AFN und bei der Show "HILLBILLY REVEILLE". Am 1. August 1960 wurde es schliesslich Wirklichkeit. 

Als ich nach vierstündiger Fahrt am 1.8.60 morgens um 5 Uhr in München ankam, hätte ich eigentlich müde sein sollen. Aber keine Spur davon! Im Gegenteil: das kommende Ereignis weckte mich auf und versetzte mich fast in eine aufgeregte Stimmung. Schliesslich war mein Ziel um 5 Uhr 45 erreicht. Jim Carter begrüsste mich herzlich und war natürlich erfreut über seinen "steady listener Hawkee". Wenn ich mir AFN Munich vorher als eine modern eingerichtete Radiostation vorgestellt hatte, musste ich eine kleine Enttäuschung hinnehmen. Denn dem war nicht so. Inmitten von Mietwohnungen, nicht weit vom belebten Strassenverkehr, fast zu übersehen, fand ich ein kleines Gebäude vor, das eher einer Pension ähnelte. Auch innen hatte ich zunächst den gleichen Eindruck. Sollte hier wirklich die Sendung entstehen, die eine der beliebtesten der AFN-Shows ist? Aber jeder Zweifel verflog, als ich mir meine neue Umgebung näher betrachtete. Ueberall, wo ich hinschaute, bemerkte ich Einrichtungen und Gegenstände, die nur zu einer Rundfunkanstalt passten: Lautsprecher an den Wänden, irgendwo die rote Lampe mit den Worten "Studio B on air", Bilder von Discjockeys und technischem Personal auf ausgedienten Schallplatten aufgeklebt und natürlich Schallplatten, Schallplatten, Schallplatten. Schallplatten überall, wo ich hinschaute. Ich stand in der Library und war damit beschäftigt, mir einige Schallplatten näher zu betrachten, als Jim mich aufforderte, mit ihm zu kommen. Es war 6 Uhr 05. Ich wunderte mich wegen seiner Ruhe und Gelassenheit, obwohl es schon höchste Zeit gewesen wäre für das "Hillbilly Reveille". Wir waren auf dem Weg zum Studio B, als ich das mir vertraute "By cracky it's 6.05 and arise and shine time" hörte. By cracky, dachte ich, das geht doch nicht mit rechten Dingen zu. Ich sah Jim erstaunt an und merkte ihm an, dass er sich über die gelungene Ueberraschung freute. Später erklärte er mir, dass er das Thema mit einleitenden Worten auf Band aufgenommen hat. Daran habe ich vorher noch nicht gedacht, das muss ich gestehen, obwohl ich mich manchmal gewundert hatte, mit welcher Präzision gerade dieser Anfang immer klappte. Uebrigens werdet Ihr ja schon bemerkt haben, dass Bill Sellers die Einleitung ebenfalls von Band spielt. Es war die erste Ueberraschung, deren aber noch einige folgen sollten.Im Studio angelangt gab er dem Techniker hinter der Glasscheibe das Zeichen, dass er sich selbst einblenden wollte. Ich erlebte nun in den kürzesten 25 Minuten des Tages zum ersten Mal die Sendung mit, die mich wie viele wahrscheinlich täglich immer wieder von Neuem fesselt, an der ich aber stets nur als passiver Hörer teilnahm. Was soll ich weiter sagen, als dass es ein erhebendes Gefühl war, einmal mit dabei zu sein.

(Schluss folgt) 

Zuerst veröffentlicht in DRIFTERS` ROUNDUP der Ole Hillbilly Drifters im Mai 1961