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Erinnerungen
Wie war das nochmal mit der Country Music in Deutschland ab Mitte der 50er Jahre?
Von Hauke Strübing

10. Kapitel
1974 - 1975: Die Plattenfirmen (1)

COUNTRY CORNER in der Hauptsache (das war Pflicht), einige erfüllende Aktivitäten in Sachen Rundfunk (das war Spaß) und viele neue Kontakte. Vor allem aber der stetige Gedankenaustausch mit Manfred Vogel. Er verhalf mir auch zu den Kontakten mit den für uns wichtigen Leuten bei den deutschen Plattenfirmen: Robert Hertwig bei TELDEC, Marlies Breuer, Heinz Henn und Harald Steinhauer bei EMI und Clemens Krauss bei RCA.

"Natürlich gibt es auch andere Aktivitäten. So war Hauke Strübing einer der ersten, die an die (deutschen) Plattenfirmen herantraten, um deren einfalls- und erfolglose Samplerpolitik zu ändern. Er stellte sinnvolle Alben zusammen; der "Western Express" z.B. erwies sich als Bestseller und zäher Dauerbrenner mit mehr als 10 000 verkauften Exemplaren. Viele Rückseitentexte zeugen ebenso von seinen Kenntnissen und seinem Engagement." (Eberhard Finke in COUNTRY CORNER, Dezember 1980).

Angefangen hatte alles mit TELDEC. Im Grunde wollte ich mir nur die eine oder andere neue Platte "erbetteln", von denen ich wußte, daß sie in irgendwelchen Fächern verstaubten. Zufällig bastelte Robert Hertwig an einem jener "Country-Pflicht-Sampler" herum, die die deutschen Plattenfirmen von Zeit zu Zeit als Nachweis dafür, daß sie etwas für die Country Music tun, veröffentlichten. Mir gelang es, einige Top-Raritäten auf dem WESTERN EXPRESS unterzubringen, Aufnahmen, die damals 1974 nirgends auf der Welt erhältlich waren. Und ich schrieb erstmals auch die Linernotes - eine Abhandlung über die Geschichte der Country Music. Der WESTERN EXPRESS war dann tatsächlich ein Dauerbrenner. TELDEC veröffentlichte das Doppelalbum im Juli 1974, Metronome übernahm den WESTERN EXPRESS im Jahr 1978 ins Programm, und als die US-Firma MCA Anfang der 80er Jahre von ARIOLA übernommen wurde, erschien der WESTERN EXPRESS nochmals im ARIOLA-Auslandsdienst.

"WESTERN EXPRESS" bringt seltene und teilweise nicht mehr erhältliche Aufnahmen aus den Jahren 1936 bis 1963. 36 Songs, darunter der sehr seltene "Fiddler´s Dream" von Tommy Jackson, berühmte Interpreten wie die Carter Family, Burl Ives und Roy Acuff sowie der ausführliche und informative Klappentext machen diese Reise durch alle Stilrichtungen der Country Music zu einem besonderen Erlebnis." (MUSIKMARKT, 1.9.1974).

Dem WESTERN EXPRESS folgten 1974 zwei weitere TELDEC-Doppelalben: "The Golden Era Of C & W Hits" und "Country Music Hall Of Fame Vol. 5". Von der "Golden Era" gibt es übrigens zwei Versionen: Eine erschien im Handel, von der zweiten gibt es nur drei Exemplare (eins verblieb im Archiv bei TELDEC, das zweite befindet sich in meinem Archiv, das dritte Exemplar hat Manfred Vogel). Die zweite Version war übrigens ein gewollter Gag von Robert Hertwig, der von den beiden Liedern "Chattanooga Shoe Shine Boy" mit Red Foley und "It Wasn´ t God Who Made Honky Tonk Angels" mit Kitty Wells Zweitversionen dieser Lieder pressen ließ. Die Lieder dieser Doppel-LP wie auch die Lieder der "Hall Of Fame" hatte ich weitgehend vorgeschlagen. Weil das Material bei TELDEC nicht vorlag, hatte ich TELDEC für die "Country Music Hall Of Fame Vol.5" meine Starday-LP´s leihweise überlassen. Für die "Hall Of Fame" schrieb ich auch den Klappentext. Meine Starday-LP´s erhielt ich anschließend exzellent gereinigt wieder zurück. Ob es nun gewollt oder aus Unkenntnis geschah: Auf jeden Fall enthält auch die "Country Music Hall Of Fame Volume 5" eine Rarität. Die Aufnahme "Blackland Farmer" mit Frankie Miller ist nämlich nicht die von mir vorgeschlagene Studio-Version sondern eine Live-Version - woher die auch immer herkam! Der Instrumental "Carroll County Breakdown" war später das Indikativ meiner Sendungen beim Südfunk Stuttgart. Das letzte Doppelalbum, an dem ich für TELDEC mitwirkte, ist inzwischen auch eine Rarität: "A Super Country & Western Festival" erschien 1975.

