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Erinnerungen
Wie war das mit der Country Music in Deutschland ab Mitte der 50er Jahre?
Von Hauke Strübing

6. Kapitel
1962: Schreiben für die Country Music

Kurzer Rückblick in das Jahr 1961: Am 24. Juli weilte ich in Basel zu Gast bei Chuck Steiner, der seine Schützlinge immer so hoch kommen ließ, dass sie zwar Luft holen konnten - aber möglichst nur unter Anleitung. Damals entstand jener Schnappschuß aus den frühen Tagen der "Ole Hillbilly Drifters", den Walter Fuchs in seinem 1. Buch der "COUNTRY MUSIC" auf Seite 135 veröffentlichte. Martin Haerle, damals schon in den USA bei der

 Angelika Schmidt, Martin Haerle, Hauke Strübing, Chuck Steiner 1961 in Basel. Archiv Hauke Strübing

Plattenfirma STARDAY, weilte in Basel zu Besuch, und zwei Dinge aus seinen Erzählungen blieben mir bis heute in Erinnerung: Er schwärmte vom gemeinsamen Auftritt von Kitty Wells und Roy Drusky in der Grand Ole Opry mit dem Lied "I Can´t Tell My Heart" und von der Duett-Single "Mental Cruelty" (Buck Owens & Rose Maddox), die just erschienen war.

Und in Erinnerung blieb mir auch, dass Armin, in dessen Familie ich seit 1960 lebte, trotz ständiger Tonband-Berieselung kein Interesse an der Country Music fand. Apropos "I Can´t Tell My Heart": Als ich Kitty Wells und Johnnie Wright Ende Oktober 1995 in Nashville in ihrem Museum (nahe dem Gallatin Pike) traf, erzählte ich beiden von meiner Vorliebe zu diesem Lied. Das gefiel ihnen und mir gefiel, dass die beiden 2 Tage später im neuen Ernest Tubb Theatre auftreten würden und sie das Lied für meine Begleitung und mich singen würden. Was dann auch geschah.

Nachdem Jim Carter im Februar 1961 AFN München verließ, hielt ich ständig weiter Kontakt zu ihm. Und wenn ich mich richtig erinnere, kehrte er für einige Zeit zum AFN zurück - als Privatmann, als Private. In München und

Earlybird Jim Carter, AFN Munich. Archiv Hauke Strübing

Bayern trat er mit seiner Band und Show "European Hayride" in den US-Clubs auf. In der Zwischenzeit veröffentlichte ich meine "EUROPEAN COUNTRY & WESTERN HIT-PARADE" bis Mai 1962 einmal im Monat (Auflage 100 Stück) und ab Juni 1962 sogar zweimonatlich. Die begleitenden Newsletter wurden immer umfangreicher. Denn bereits im Frühjahr 1962 leistete ich mir einen Luxus, der zwar fast unbezahlbar aber auch unverzichtbar war: Ich abonnierte die wöchentliche US-Musikzeitschrift THE MUSIC REPORTER, die über das aktuelle Country-Geschehen in den USA berichtete und neben BILLBOARD und CASHBOX die wichtigste Musikzeitschrift in den USA war. Der MUSIC REPORTER kam wöchentlich per Luftpost aus den USA. Und ich trat gleich noch der COUNTRY MUSIC ASSOCIATION (CMA) bei und wurde als 903. Mitglied der Dachorganisation der Country Music geführt. In meinen Newsletter veröffentlichte ich erste Berichte anderer deutscher Autoren, ich führte die Rubrik "Country Picks" ein mit aktuellen Plattenbesprechnungen. Die Listen mit Plattenneuheiten mit den US-Bestellnummern waren ganz aktuell. Ende Juli 1962 besuchte ich AFN Frankfurt - damals noch im Höchster Schloss - und berichtete über mein Treffen mit Woody Gosnell, der die tägliche Country Sendung in jenen Tagen betreute. Im August und September 1962 lagen der "EUROPEAN COUNTRY & WESTERN HITPARADE" erstmals Prospekte von Brunswick und Decca, von Philips und von Electrola bei.

