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Erinnerungen
Wie war das mit der Country Music in Deutschland ab Mitte der 50er Jahre?
Von Hauke Strübing

 

4. Kapitel
Als ich die Country Music entdeckte
1960: AFN Munich

Mit einem AFNler verband mich einige Jahre eine ganze Menge. Durch JIM CARTER kam ich schließlich an die Sachen heran, die ich von Anbeginn vermisste. Durch ihn erhielt ich auch die ersten Kontakte zum Ole Hillbilly Drifters Club, der - so würde man heute sagen - ein geniales kostenloses Marketing über AFN betrieb. Der Club veranlaßte nämlich seine Mitglieder, sich laufend beim AFN Lieder für den Club zu wünschen: Nicht für eine Person - sondern für den Ole Hillbilly Drifters Club. Die mit Namens- und Clubangaben gesendeten Musikwünsche veröffentlichte der Club dann in der nächsten Ausgabe seiner Vierteljahres-Schrift. So sorgte Chuck Steiner dafür, daß sein Schweizer Club quasi in aller Munde war. Und für mich war es damals auch die einzige Möglichkeit, endlich Kontakte mit anderen Personen zu knüpfen, die sich für die Country Music interessierten. Wie nötig das war - dafür ein Beispiel: Ausser per Hörensagen hatte ich damals keinerlei Vorstellungen, wie etwa die Namen der Sänger geschrieben wurden. So hätte sich Mr. Owens sicherlich gewundert, dass sein Vorname nicht Buck sondern "Bug" war. Die Osborne Brothers hießen bei mir für lange Zeit "The Arthur Brothers", und Roy Drusky mußte genau so lange ein "Roy Sorowksky" ertragen.

Und dann war da immer schon der Drang, mich irgendwie mitzuteilen. Auf welchem Gebiet hätte ich das auch besser können, als auf dem Gebiet der Country Music, wo ich mir im Laufe der ersten 5 Jahre doch ein profundes Wissen angeeignet hatte: Zumindest was die Aufnahmen und die Zuordnung der Lieder zu den Sängern betraf, wenngleich es mit der Schreibweise haperte. Das Jahr 1960 war auf jeden Fall das wichtigste Jahr für mich bisher. Doch die ganz großen Ereignisse sollten erst noch kommen!

Alles fing damit an, daß ich etwa im Juni 1960 meinen ganzen Mut zusammenfasste, den American Forces Network in München anzurufen, nach Jim Carter zu fragen, um schließlich tatsächlich mit ihm zu sprechen. Ich tat es! Und ich sprach mit ihm. Im Laufe der nächsten Wochen wurden die Connections immer besser, und meine Umgebung erklärte mich hinsichtlich meiner grenzenlosen Begeisterung für verrückt. Quäker-Musik nannten sie die Musik, die ich weiterhin morgens um 6.05 Uhr anhörte und jeden Tag verdammte, wenn AFN wieder einmal statt HILLBILLY REVEILLE ein Baseball-Spiel live aus den USA übertrug. Damals hasste ich diesen Sport! Ich erfuhr von Jim Carter (dank glänzendem Marketing) die Anschrift des Ole Hillbilly Drifters Club in Basel. Ich trat mit Chuck Steiner in Basel in brieflichen Kontakt. Und am 22. Juli 1960 spielte AFN meinen ersten Hörerwunsch für den Club, das Jimmie Driftwood-Lied "Wilderness Road", der dann auch prompt in der nächsten Ausgabe (Juli 1960) veröffentlicht wurde. Im Dezember 1960 bekam ich in Sersheim
 


Charles "Chuck" Steiner, Hauke Strübing, Robert Schilling

überraschenden Besuch aus Basel: Chuck Steiner erschien auf der Bildfläche - mit Robert Schilling aus Waiblingen. Ich wurde Mitglied im Club und machte den beiden gleich unmissverständlich klar, dass ich etwas mehr für die Country Music tun wolle, als sie mir nurmehr anzuhören: Ich wollte für deren Clubzeitschrift schreiben. Denn inzwischen gab es zwei Schlüsselerlebnisse in meinem Country Music-Leben, zwei Erlebnisse, die sich nie aus meiner Erinnerung stehlen werden. Zum einen war es mein erster Besuch beim AFN in München in der Kaulbachstraße. Zum anderen traf ich ebenfalls in München erstmals einen Country-Sänger in persona - und dazu gleich einen Country-Star!

Der AFN-Besuch ist in der Mai 1961-Ausgabe der Zeitschrift DRIFTERS´ ROUNDUP des Ole Hillbilly Drifters Club dokumentiert. Hier einige Auszüge.

