Waylon Jennings - Erinnerungen
von Hauke Strübing

Diese Zeilen schrieb ich nur wenige Tage nach seinem Tod am 13. Februar 2002, der mich mehr berührt hat als viele andere Meldungen der traurigen Art. Es hängt wohl auch damit zusammen, daß es bei meinem Wirken für die Country Music seit Beginn der Phase 2 Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre immer wieder Berührungspunkte mit der Musik von Waylon Jennings gab. Waylon Jennings, Titelbild auf Cash BoxWährend unseres ersten Trips in die USA im Frühjahr 1977 war es die Waylon Jennings-Single "Luckenbach, Texas", die wie ein Feuersturm über uns herfiel. Danach gab es nur ein Thema: Wo liegt Luckenbach, was ist Luckenbach, wie kann das alles sein. Dabei lag (und liegt noch heute) ein kleines Stück Luckenbach direkt vor unserer Haustür, der Luckenbacher See. Gerade mal 2 km entfernt. Luckenbach, das war also das Zauberwort, das uns 1977 beschäftigte und das uns 1978 beschäftigte, und dann war die Sache klar: Wir mußten unbedingt nach Luckenbach, Texas. Und wir fuhren hin nach Luckenbach, Texas. Machten Station in Lampasas, Texas, wo man uns mehr oder weniger erstaunt fragte, wie wir denn gerade dort hinkämen. Wir wußten es nicht und wußten es doch, auf jeden Fall waren wir dort, karrten die ganze Gegend ab. Es war schon interessant: Killeen lag in der Nähe, dort von wo aus Elvis Richtung Deutschland startete. In Waco fließt der Brazos. Gab´s da nicht ein herrliches Lied von Billy Walker? Cross The Brazos At Waco! Machten wir und kurz mal reingespuckt haben wir auch - ganz in der Nähe, dort wo das Fort Fisher liegt. Ein bißchen weiter nach Osten liegt der Ort Milano, wo ganz in der Nähe Johnny Horton tödlich verunglückte. Das war Country-Geschichte nacherlebt. Und dann ging´s auf die Reise nach Luckenbach, Texas. Recht mühselig war die Suche nach diesem Kult-Ort, weil er wohl so klein sein mußte, daß ihn manches Kartenwerk nicht erwähnte. Am 31. Dezember 1978 kam dann der große Moment - wo wir schließlich durch Luckenbach, Texas fuhren, ohne zu merken, daß wir schon in Luckenbach, Texas, waren. Das gibt´s nicht, fragen Sie? Aber natürlich gibt´s das. Denn dieses Luckenbach war beim ersten Anblick so unbedeutend mit seinen 6 gackernden Hühnern, 2 bis 3 Häusern und der halb verrosteten Feuerwehr, daß wir es nicht als das orteten, was es tatsächlich war. Entgegen allen sonstigen Gepflogenheiten ist Luckenbach in Texas tatsächlich nur ein Ort, der von der Fläche her mehr als unbedeutend ist. Üblicherweise haben ja schon Orte mit 100 Einwohnern in Texas Ausmaße einer deutschen Kleinstadt (wie sich das halt in Texas gehört!). Doch Luckenbach, Texas, wie gesagt, ist nur ein Flächenklacks! Beim zweiten Anlauf hat´s dann  noch geklappt. Zu sehen gab es ohnehin nichts, der berühmte General Store hatte geschlossen, die Hühner hatten freien Auslauf und wir machten uns auf nach Fredericksburg. Auf jeden Fall waren wir in Luckenbach! Und Schuld an allem hatte Waylon Jennings. Warum muß er denn auch so ein tolles Lied singen.

Waylon Jennings, Steine mit Hinweis auf Luckenbach, TexasUnd dann war da noch die Sache mit den Steinen. Kurz vor Luckenbach, am Straßenrand. Am Straßenrand in eisiger Kälte (einen Tag später sollte ganz Texas unter einer Schnee- und Eisregendecke liegen) ein vereinsamter Holzstand mit ein paar Steinen mit der Aufschrift "Luckenbach Texas". Souvenirs à la Texas: daneben eine kleine Kiste und ein Zettelchen "1 $ pro Stein, bitte legen Sie das Geld hier rein". Die zwei Dollars sind sicher an den Mann gekommen, die Steine sind hier abgebildet.

