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Es war im Spätsommer des Jahres 1998, als ich von der Nachricht überrascht wurde, Hank Snow gehe es gesundheitlich sehr, sehr schlecht und es bestehe kaum Aussicht, dass er Weihnachten 98 noch erleben würde. Ich wurde gebeten, doch schon mal vorbereitend einen ganz persönlichen Nachruf zu schreiben, wie ich zur Musik des „Singing Ranger“ gefunden und wie sich mein Verhältnis zu ihm im Verlauf der Jahrzehnte entwickelte hatte. Nun ist nichts schwieriger, als einen Nachruf zu verfassen auf einen Menschen, der noch gar nicht gestorben war. Ich schob deshalb das Projekt wochenlang vor mir her, ich war einfach nicht in der Lage zu schreiben. Dann, nach mehreren Reklamationen der Redaktion und nachdem ich mir mit Hilfe eines guten Rotweins Mut angetrunken hatte, begann ich zu schreiben, übrigens über ein Jahr zu früh, denn Hank Snow starb dann erst am 20. Dezember 1999 im Alter von 85 Jahren. Ob mein Nachruf auf ihn veröffentlicht wurde, weiss ich nicht, ich fand das Manuskript dieser Tage beim Aufräumen meines Schreibtischs.

Mit Hank Snow durch die Jahrzehnte

Erinnerungen von Walter Fuchs

Es war schon eine bizarre Welt, eine Welt der  Not und Verzweiflung, aber auch eine Welt der Hoffnung und der Entdeckungen, die sich da den Deutschen in den ersten Jahren nach dem Ende des 2. Weltkriegs geboten hatte. Meine Familie hatte es besonders hart erwischt. Noch 1950 lebten wir in einer sogenannten „Notwohnung“, in der die Kriegsschäden noch nicht beseitigt waren. Doch wir hatten überlebt. Mein Vater war 1948 aus russischer Kriegsgefangenschaft heimgekehrt und ich konnte das Gymnasium besuchen. Das war das Wichtigste. Gelangweilt über meinen Schularbeiten sitzend, drehte ich eines Nachmittags an unserem kleinen, durch den Gewehrkolbenhieb eines französischen Soldaten stark lädierten Volksempfängers, und da war sie plötzlich, jene so ganz andere Welt, repräsentiert durch eine exotische Musik, die ich noch nie zuvor gehört hatte, aber die mich sofort fesselte und faszinierte. Es war, als hätte mich ein Blitzschlag getroffen: „Hillbilly Music“ via AFN in der täglichen Sendung „Hillbilly Gasthaus“. Ich konnte noch kein Wort Englisch, aber ich begriff sofort, da werden Geschichten erzählt, da gibt es markante Stimmen mit hohem Wiedererkennungswert, da passiert musikalisch Urwüchsiges, da werden Instrumente ganz anders gespielt als in Europa, da gibt es überhaupt ganz andere Instrumente und da gibt es die vielen Strophen in Songs wie „I’m Movin’ On“ oder „The Golden Rocket“. Den Namen des Sängers dieser Songs hatte ich rasch herausgefunden, und von da an war jede Hillbilly-Sendung unvollständig ohne ein Lied von Hank Snow. Jahrelang verpasste ich kaum eine dieser Sendungen über AFN, egal wie sie hiessen, ob „Hillbilly Gasthaus“, „Stickbuddy Jamboree“, „Hillbilly Reveille“ oder „Five String Concert“, gleichgültig ob es um 06.05 Uhr oder um 15.05 losging. Ich verpasste auch nicht die Grand Ole Opry Show am Samstagabend, bei der Hank Snow fast immer mit dabei war.

Von meinem damals kärglichen Taschengeld kaufte ich mir die ersten 78er Schellackplatten. Meine erste Hank Snow Platte war auch die einzige, die mein Plattenladen vorrätig hatte. Sie kam aus England, es war das „His Master’s Voice“ Label mit den Songs „I’m Moving On To Glory“ und „He’ll Understand And Say ‚Well Done’“. Meine damalige Umwelt stufte mich sofort wegen dieser seltsamen Gitarrenmusik und der näselnden Stimme des Sängers als geistig stark gestört ein, schliesslich lebten wir Hank Snow mit dem Autor dieses Berichts, Walter Fuchs, am 3. Juli 1966 im Top Hat NCO-Club in Mannheim-Käfertal. Bild: Archiv Walter Fuchsnoch in der Ära der Big Bands und die Platten von Ray Anthony, Billy May und Glenn Miller standen hoch im Kurs. Doch dies änderte alles nichts an meiner Liebe zu dieser merkwürdigen Musik aus dem fernen Amerika. Die Country Music und speziell die Musik von Hank Snow bestimmte in weiten Bereichen, auch in den beruflichen, mein weiteres Leben. Ich sammelte Schallplatten, begann schriftlich und per Tonband mit Gleichgesinnten in aller Welt zu korrespondieren, bekam schriftlichen Kontakt mit Snow, leitete einige Jahre den Hank Snow Fan Club in Deutschland und traf schliesslich  zum ersten Male den Maestro persönlich Anfang der 60er Jahre  in Deutschland. Erste Begegnung: Empfangshalle des Hotel Klee in Wiesbaden, kurz danach die ersten Hank Snow Live-Shows in diversen NCO-Clubs in Frankfurt und Darmstadt, ich glaube es waren der Topper Club und der Rainbow Club. Seither habe ich grosses Verständnis für Teenager, die beim Anblick ihrer Stars in Ohnmacht fallen.