Ich fasste meinen ganzen Mut und vor allem meine englischen Sprachkenntnisse zusammen und wählte: München - Munich Military...dial the number...AFN Munich, Library Sgt... Es war so weit! Ich verlangte nach Jim Carter. In dem ersten persönlichen Gespräch unterhielten wir uns über einige allgemeine Themen.....Und ich vereinbarte mit ihm einen Besuch beim AFN. Am 1. August 1960 wurde es schliesslich Wirklichkeit. Als ich nach vierstündiger Fahrt am 1.8.1960 morgens um 5 Uhr in München ankam, hätte ich eigentlich müde sein sollen. Aber keine Spur davon! Im Gegenteil: Das kommende Ereignis weckte mich auf und versetzte mich fast in aufgeregte Stimmung. Schließlich war mein Ziel um 5 Uhr 45 erreicht: AFN in der Kaulbachstraße. Jim Carter begrüßte mich, seinen "steady listener Hawkee"....Ich stand in der Library und war damit beschäftigt, mir einige Schallplatten näher zu betrachten, als Jim mich aufforderte, mit ihm zu kommen. Es war 6.03 Uhr. Ich wunderte mich über seine Ruhe und Gelassenheit, obwohl es schon höchste Zeit gewesen wäre für das HILLBILLY REVEILLE. Wir waren auf dem Weg zum Studio B, als ich das mir vertraute "By cracky, it´s six-o-five and arise and shine time" hörte. By cracky, dachte ich, das geht doch nicht mit rechten Dingen zu. Ich sah Carter erstaunt an und merkte ihm an, dass er sich über die gelungene Überraschung freute. Später erklärte er mir, dass er das Thema mit seinen einleitenden Wort auf Band aufgenommen habe....Im Studio angelangt gab er dem Techniker hinter der Glasscheibe das Zeichen, dass er sich selbst einblenden wollte. Ich erlebte nun die kürzesten 25 Minuten des Tages zum ersten Mal live mit.

Alle Musikstücke kamen damals noch von Schallplatten, die in überdimensionaler Größe (40 cm Durchmesser) speziell für die Stationen des AFN gepresst wurden. Sie waren deshalb nur auf ganz speziellen Plattenspielern abspielbar. Kommerzielle LPs und Singles durften die D.J.s beim AFN nicht spielen, was sie dennoch taten, wenn auf die aktuellen Aufnahmen wieder mal zu lange gewartet werden musste. Denn mittlerweile funktionierte das Informationssystem unter den Country-Anhängern besser, und man bekam ohne viel Zeitverlust schnell mit, ob Porter Wagoner, Faron Young, Jim Reeves, Kitty Wells oder Marty Robbins drüben in den USA eine neue Platte hatte. Chuck Steiner verstand es zudem schlau, die von ihm bevorzugten STARDAY-Platten bei Jim Carter und AFN einzuschleusen, so dass man bevorzugt auch Bill Clifton (Walking In My Sleep), Frankie Miller (Blackland Farmer), Cowboy Copas (Alabam) u.a. hören konnte.

AFN München besaß damals als eine der kleinsten Sendestationen ca. 20 000 Schallplatten, AFN Berlin vergleichsweise ca. 30 000. Und nicht jeder AFN verfügte auch über das gleiche Material. Ich erinnere mich noch, dass eine meiner Lieblingsmelodien die Aufnahme "Don´t Laugh" mit den Louvin Brothers war (und noch ist). Gehört hatte ich das Lied in einer der Nachmittagssendungen von AFN Frankfurt. Jim Carter berichtete mir später stolz, daß er sich das Lied von Frankfurt geholt habe. Bei der schon sprichwörtlichen Gelassenheit, die den Amerikanern anhaftet, eine Glanzleistung! AFN Munich - das war also mein erstes Schlüsselerlebnis. Es war nicht der einzige Besuch in München bei Jim Carter. Daraus entwickelte sich eine Bekanntschaft auf freundschaftlicher Basis. Ich wurde Gast in seinem Haus. Da er mit seiner eigenen Band in amerikanischen Soldaten-Clubs auftrat, hatte ich auch hier schnell Zutritt.

In München in den McGraw Kasernen (wenn ich mich richtig erinnere) hatte ich dann mein zweites Schlüsselerlebnis im Jahr 1960. Roy Acuff und seine Smoky Mountain Boys waren vom 2. Oktober bis zum 18. Dezember 1960 auf einer ihrer Tourneen durch amerikanische Soldaten-Clubs. Wie es später hieß, trat Roy Acuff in diesen Wochen vor mehr als 250 000 Menschen auf - und einer unter ihnen war ich. Allein das Erlebnis, einen Country-Sänger live zu hören und zu sehen, war für mich

Archiv Hauke Strübing

schlichtweg ergreifend. Roy Acuff - dieser Mann war nicht eben mal ein Sänger, der morgen wieder von der Bildfläche verschwand. Roy Acuff, das war eine Legende schon zu Lebzeiten, einer der Großen der Country Music! Vergleichbar nur noch mit Hank Williams. Und ihm stellte mich Jim Carter nach seiner Show vor. Ich versank im Boden! Am 29. Oktober 1960 war das. 17 Jahre später, inzwischen um eine Menge Country-Erfahrungen reicher, traf ich Roy Acuff dann noch einmal wieder, diesmal hinter der Bühne der Grand Ole Opry in Nashville, Tennessee.