Im Jahr 1975 ging es dann Schlag auf Schlag. Die deutschen Plattenfirmen schienen sich zu überschlagen in ihrem plötzlichen Drang nach guten Country Platten. EMI in Köln veröffentlichte im Frühjahr 1975 die Serie "Masters Of Country Western". Volume 1: Roy Clark / Volume 2: Donna Fargo / Volume 3: Merle Haggard (den Klappentext schrieb Manfred Vogel) / Volume 4: Freddie Hart (den Klappentext schrieb Achim Graul). "Masters Of Country & Western Volume 5" war Buck Owens gewidmet. Ich schrieb den Text und suchte die Lieder aus. Das war dann auch die erste von mir komplett zusammengestellte LP, zu der mir Marlies Breuer später verriet, daß Mr. Buck Owens himself um Zustimmung gebeten werden mußte, weil er sich inzwischen von Capitol getrennt hatte und alle Rechte an seinen Aufnahmen besaß, auch das Recht, welche Aufnahme überhaupt noch von Capitol veröffentlicht werden durfte. Ich hatte Glück! Uncle Buck stimmte zu! Die LP war dann noch längere Jahre auch als MusiCassette erhältlich.

So richtig austoben konnte ich mich dann im Sommer 1975! Der für das internationale Repertoire zuständige Mann bei RCA in Hamburg hatte nicht nur einen wohlklingenden Namen, Clemens Krauss schlug mir auch vor, für RCA in Europa zwei Mid-Price LP-Sampler zusammenzustellen unter Verwendung des gesamten RCA-Materials: Einen Country - Sampler und einen Bluegrass-Sampler. Das war für mich das Paradies auf Erden! Das war´s dann! Ich konnte zum ersten Mal ungehemmt schwelgen und meinen Vorstellungen freien Lauf lassen. Meine erste Überlegung: Jetzt holst du alle jene Aufnahmen aus der Versenkung, die du immer schon haben wolltest. Dazu einige Titel, die beim Käufer ankommen - und das ganze muß den Touch von Vollendung haben. Im Klappentext von "The Best Of Country & West Vol. 6" konnte ich dann stolz vermelden:

"The Best - das können nun die großen, die erfolgreichen Hits eines Interpreten sein. Das sind mit Sicherheit aber auch jene Aufnahmen, die zum besten Dargebotenen im Repertoire eines Künstlers zählen. Und hier kommt man dann schließlich auch nicht an denjenigen Aufnahmen vorbei, die in Sammlerkreisen als Raritäten gelten. Unter diesen Gesichtspunkten entstand dieses Album. Kennen Sie noch - oder besser: auch schon die Aufnahmen "Sittin´ Here Cryin´" und "Lonesome Old House"? Ebenfalls aus dem Jahre 1959 schließt sich der flotte Hank Snow-Titel "Chasin´ A Rainbow" an, der wie Porter Wagoners "I Cried Again" (1961) längst in die Kategorie der Country Classics einzuordnen ist, kurz: Alle vier Aufnahmen sprengen den sonst gesetzten Rahmen und feiern auf dem vorliegenden Album ihre weltweite Langspielplatten-Premiere".
 

Etwas schwieriger gestaltete sich die Zusammenstellung des Samplers "Mit Banjo und Fiddle", einer reinen Bluegrass-LP, da RCA nun nicht unbedingt d a s Bluegrass-Label war und ist. Aber auch hier bot sich Ungewöhnliches an: Zum Beispiel der Instrumental "Carolina Breakdown" mit Don Gibson. Don Gibson mit Banjo und Fiddle. Das brachte sogar die englische Country-Presse zum Jubeln. In den Gesprächen mit Clemens Krauss bat ich dann noch um den letzten Gefallen: Man möge doch bitte um des Himmels Willen kein Cowboy - kein Lagerfeuerbild als Cover benutzen, um endlich von diesem unsäglichen Image der Cowboy-Music abzukommen. Als die beiden LP´s dann am 15. August 1975 (Mit Fiddle und Banjo) bzw. am 19. August 1975 (The Best Of Country & West Vol. 6) erschienen, konnte ich es nicht fassen: Ein Lagerfeuer prangte von der Bluegrass-LP und Steak-bratende Cowboys saßen am abgebildeten Lagerfeuer der "Volume 6". Aber was soll´ s, mein Freund: RCA hatte alle Musikstücke in der Reihenfolge gekoppelt und den unveränderten Begleittext gebracht, wie ich es vorgeschlagen hatte. Etwas, was ich später nur noch einmal erleben konnte. Die beiden RCA-LPs erschienen ebenfalls als MusiCassetten, und 1976 wurden 9 Titel aus der "Volume 6" auf der RCA Club-Sonderauflage "20 Fantastic C & W Hits" nochmals veröffentlicht.

"Meine" Country-Veröffentlichungen in Deutschland bis dahin:

Western Express (Doppel-LP) TELDEC (1974)
The Golden Era Of C & W Hits 1950-1966 (Doppel-LP) TELDEC (1974)
Country Music Hall Of Fame Volume 5 (Doppel-LP) TELDEC (1974)
A Super Country & Western Festival (Doppel-LP) TELDEC (1975)
Masters Of Country & Western Vol. 5 - Buck Owens EMI (1975)
Mit Banjo und Fiddle RCA (1975)
The Best Of Country & West Volume 6 RCA (1975)


11. Kapitel: 1975- 1979: Die Plattenfirmen (2)