Und dann bin ich ja so dreist und schreibe an den MUSIC REPORTER in Nashville, was ich hier so treibe. Beim Lesen des "1962 Country Special", einer Sonderausgabe des MUSIC REPORTERs am 10. November 1962, blieb wahrscheinlich nicht nur mir kurz die Sprache weg. Denn aus meinem Schreiben hatte die Redaktion vom MUSIC REPORTER gleich 2 Artikel geschmiedet. Daraus einige Auszüge:

GERMANY: COUNTRY NEWS AND RECORDS "HARD TO GET" SAYS STRUEBING
Schwaebisch Hall, Western Germany - A strapping West German named Hauke Struebing raises an uneasy question in an interview with MUSIC REPORTER. Would U.S. C & W fans remain true to the country banner if they had to order their favorite records from another country? Struebing declares, "I need your publication as a base for my newsletter". The tall, blond-headed German feels the need strong enough to pay seven times the regular price of the magazine in order to airmail it into Germany...this he pays from his own pocket. His C & W newsletter is sent free of charge. His motive: "I love this Country Music." Those are Hauke´ s words. He told MR he hopes that U.S.
C & W people respond to the dire need for help over there by at least sending records to be reviewed.

Und die kamen dann tatsächlich: Darrell McCalls Single "Dear One" und einzelne Singles von Roy Drusky (Second Hand Rose), der Louvin Brothers (Must You Throw Dirt In My Face) und Bill Anderson (Down Came The Rain, Mama Sang A Song).

Ein weiterer Artikel im MUSIC REPORTER sollte dann schlagartig vieles ändern. Ich schrieb neben meiner Publikation auch ordentlich weiter Artikel in Chuck Steiners HILLBILLY-Magazin, das er Anfang 1962 aus der Taufe gehoben hatte. Meine Spezialität waren die Hitparaden. Solange ich unter Kontrolle war und meine eigene Publikation nicht ernst zu nehmen war, war ich der geduldete Beitrag-Lieferant. Aber wehe! Als Chuck Steiner den folgenden auszugsweise wiedergegebenen Artikel im MUSIC REPORTER gelesen hatte, war es aus mit lustig: Ich fiel in Country-Ungnade. Und nie wieder sprach er ein Wort mit mir. Was mich dann auch nicht rührte.

Denn Jim Carter, mit dem der Schweizer ohnehin nicht mehr viel am Hut hatte, und ich hatten unsere Kontakte auch 1962 nicht einfrieren lassen. Vielmehr hatten wir in aller Heimlichkeit große Pläne geschmiedet. Mit seinem Geld und meinen gesammelten Erfahrungen bereiteten wir in aller Stille eine besser gestaltete Country-Zeitschrift vor als es mein bisheriges Werk war. Dabei halfen mir Peter Kandler bei der Gestaltung des Umschlagblattes und vor allem Monika Mann beim Schreiben der Matrizen. Die ganze Geschichte hieß dann EUROPEAN HAYRIDE und das 1. Heft erschien im Dezember 1962. Und der MUSIC REPORTER in den USA schrieb:

GERMANY: GERMAN C & W TRADE MAGAZINE FEATURES
Music Reporter´s "C & W BIG 50"

Muenchen, Germany - A new C & W magazine, combining the teamwork of a former AFN country music deejay and an experienced publisher in the German C & W field, is in its second month of publication. Announcement of the new publication was made by its editor, Hauke P. Struebing of Schwaebisch Hall, West Germany. Called EUROPEAN HAYRIDE, the magazine will feature the European C & W Hitparade. Another regular feature in the European trade magazine will be a reprint of the latest MUSIC REPORTER "C & W BIG 50 HITS". Publisher of the new book is Jim Carter of Muenchen, Germany. Carter is a former AFN C & W deejay. Struebing´ s announcement pointed out that his year old publication, EUROPEAN COUNTRY & WESTERN HITPARADE will be published monthly in conjunction with the new magazine. EUROPEAN HAYRIDE will include stories about C & W artists, news about country music, previews of new C & W records and pick hits of the best new singles and albums. Published on the 15th of each month, the subscription price is $2.50 per year. This figure includes both magazines.
 

Nummer 1 der EUROPEAN HAYRIDE-Zeitschrift vom Dezember 1962. Archiv Hauke Strübing Nummer 1 der EUROPEAN HAYRIDE-Zeitschrift vom Dezember 1962. Archiv Hauke Strübing Nummer 1 der EUROPEAN HAYRIDE-Zeitschrift vom Dezember 1962. Archiv Hauke Strübing

Den P. (für Peter) hatte ich mir übrigens zu diesem Zeitpunkt zugelegt, weil das recht amerikanisch klang. Und der Preis von $2.50 für 12 Ausgaben im Jahr ist auch wahr. Schon nach der Veröffentlichung der 1. Ausgabe mußte eine Mitarbeiterin allerdings ihren "Job" als Secretary-Treasurer aufgeben, weil das zu jener Zeit für eine junge deutsche Dame noch nicht üblich war, so exponiert öffentlich aufzutreten. Ihr hübsches Konterfei verschwand schon in Ausgabe Nummer 2 der EUROPEAN HAYRIDE.