Mein Kontakt zu Hank Snow intensivierte sich, ich bekam die Chance für Musikzeitschriften zu schreiben und schliesslich, 1970, ergab sich die Möglichkeit, beim Südwestfunk in Baden-Baden regelmässige Country Music Sendungen zu produzieren. Und wieder war es Hank Snow, der mich tatkräftig unterstützte. Schon früher hatte er mir regelmässig alle seine Single- und L.P.-Veröffentlichungen zugeschickt, ja, bereits in den 60er Jahren erhielt ich von ihm auf 2 riesigen Tonbandspulen alle seine alten kanadischen Bluebird-Aufnahmen überspielt. Und ich werde es nie vergessen, meine Bandmaschine hatte nur die Geschwindigkeit 9,5 cm/s, doch Hank’s Aufnahmen waren mit 19 cm/s überspielt. Grosse Aufregung, doch dann verbrachte ich einen ganzen Nachmittag in einem Radiogeschäft, wo ich mit Hilfe eines entsprechenden Vorführgerätes die alten Snow-Aufnahmen aus den 30er und 40er Jahren anhören konnte.

Als sich meine Arbeit beim Radio auszuweiten begann, blieb Hank Snow stets hilfsbereit, freundlich und kooperativ. Er versorgte mich regelmässig mit sogenannten „Station Breaks“ und als ich ihn 1973 zum ersten Male in Nashville im Rahmen der Disc-Jockey-Convention Walter Fuchs und Hank Snow im Mai 1982 in Hank Snow´s Arbeitszimmer in der "Rainbow Ranch", 312 East Marthona, in Madison, Tennessee. Bild: Archiv Walter Fuchstraf, da stellte er mich auch seinem ehemaligen kanadischen Produzenten und Chef von RCA Kanada, Mr. Hugh Joseph, vor. Ich besuchte Hank Snow später auch in seinem Haus, der „Rainbow Ranch“, in Madison/Tennessee und war auch ab und zu in der Lage, mich für seine Freundlichkeit und sein Entgegenkommen zu revanchieren. In den 80er Jahren konnte ich Schlimmeres verhindern als er in die Fänge eines gewissen Winfried Bornemann, des berüchtigten „Briefmacken-Typen“, geraten war. Snow hatte nach einem Telefongespräch mit mir sofort den Kontakt mit „Carola von Gästern“ abgebrochen. Nach dem Fall der Berliner Mauer konnte ich arrangieren, dass Snow auf seinen Wunsch ein kleines Stück des Grenzwalls zugeschickt bekam. Der 81-jährige bedankte sich mit signierten Autogrammfotos bei allen Beteiligten.

Ich bin mir sicher, Hank Snow war sich bewusst, was er Millionen Menschen in aller Welt in den über 6 Jahrzehnten seiner Karriere mit seiner Musik, seinen Songs und seinem exzellenten Flat-Picking-Gitarrenspiel, gegeben hat. Da gab es in den USA jenes todkranke Kind, das sich noch kurz bevor es starb einen Hank Snow Song gewünscht hat und da sind jene Rentner aus Kanada, die viele Tausend  Meilen nach Süden, nach Nashville, fuhren, um ihren ehemaligen Landsmann an der Grand Ole Opry noch einmal erleben zu dürfen. Und dieser Show, der Grand Ole Opry, hat Hank Snow auch bis zum Schluss, über 40 Jahre, die Treue gehalten. Aber auch sich selbst ist er letztendlich treu geblieben bis in den Tod, immer nach seinem alten Motto „I’m Movin’ On“. Die Welt der Country Music ist um ein grosses Talent, einen liebenswerten Menschen und aussergewöhnlichen Sänger und Komponisten und nicht zuletzt einen virtuosen Gitarristen ärmer geworden. Hank, we miss you!

Hank Clarence Eugene Snow:  9. Mai 1914 - 20. Dezember 1999