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Country-Sänger und Songwriter
Johnny Cash - ein ganz Großer dieser
Welt
Hauke Strübing gratuliert (nachträglich) mit dem Beitrag eines 1978
gesendeten Konzertberichts
A ls Johnny Cash Ende Februar 2002 70 Jahre alt wurde und
ihn alle Welt feierte, saß ich in meinen vier Wänden, starrte auf seine
unzähligen Langspielplatten und CDs und räsonierte: Johnny Cash ist einer
der ganz Großen. Die anderen Gedanken schrieb ich in einem Begleitheftchen
einer CD nieder, die ich zu seinen Ehren zusammenstellte: Ausdruck der
Freude eines Fans über die Lebensleistung eines bedeutenden Country-Sängers.
Eine andere Form der Publikation dieser damals gefaßten Gedanken und der
Empfindungen hatte ich nicht. Jetzt sieht das etwas anders aus. Hier ist die
(etwas verspätete ) Geburtstagswidmung - verfaßt am 26. Februar 2002,
ergänzt durch einen Beitrag, den Sie lesen und gleichzeitig hören können.
Nach seinem Auftritt in der Sporthalle Böblingen (bei Stuttgart) am 18.
April 1978 verfaßte und sprach ich einen Konzertbericht, der am 23. April
1978 auf Südfunk 3 Stuttgart gesendet wurde. Doch hier zunächst mein
Begleittext zu der natürlich nie veröffentlichten CD.
" 70 Jahre alt ist er geworden, der Grandseigneur der
Country Music. Alle Welt feiert ihn, den großen Johnny Cash. Heute am 26.
Februar 2002. Und irgendwie hat sich sein Bekanntheitsgrad bei uns, seine
ungebrochene Popularität seit
nunmehr 30/40 Jahren positiv auch in den
Köpfen der Journalisten ausgewirkt. Denn abgesehen von seiner Drogen- und
Pillenphase many, many years ago und anderen Anlässen steht endlich mal kein
einfältiges Geschreibsel in den deutschen Gazetten, wie das z. B. noch 1972
anläßlich seiner ersten Deutschlandtournee gang und gäbe war: "Schließlich erscheint Herr Cash persönlich, und Jubel braust auf um den
amerikanischen Heino im schwarzen Anzug" / "Western-Songs, Marke
staubtrocken, Country-Kalauer plus soziale Rüffel von Johnny Narbengesicht -
das war die schlichte Reklameshow des Pop-Millionärs Mr. Cash [cash,
englisch = Bargeld]". Dieses und Ähnliches ließen Journalisten, die sich
dazu berufen fühlten, vom Stapel und zeigten einmal mehr, daß sie eben von
der Materie wenig Ahnung hatten. 30 Jahre später sieht das schon anders an.
Im literarischen Teil (!) angelangt titelte "Die Welt" am 23. Februar 2002: "Cash ist cool...sagen sogar die, die Country doof
finden." Und in der "Welt am Sonntag" schrieb Marcus Müntefering
am 26. Februar 2002 die "Hymne der Woche"über Johnny Cash:
"Dass dieser Mann noch lebt, grenzt an ein Wunder. Denn
totgesagt wurde der lungenkranke Johnny Cash in den letzten Jahren mit
unschöner Regelmäßigkeit. Doch der Sänger, der am Dienstag seinen 70.
Geburtstag feiern wird, ist ein professioneller Überleber. Die endlosen
Exzesse der fünfziger und sechziger Jahre - als Cash nach jedem
blitzsauberen Konzert im Drogenrausch Hotelzimmer verwüstete - hat er ebenso
überstanden wie das Karrieretief Ende der Achtziger. Und dann alle
überrascht, als er Mitte der Neunziger mit dem HipHop-Produzenten Rick Rubin
eine denkbar seltsame Allianz einging, mit ihm drei Platten aufnahm, die zu
Cashs besten und erfolgreichsten zählen. Diese Unberechenbarkeit macht den
Sänger so faszinierend. Einen "wandelnden Widerspruch" hat sein Kumpel Kris
Kristofferson ihn einmal genannt - und treffender kann man es nicht sagen:
Säufer, Prediger, Patriot und Pazifist, Bush-Anhänger und Gegner der
Todesstrafe, das alles ist Johnny Cash. Aber vor allem einer der ganz
wenigen ganz großen Sänger und Songwriter dieser Welt."