Nach der Nummer 3 im Februar 1963 verschwand dann auch das Konterfei von Jim Carter aus dem Heft. Er war mit der Aufmachung des Heftes nicht zufrieden. Und irgendwann im Sommer 1963 verschwand er dann ganz aus meinem Leben. Ab August/September 1963 (Nummer 9/10) der EUROPEAN HAYRIDE gestaltete ich das Magazin allein mit Hilfe von Monika Mann, die ein Jahr später Monika Strübing war.

In der # 2 der EUROPEAN HAYRIDE (Januar 1963) veröffentlichte ich
EUROPE´s TOP 75 C&W SONGS OF 1962

  1 John D. Loudermilk - Blue Train
  2 George Jones - Aching Breaking Heart
  3 Porter Wagoner - Misery Loves Company
  4 Leroy Van Dyke - Walk On By
  5 Bill Anderson - Po´ Folks
  6 Claude King - Wolverton Mountain
  7 Don Gibson - Lonesome Number One
  8 Porter Wagoner - I Cried Again
  9 Bill Anderson - Down Came The Rain
10 Stonewall Jackson - A Wound Time Can´t Erase
11 Kitty Wells - Day Into Night
12 Hank Locklin - Happy Journey
13 Cowboy Copas - A Thousand Miles Of Ocean
14 The Wilburn Brothers - Trouble´s Back In Town
15 Sheb Wooley - That´s My Pa
16 Frankie Miller - The Picture At St. Helene
17 Webb Pierce - How Do You Talk To A Baby
18 Hank Locklin - Welcome Home Mister Blues
19 Eddy Arnold - Tears Broke Out On Me
20 Jim Reeves - A Letter To My Heart

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1962 war das Lied WOLVERTON MOUNTAIN ein Riesenhit. 20 Jahre später bereitete ich für das deutsche Magazin COUNTRY & WESTERN einen Artikel vor, der dann allerdings nie mehr veröffentlicht wurde, weil COUNTRY & WESTERN sein Erscheinen einstellte.

Vor 20 Jahren: Ein Hit macht seinen Weg
Claude King erklimmt den WOLVERTON MOUNTAIN

20 Jahre soll das nun schon her sein? Kaum zu glauben, wenn man weiß, wieviel musikalische Einfälle und Wandlungen den Muddy River in Nashville heruntergeflossen sind. Wie modern auf alle Zeiten eine Aufnahme arrangiert, instrumentiert und dann auch in den Kasten gebracht wird, das überliefern eigentlich nur sehr, sehr wenige Lieder. WOLVERTON MOUNTAIN ist einer dieser Evergreens.

Vielleicht liegt es an der eingängigen ersten Zeile dieses Liedes (They say don´t go on Wolvertain Mountain), die leicht über die Lippen geht. Natürlich ist es die einprägsame Melodie, die Merle Kilgore 1962 mit leichter Hand zu Papier brachte. Sicherlich ist es aber der eigenwillige Gesangsstil von Claude King, der durch das Umkippen der Stimme im Refrain die Tradition und wohl auch einen Gesangs-Gag des damals wirklich noch nicht vergessenen Johnny Horton fortsetzte. (Dahinter steckte natürlich auch das Bemühen des Managers Tillman Franks, der sowohl Johnny Horton und dann auch Claude King betreute, die Popularität von Horton nach dessen tragischem Tod auf Claude King zu übertragen.). Gestimmt hat an der WOLVERTON MOUNTAIN-Aufnahme dann alles. Bis zum heutigen Tage ist sie unverwüstlich - bei uns vielleicht ein bißchen mehr unverwüstlich als drüben in den USA.

Überlebt hat WOLVERTON MOUNTAIN vor allem auch dadurch in unseren Breiten, weil CBS dieses Monster immer mal wieder auf Samplern bis in die Neuzeit hineingerettet hat. Vergessen sind da schon fast die Zeiten bis Ende der 60er Jahre, als das Werk von Claude King unversehens in die Sammlerecke geriet: Der Erfolg von Claude King in den USA wollte nämlich nicht über alle Zeiten andauern, und so blieb die deutsche Pressung der Original-Single "Wolverton Mountain/Little Bitty Heart" (CBS 281 171) und der Debut-LP "Meet Claude King" Anfang 1963 (CBS 62 114) doch das wenige in Deutschland Erhältliche. Und das eben zu lange.