Waylon Jennings - geboren am 15. Juni 1937 in Littlefield, Texas, gestorben am 13. Februar 2002 in Chandler, Arizona (Chandler ist eine Community im Großraum Phoenix). Ich will hier jetzt nicht zum xten Male die Geschichte erzählen von Buddy Holly und dessen tragischem Tod und dem Flugzeugabsturz am 3. Februar 1959, dem Waylon Jennings durch Zufall (oder war es Fügung?) entging. Es gibt auch einige andere Aspekte. Anfang der 80er Jahre, und jetzt weiß ich es dank Heinrich Sommer genau, am 2. Oktober 1983 war es, damals trat Waylon Jennings im Rahmen eines der damaligen Marlboro Country Music Festivals in Stuttgart auf, in der Liederhalle. Ein kurzer Augenblick gegen Schluß des Konzerts war einer der Momente, die ein Leben lang in Erinnerung bleiben, ein Augenblick, der mich tief berührt hat, ein Augenblick wie der in Frankfurt-Höchst, als Mother Maybelle Carter mit ihrer Autoharp und Töchtern auftrat, Momente wie sie einem nur ein, zwei, drei Mal im Leben geschenkt werden. Waylon Jennings tritt unter Beifall nach links von der Bühne ab, kommt an seinem Steel-Gitarristen Ralph Mooney vorbei, bleibt für einige Sekunden neben ihm stehen und streicht ihm liebevoll mit seiner Hand über die Haare, um ihm damit zu sagen: Junge, das hast du wieder gut gemacht. Es muß ein inniges Verhältnis gewesen sein zwischen ihm und Ralph Mooney.

Grund dazu hatte Waylon Jennings während seiner Platten- und Konzert-Karriere sicherlich genug. Ist es nicht immer wieder diese gelungene Mischung aus rockigen Rhythmen mit dem Klang der Steel Guitar gewesen, die seine Musik in Zeiten, als die Country Music nur noch das Wort Crossover kannte, so wohltuend abhob? Damals in den 70er Jahren? Jeder, der sich auch nur annähernd für Waylon Jennings Musik interessierte, kam auf seine Kosten: All jene, die das Rockige bevorzugten, und auch die, die das Traditionelle in seiner Musik suchten. Mit Ralph Mooney lebte die Country-Tradition in der Musik von Waylon Jennings weiter.

Teil der Ralph Mooney-Vita ist das Lied "Crazy Arms", das er gemeinsam mit C. Seals schrieb und mit dem Ray Price im Sommer des Jahres 1956 einen Riesenhit hatte (20 Wochen auf Platz 1 der Country-Hitparade inmitten des ersten Trubels um Elvis Presley).

Ab 1965 stand Waylon Jennings bei RCA Victor unter Vertrag. Die ersten Jahre standen ganz im Zeichen der Folk-Bewegung. Im Jahr 1974 gelang ihm der erste große Durchbruch mit der Aufnahme "This Time". Im Frühsommer 1977 setzte er mit "Luckenbach, Texas" neue Maßstäbe: Der Kultsong stand 6 Wochen an der Spitze der Hitparaden. Mitte der 70er Jahre rumorte es dann gewaltig in Nashville. Die Rede war von den Outlaws. Das war eine Gruppe von Country-Größen, die mit der Musik-Politik des Nashville-Establishments nicht mehr einverstanden war, die sich nicht mehr bevormunden lassen wollte und dies auch unmißverständlich zum Ausdruck brachte. Waylon Jennings, Willie Nelson und Tompall Glaser zählten zu dieser Gruppe. Und da mutet es geradezu wie ein Treppenwitz der Country-Geschichte an, daß Waylon Jennings und Kollegen in dieser Zeit der größte Coup bis dato in der Country Geschichte gelang: Das Album "Wanted! The Outlaws" avancierte 1976 zum ersten Millionseller der Country-Music überhaupt! Peng, das saß! Entgegen allen Lenkungsversuchen des Nashville-Establishments setzte zudem eine Langspielplatte diese Marke, die nichts, absolut nichts Außergewöhnliches bot: Nur "irgendwelche" Aufnahmen von Waylon Jennings, von Willie Nelson, von Jessi Colter und von Tompall Glaser: Aufnahmen, die allesamt auf irgendwelchen LPs schon längst zu hören waren. Aufnahmen, die in dieser neuen Gesamtheit dennoch außergewöhnlich klangen. In der deutschen Country-Zeitschrift COUNTRY CORNER schrieb ich im Mai 1976 über "Wanted! The Outlaws":