Nun konnte ich mir etwas einbilden. Ich hatte einen Country-Star erlebt. Ich wußte, woher die Musik kommt, die mich jeden Morgen außer sonntags aus den Federn holte - manchmal nur mit zwei
Weckern und 1 Schaltuhr. Ich verfügte schon damals nach 15 Monaten über ein ansehnliches Tonband-Archiv. Und ich konnte inzwischen alles (oder vieles) in Unterlagen nachlesen. Doch die

Archiv Hauke Strübing

größte Hilfe war ein in Kunstleder gebundenes Werk mit dem Titel "The Original Country Music Who´s Who/Annual For 1960". Nichts blieb nun mehr dem Zufall überlassen, kein "Bug" Owens, keine "Arthur Brothers" mehr. Das Buch nimmt heute noch einen Sonderplatz in meiner Sammlung ein.

Es war AFN, und es war Jim Carter, der die Meldung am 6. November 1960 in seiner Morgensendung verbreitete: Am frühen Morgen des 5. November 1960 erlitt Johnny Horton tödliche Verletzungen bei einem Autounfall. Der Unfall ereignete sich auf einer Brücke in der Nähe der texanischen Kleinstadt Milano. 19 Jahre später versuchte ich den Unfallort bei Milano zumindest zu finden. Seinen langjährigen Manager Tillman Franks traf ich Mitte der 70er Jahre in Schwäbisch Hall. Er war mit David Houston auf US-Club-Tournee. Tillman Franks schrieb übrigens das Lied "North To Alaska" gemeinsam mit Johnny Horton. "North To Alaska" war am 9. August 1960 Johnny Horton´s letzte Aufnahme. Den Erfolg erlebte er nicht mehr.
 


Charles "Chuck" Steiner, Jim Carter (2. von links)

Als AFN am 31. Dezember 1960 seine Jahreshitparade vorstellte, waren die Hörer sichtlich erstaunt darüber, daß in dieser Zusammenstellung Lieder auftauchten, die ihre Geschichte eigentlich schon hinter sich hatten. Denn 3 der 8 Aufnahmen paßten gar nicht so in den 1960er Rahmen: "Heartaches By The Number" (Ray Price) und "The Battle Of New Orleans" (Johnny Horton) stammten aus dem Jahre 1959, Don Gibson´s "I Can´t Stop Loving You" führt gar ins Jahr 1958 zurück. Aber so war das nun mal beim AFN: Gespielt wurde das, was gefiel - egal ob von heute, von gestern oder von vorgestern.

Die Hits von 1960 - im AFN-Stil:

 Hank Snow - Miller´s Cave
 Hank Locklin - Please Help Me I´m Falling
 Ray Price - Heartaches By The Number
 Don Gibson - I Can´t Stop Loving You
 George Morgan - You´re The Only Good Thing
 Marty Robbins - El Paso
 Jim Reeves - He´ll Have To Go
 Johnny Horton - The Battle Of New Orleans
 

AFN´s Country Hitparade am 4. Juni 1960

1 Jim Reeves - He´ll Have To Go
2 Skeeter Davis - Am I That Easy To Forget
3 Harvie June Van - Poor Wildwood Flower
4 George Morgan - You´re The Only Good Thing
5 Wanda Jackson - I´d Rather Have You
6 Skeets McDonald Welcome Home
7 Marty Robbins - El Paso
 

AFN´s Country Hitparade am 30. Juli 1960

1 Skeeter Davis - Am I That Easy To Forget (* 12)
2 Marty Robbins - Big Iron (* 4)
3 Porter Wagoner - Legend Of The Big Steeple (* 5)
4 Johnny Cash - Smiling Bill McCall (* 7)
5 George Morgan - You´re The Only Good Thing (* 18)
6 Hank Locklin - Please Help Me I´m Falling (* 1)
7 Jim Reeves - In A Mansion Stands My Love (* 1)
* Zahlen in Klammern Anzahl der Wochen in AFN´s COUNTRY HITPARADE
 

AFN´s Country Hitparade am 10. Dezember 1960

1 Johnny Horton - All For The Love Of A Girl
2 Porter Wagoner - An Old Log Cabin For Sale
3 Don Gibson - Just One Time
4 Jimmy Newman - Wanting You With Me Tonight
5 Buck Owens - I´ve Got A Right To Know
6 Tommy Collins - Think It Over, Boy
7 Ferlin Husky - Wings Of A Dove


Andere Lieder aus jenen Tagen:

 Johnny Horton - Whispering Pines
 Wanda Jackson - I´d Rather Have You
 immie Driftwood - Wilderness Road
 Warren Smith - I Don´t Believe I´ll Fall In Love Today
 Roy Acuff - Don´t Know Why
 The Louvin Brothers - Don´t Laugh
 Tommy Collins - Think It Over, Boy
  Jimmy Newman - Wanting You With Me Tonight
 Johnnie & Jack - Country Music Has Gone To Town
 Bobby Helms - Lonely River Rhine
 Kitty Wells & Roy Drusky - I Can´t Tell My Heart
 Hank Locklin - One Step Ahead Of My Past
 Johnny Horton - North To Alaska

Dieser Artikel wird mit 16 weiteren Kapiteln ergänzt.

Kapitel 5: 1961 - Schreiben für die Country Music