Es war wieder einmal AFN, der uns Claude King damals Anfang der 60er Jahre näher und aufs Tonband brachte. In einen gewissen Claude King-Zwang versetze uns aber nicht etwa WOLVERTON MOUNTAIN. Das Lied von Clifton Clowers, der eifersüchtig auf seine Tochter sah, war eigentlich schon der 3. Akt: Aufmerksamkeitsstufe 1 löste seine Debut-Single BIG RIVER, BIG MAN/SWEET LOVIN´ aus, der dann der recht stramme, in typischer Johnny Horton-Manier vorgetragene Titel THE COMANCHEROS (mit der B-Seite I CAN´T GET OVER THE WAY) folgte. Dann Anfang Mai 1962 kam eines der Country-Ereignisse des Jahres: WOLVERTON MOUNTAIN war 26 Wochen lang ein Renner in den Country-Hitparaden und im Juli/August überhaupt der Hit! Und für damalige Zeiten äußerst ungewöhnlich: Auch in den Pop-Hitparaden machte das Lied das große Rennen. In BILBOARD bis auf Platz 6!

Da in den USA in aller Regel die A-Seite einer Single alles zählt und die B-Seite dementsprechend wenig, ging im WOLVERTON MOUNTAIN-Trubel zumindest drüben das Lied LITTLE BITTY HEART total unter. Bei uns spielte LITTLE BITTY HEART indes eine gewisse Rolle, und nicht wenige meinten, an diesem Lied sei ein ebenso großer Hit verloren gegangen wie an WOLVERTON MOUNTAIN. Was damals eigentlich wenig Beachtung fand und heute kaum noch bekannt ist: Claude King versuchte es knapp ein Jahr nach WOLVERTON MOUNTAIN nochmals mit einem ähnlich gelagerten Song - nur daß er diesmal die Story-Aktivitäten ins Tal verlegte: Sein SHEEPSKIN VALLEY  blieb allerdings in der Versenkung.

Auch der Ruhm von Songwritern scheint in den USA anders als anderswo nachhaltiger zu sein. Während Claude King seinen Beitrag zur Country-Geschichte geleistet hatte, mischt Merle Kilgore wieder ordentlich mit im Big Business: Zumindest im letzten Drittel der Hitparade. MISTER GARFIELD heißt eine Elektra-Single mit Merle Kilgore & Friends. Und diese Freunde sind Hank Williams Jr. und Ehefrau Becky sowie Johnny Cash. Und wer dann vielleicht einmal die Gelegenheit hat, Hank Williams Jr. mit seiner Band zu sehen, der sollte sich den Gitarristen genau ansehen: Es ist Merle Kilgore, der Musik-Schöpfer von WOLVERTON MOUNTAIN. (1982)

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Weitere Ereignisse im Jahr 1962 - AFN betreffend:
10. September 1962: Bill Sellers moderiert die STICKBUDDY JAMBOREE-Sendung (AFN München).
Am 8. September 1962 verabschiedet sich T-O-M Tom Daniels. Er stellte 13 Monate lang die C&W-Hitparade zusammen (AFN Orléans).
Seit 15. September 1962 kommt die C&W-Hitparade vom AFN Frankfurt (Woody Gosnell).

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Andere Lieder aus jenen Tagen:

 Jim Reeves - A Letter To My Heart
 Buck Owens & Rose Maddox - Mental Cruelty
 Darrell McCall - Dear One
 The Louvin Brothers - Must You Throw Dirt In My Face
 Kitty Wells - Day Into Night
 Jim Carter und die Texas Rangers - Arizona Train *)
 Patsy Cline - She´s Got You
 Hank Snow - I´ve Been Everywhere
 Jim Reeves - Adios Amigo
 Sheb Wooley - That´s My Pa
 The Wilburn Brothers - Trouble´s Back In Town
 Claude King - Little Bitty Heart
 Bill Anderson - Mama Sang A Song
 Marty Robbins - Devil Woman
 Hank Locklin - Happy Journey
 George Jones - She Thinks I Still Care
 Kitty Wells - Heartbreak U.S.A.
 Jim Carter und die Texas Rangers - Steel Guitar Boogie *)

* Die beiden Aufnahmen ARIZONA TRAIN und STEEL GUITAR BOOGIE erschienen Ende 1962/Anfang 1963 auf der Single Metronome M 335. Die beiden Instrumentals waren die ersten bei uns veröffentlichten deutschen Country-
Aufnahmen überhaupt. Die Texas Rangers auf dieser Platte waren die Munich´s Rhythm Ramblers, die Jim Carter
managte und leitete. Er selbst machte die Ansagen in der EUROPEAN HAYRIDE-Show, sang und spielte aber selbst nicht.

Dieser Artikel wird mit 14 weiteren Kapiteln ergänzt.

7. Kapitel: 1963 - 1964: Schreiben für die Country Music