THE OUTLAWS liefert seit Jahresbeginn Gesprächsstoff - noch und noch. THE OUTLAWS ist schlechthin ein Superding, überschlug sich in den US-Country Charts und nahm BILLBOARD´s Top LPs & Tapes (LP/Tape-Pop-Hitparade, 200 Positionen) im Schlaf. Für eine Country-Lp schon etwas Wundersames - zumal bei der Überlegung, daß dieses Werk eigentlich ein ganz gewöhnlicher Sampler ist. Mit Aufnahmen, die teilweise schon bekannt sind. Die Erkenntnis daraus: Die Verpackung macht´s! Der richtige Zeitpunkt macht´s, denn Waylon Jennings und Willie Nelson stehen augenblicklich im Zenit ihrer langen Laufbahn.

Nach dem Tod von Waylon Jennings erschienen in der deutschen Presse einige Nachrufe: Mehr Text wohl, als ihm bei uns zu Lebzeiten vergönnt war. Sein Auftritt in dem "billigen Film" (FAZ) Nashville Rebel brachte ihm über den Tod hinaus das Markenzeichen eines Rebellen, eines Outlaw, eines Gesetzlosen ein, der er in des Wortes Bedeutung indes nur in Bezug auf Nashville und sein Establishment war. Eben kein Outlaw, weil er "das Leben als Outlaw besungen" hatte (Die Welt). Waylon Jennings Waylon Jennings, Bild mit Autogrammwar wohl nicht der Mann für die Music Row in Nashville. Schon vor seiner ganz großen Zeit erhielt er 1975 die Auszeichnung "Male Vocalist Of The Year" der Country Music Association (CMA) und gemeinsam mit Willie Nelson 1976 den CMA-Award "Vocal Duo Of The Year". Doch das war´s dann auch schon. Konnte es das wirklich alles sein??

In die Country Music Hall Of Fame durfte er erst 2001 einziehen: Als die Country Ruhmeshalle ihre neuen Tore in Downtown Nashville öffnete, war er einer von 12 neuen Mitgliedern. The San Diego Union-Tribune meinte im Juli 2001 mit einem leisen Unterton: "Waylon Jennings may not like it, but....". Es war fürwahr schon recht seltsam: Mußte Ol Waylon nicht das Gefühl haben, daß man nun langsam nicht mehr an ihm vorbeikam? Brenda Lee schon seit 1997 in der Hall Of Fame, sein Weggenosse Willie Nelson verdientermaßen auch bereits seit 1993. Und Waylon Jennings erst im Jahr 2001?  Wahrscheinlich dachte Waylon Jennings damals in den 70er Jahren doch zu laut und zu quer. Die Auszeichnung konnte er schon nicht mehr selbst entgegennehmen, sein Sohn Shooter tat es.

In den 70er und 80er Jahren war die Anzahl der verkauften Singles und LPs das Maß vieler Dinge. Eine 45er-Vinyl-Scheibe von Waylon Jennings, nämlich "Theme From The Dukes Of Hazzard", erreichte den Standard Gold für 1 Million Stück und mehr. Auch das kam nicht von ungefähr, denn der Erfolg der TV-Serie "The Dukes Of Hazzard" war in den USA riesengroß. Wenig bekannt ist, daß Waylon Jennings der Narrator, der Erzähler in der amerikanischen Originalfassung war und ihr einen besonderer Touch gab. Irgenwann löste ihn dann zum Schluß Don Williams als Erzähler ab. In der synchronisierten deutschen Fassung ("Ein Duke kommt selten allein") der teils skurrilen Geschichten der Brüder Duke, deren Auto "General Lee", von Boss Hogg und des kauzigen Sheriffs Rosco P. Coltrane sind beide,  Waylon Jennings und später Don Williams, indes nicht zu hören.  

Waylon Jennings starb am 13. Februar 2002 in Arizona. Nashville hätte ihm viel zu danken. Auch  seine  vorletzte CD , eine seiner besten, produzierte Waylon Jennings in Nashville. Der Titel: Right For The Time.

Zu den beiden oberen Bildern: Waylon Jennings auf dem Titelblatt der Musikzeitschrift CASHBOX am 14. Oktober 1978. Die Steine mit der Aufschrift "Luckenbach Texas" vom Souvenirstand in freier Landschaft vor Luckenbach, Texas.