D och es gab auch
schon Ende der 50er Jahre Vernünftiges über die Country Music und Johnny
Cash im besonderen zu lesen. So fand ich 1959 in der Musik-Zeitschrift "Leg
auf" den mit "Hillbillys von Johnny Cash" überschriebenen
Kurzartikel, der dann auch der derzeit älteste Beleg über Cash in meiner
deutsch verfaßten Sammlung ist:
"Als man Hank Williams, Amerikas großen Hillbilly-Sänger, in
silberbeschlagenem Sarg zu Grabe trug, schien die Cowboy-Musik, die man
auch den „Herzschlag Amerikas" nennt, genauso tot zu sein, wie ihr Meister.
Doch in Johnny Cash erstand Ihr ein Genie, dessen Lieder und Kompositionen
die ländliche Musik Amerikas ungemein bereicherten und dessen Stimme auf dem
Plattenmarkt sensationell ankam. Der „Fabelhafte Johnny Cash" wurde in USA
eine Art nationale Einrichtung, als ihn Sun-Record-Chef Sam Phillips neben
einem gewissen Elvis Presley entdeckte. (Johnny Cash: „Don´t take your guns
to town", 322399 BF)"
J ohnny Cash bescherte der Welt am 25. März 1963 im
Columbia Studio, in der "alten Scheune", in der 16th Avenue South in
Nashville, Tennessee, das Lied "Ring Of Fire". Damit eroberte er auch die
Alte Welt nebst Deutschland. In Deutschland ist Johnny Cash seither das
Synonym für Country Music. Und wer seither bei uns über die Country Music
spricht, erwähnt zunächst einmal den Namen Johnny Cash. Das ist das große
Verdienst des Sängers Johnny Cash, der am 26. Februar 2002 70 Jahre alt
wurde und fast auf den Tag genau vor 30 Jahren, am Montag, dem 28. Februar
1972, in der Jahrhunderthalle in Frankfurt-Hoechst sein erstes Konzert vor
einem deutschen Publikum gab. In der Johnny Cash-Show traten damals auch
auf: Carl Perkins, die Statler Brothers (Aktuelle
Anmerkung am 20.12.2002: Die Statler Brothers beendeten in den vergangenen
Wochen ihre Konzert-Karriere), June Carter Cash und die Carter Family
(Mother Maybelle, Helen und Anita Carter).
F ür mich war es damals ein bewegender Augenblick, als ich
Mother Maybelle Carter erlebte. Hatte man uns nicht seit Anbeginn unserer
Leidenschaft zur Country Music beigebracht: Am Anfang standen die Carter
Family und Jimmie Rodgers!? Jimmie Rodgers starb bereits im Mai 1933, doch
Mother Maybelle stand nun am 28. Februar 1972 als einzige der Original Carter Family noch
auf der Bühne - jetzt (wieder) mit ihren Töchtern June, Helen und Anita.
Beinahe unbegreiflich: Hier in Frankfurt-Hoechst auf der Bühne der
Jahrhunderthalle. Ich war sicher nicht der einzige in jener Stunde, dem
diese Momente in tiefer Erinnerung blieben.
J ohnny Cash war danach in den 70er Jahren mehrmals in
Deutschland - u. a. am 18. April 1978 in Böblingen. Am 23. April 1978 sprach
ich im Südfunk Stuttgart in der Sendung "Musikpodium International" den
folgenden Beitrag, den Sie hier im Wortlaut nachlesen können.
Johnny Cash war in Deutschland. Vom 9. bis zum 21.
April tourte der Country-Star wieder durch deutsche Lande: Berlin, Hamburg,
Münster, München, Köln und Düsseldorf hießen seine Stationen diesmal. Dazu
zwischendurch Abstecher nach Prag, Linz und Zürich.
Erstmals führten
seine Wege aber auch in unsere nähere Umgebung: Am vergangenen Dienstag
hatte Johnny Cash seinen Stuttgarter Auftritt in der Sporthalle Böblingen.
Johnny Cash ist derzeit und schon seit langem der
einzige Country-Künstler von Rang und Namen, der regelmäßig seinen Weg nach
Deutschland findet. Begonnen hatte alles im Februar/ März 1972 - seiner
Debut-Tournee folgte schon im Herbst des gleichen Jahres eine rasche
Wiederholung. Die nachfolgende Energie-Krise zögerte Tournee Nr. 3 zwar in
den Herbst 75 hinaus, es folgte dann jedoch schnell eine Konzertserie im
Frühjahr 76 - die nächste schließlich im November 77. Mit seiner Tournee in
den vergangenen zwei Wochen machte er jetzt das halbe Dutzend voll. Und wie
in den Jahren zuvor trat Johnny Cash wieder vor gut besetzten Rängen auf,
sang er in allen Shows vor einem begeisterten Publikum.
Rundum begeistert von Cash war
man auch in Böblingen in der Sporthalle. Schließlich ist man in unserer
Umgebung nicht gerade eountry-verwöhnt. Bill Monroe vor einigen Jahren in
Tübingen, Billy Swan in Göppingen - das konnte wohl nicht alles sein: Da kam
Mr. Cash mit seiner Show 78 gerade recht! Und was hier lapidar als Show 78
bezeichnet wird, das entpuppte sich als eine geballte Ladung von
Showmanship, als Aneinanderreihung klangvoller Namen. - In erster Linie und
den gesamten musikalischen Rahmen bestreitend die Cash-Begleitgruppe THE
TENNESSEE THREE. Das sind fünf Musiker
mittlerweile: Bob Wootton, lead
guitar / W.S.Holland, drums / und - seit der ersten Stunde dabei: Marshall
Grant, bass. Jerry Hensley spielte die elektrische Gitarre, und erst im
Januar 1977 hatte sich Mitglied Nr. 5 der Cash-Show angeschlossen: Earl Ball
ist der Pianist der Gruppe und ein interessanter Mann mit Vergangenheit:
Lange Jahre war er Plattenproduzent einer Reihe von Alben u. a. von Buck
Owens, Merle Haggard, Susan Raye und Freddie Hart. - Und zur Cash-Show
gehörte auch diesmal wieder die halbe Verwandschaft: die Carter Family
natürlich - Helen Carter Jonee,| Anita Carter Wootton und Ehefrau June
Carter Cash. Mother Maybelle - einst Mitglied der berühmten Carter Family -
blieb auch diesmal zu Hause. Dafür belebten andere Angehörige des
Cash-Carter-Clans die Bühne. In erster Linie einmal Tochter Rosanne Cash,
die im übrigen als erste Country-Künstlerin bei einer deutschen Plattenfirma
unter Vertrag steht - seit Anfang April! Wärmstens im Kreise der
Groß-Familie aufgenommen ist auch die Sängerin Jan Howard. Sie, die
Carter-Geschwister, Rosanne Cash und Earl Ball bestritten ihren Part
hauptsächlich im 2. Teil des gut 2-Stunden-Konzerts. Indes: Mittelpunkt des
Geschehens war während des ganzen Abends Johnny Cash.
Er holte zwar June Carter Cash zu "If I WERE A
CARPENTER", zu "FAR SIDE BANKS OP JORDAN", zu "JACKSON" und zum
obligatorischen Küßchengeben auf die Bühne; er stellte Anita Carter nebst
Ehemann Bob Wootton vor; führte Earl Ball als Nashville's "finest
Earl Ball" ein; und er holte Tochter Rosanne Cash zu einem Soloauftritt zu
sich ans Mikrofon und ins Rampenlicht; Allzu deutlich blieb indes, daß alle
im Cash-Carter-Clan musikalischer Hintergrund sind: hörenswertes,
sehenswertes, schmückendes - wenngleich notwendiges Beiwerk der
Johnny-Cash-Show.
Dann der Star selbst: Schon nach 15 Minuten steht er auf
der Bühne, begrüßt sein Publikum deutsch-englisch - diesmal nicht mit HELLO
I'M JOHNHY CASH - aber mit "Wie geht es Ihnen? Ich freue mich hier zu sein".
Erinnert daran, daß seine Karriere eigentlich hier in Deutschland begann -
damals vor 24 Jahren in Landsberg am Lech. Und zu Beginn erinnert er auch,
daß er einige seiner Lieder nun schon 20 Jahre singt. Aber, so Cash, solange
seinen Zuhörern diese Lieder gefallen, wird er sie singen. Warum auch nicht!
In seinem fast 30 Lieder umfassenden Rückblick nehmen die alten Titel
natürlich einen bedeutenden Platz ein:
Ein Cash ohne "FOLSOM PRISON BLUES",
ohne "BIG RIVER", "RING OP FIRE", "I WALK THE LINE" und seiner
Standardnummer "ORANGE BL0SS0M SPECIAL" ist eben nur ein halber Cash. Und
den frühen Cash erwarten seine Zuhörer. Zwischendurch einige Cowboy-Songs,
dann jene Lieder der etwas leichteren und lustigen Art wie "JACKSON" und
"ONE PIECE AT A TIME" - nur Shel Silversteins Kabinettstückchen "A BOY NAMED
SUE" steht diesmal nicht im Programm. Die Kris Kristofferson-Lieder spielen
seit eh und je eine gewichtige Rolle in den Shows des Kristofferson-Mentors
Johnny Cash. Und natürlich vernachlässigt er auch nicht seine neueren
Lieder: Earl Ball schrieb den Titel "I DON'T THINK I COULD TAKE YOU BACK
AGAIN". Und seine neue Single-Aufnahme "I WOULD LIKE TO SEE YOU AGAIN" ist
gleichzeitig auch Titel seiner neuen Langspielplatte .
Das Film-Segment ist seit einigen Jahren Bestandteil der
Johnny Cash-Show, es steht indes nicht mehr im Mittelpunkt des Geschehens:
dann und wann werden Filmteile auf die Leinwand projeziert bei Liedern mit
thematischem Hintergrund. Nach der Pause war schließlich ein kleines,
lustiges Stück amerikanische Zuggeschichte nachzuvollziehen - in Bild und
Ton: sozusagen live auf der Bühne.
Seit knapp 25 Jahren steht der Mittvierziger Cash nun
schon auf der Bühne: in typischer Haltung - die Gitarre Hals-über-Kopf
übergeschultert - stolziert er vor seinem Publikum die Bühne auf, die Bühne
ab. Jeder Zoll ein Cash, der sich an diesem Abend nichts schenkt. Sein
Publikum ist dankbar, er genießt diesen Zuspruch sichtlich. Zum Schluß kommt
noch etwas nostalgische Stimmung auf, als die drei Carter-Schwestern June,
Helen und Anita den alten Carter-Family-Song "WILDWOOD FLOWER" anstimmen. Im
Großkreis seiner Verwandschaft verabschiedet sich Cash etwas unvermittelt
mit "WHERE YOU THERE" und "WILL THE CIRCLE BE UNBROKEN". Danach noch zwei
Zugaben: "A THING CALLED LOVE" und "MAN IN BLACK", und das war sie dann, die
Johnny Cash-Show. Seine Freunde und Anhänger jubelten dann allerdings schon
zwei Tage später erneut: Johnny Cash im Fernsehen - auch das gibt es nur
einmal im Jahr! Und in diesen Tagen erschien nun endlich - zumindest in
Amerika - seine neue Langspielplatte, die man eigentlich schon zur Tournee
erwartet hatte. Der Titel« I WOULD LIKE TO SEE YOU AGAIN".
Dieser Beitrag über Johnny Cashs
Auftritt am 18. April 1978 in Böblingen wurde am 23. April 1978 auf Südfunk 3 (Stuttgart) im
"Musikpodium International" gesendet. Alle Aufnahmen von seinem
Böblinger Auftritt (unteres Bild: Rosanne Cash mit Johnny Cash): Hauke Strübing.
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