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Kommentar


Shania Twain, Faith Hill, Lee Ann Womack: Pop, Country oder was?

Die endlose Diskussion um die Country Music in Deutschland
Von Hauke Strübing


Mir sind bei der nicht anhaltenden Diskussion über das Wesen, die Form, die Darbietung und die Inhalte der Country Music in Deutschland recht seltsame Gedanken gekommen. Es ist doch so: US-Country-Sänger/innen werden von deutschen Country Medien (Papier und Online) kräftig als COUNTRY Sänger/innen angekündigt und dargestellt. Jeder bemüht sich, so viel wie irgend nur möglich über sie zu berichten. Und wenn sich mal ein Künstler nach Deutschland verirrt, ist jeder bemüht, auch so früh wie nur möglich darüber zu schreiben. Und wahrscheinlich auch darüber zu reden. Die Erwartungen beim lesenden und hörenden Publikum werden hochgeschraubt. Und dann kommt der Star, er/sie tritt auf - und dann passiert es. Ein heftiger Streit entbrennt über der Frage, was man denn nun eigentlich erlebt hat: Toll, sagen die einen, große Klasse, das ist ein toller Country Sänger, eine tolle Country Sängerin mit einem tollen Country Song. Und schon reagiert eine andere Gruppe mit gegenteiliger Auffassung: Sie schlägt die Hände über den Kopf zusammen und verzweifelt daran, daß hier wieder einmal ein Country Sänger, eine Country Sängerin durch das Raster COUNTRY gefallen ist und nichts anderes als Pop angeboten hat, perfekt und professionell - von Country aber keine Spur.

Warum dann diese nicht enden wollende Diskussionen darüber, ob Shania Twain, ob Faith Hill mit ihrer Musik (wie in den letzten Tagen und Wochen) ins Country-Lager gehört oder nicht? Warum kommt es immer wieder zu dieser Art Diskussion, warum herrscht in dieser Frage keine Einigkeit darüber, wie die Darbietungen dieser beiden Damen einzuordnen sind? Country oder Pop? Warum die beiden unüberbrückbaren Meinungen, wobei die erste zweifelsohne falsch ist, was auch jeder, der den nötigen Einblick ins Ganze hat, bestätigen wird. Doch diese Bestätigung kommt nicht.

Daß es immer schon Dispute darüber gab, ob nun jemand mehr oder weniger in die oder jene Richtung gehört: Schwamm drüber! Diese Art von Diskussion ist so alt, wie man Country Music in Deutschland zur Kenntnis nimmt oder hört. Als ein von der Entwicklung der Country Music entgeisterter Fan schon in den 60er Jahren einmal feststellte, daß für ihn nur noch das als Country gelten könne, was bis zum Gewinn der 1. Fußball-Weltmeisterschaft (also 1954) existierte, macht vielleicht etwas deutlich, um welche Kategorien es damals ging: Um den unaufhaltsamen Einzug des Rockabilly und Rock´n´Roll in das Country-Genre und etwas später um den heiß umstrittenen "Nashville Sound" als Gegenreaktion auf den Erfolg des Rock´n´Roll. Endlose Diskussionen und Streitereien haben den wirtschaftlichen Erfolg der Country Music schon in diesen frühen Tagen gelähmt. Das Fernsehen war in den Kinderschuhen - Country im Fernsehen gab es so gut wie nie. Im Rundfunk waren die reinen Country-Sendungen ebenfalls eine Seltenheit. Und Platten? Gut, die gab´s schon eher - aber verglichen mit heute, wo man sich quasi auf irgendwelchen Wegen alles besorgen kann: Nein, auch hier keine Vergleichsmöglichkeiten. Letzteres betreffend leben wir heute im Zustand der Glückseligen, auch das muß einmal gesagt sein.

Einen enormen Unterschied zu damaligen Zeiten gibt es heute dennoch. Man schlug sich damals zwar um den Begriff Country. Die Country Music als solche war indes nie in Frage gestellt. Hier ging es eher um Stilfragen. Die heutige Situation stellt sich anders dar: Heute geht es nicht mehr um Stilfragen, wie etwa um die Frage, ob ein Background Chor, die Orchestergeigen ein Lied "uncountryhaft" machen oder ob ein Künstler zu sehr auf das Crossover-Pferd gesetzt hat (ein Riesen-Streitpunkt der 70er Jahre). Heute geht es um die Substanz des Begriffs COUNTRY. Die ernste Frage, ob Country oder Pop!

Und in dieser Frage gibt es bei uns eine seltsame wie eindeutige Entwicklung. Derzeitiger Stand der Dinge: Im Gleichklang mit der Verflachung der Stilformen der Country Music in den USA haben Medien und Musikindustrie in Deutschland bis auf wenige Alibi-Teilgebiete (wenige CD-Veröffentlichungen z.B., da und dort eine Country-Sendung im Radio) COUNTRY komplett aus dem Bewußtsein gestrichen. Nashvilles totale Unterwerfung unter die wirtschaftlichen Interessen des US-Country-Radios bestimmen bei uns den Gang der Dinge: Nur was den (deutschen) Pop-Ansprüchen genügt, wird aus Nashvilles poppigem Restbestand für den deutschen Markt herausgefiltert. Und damit dann auch noch der letzte Hauch von Country verfliegt, ist man sich allenorts einig, nie und nimmer das Wort "Country" zu nennen und auszusprechen. Die Frage, ob Herr Gottschalk Shania Twain als Country-Sängerin angekündigt hat, erübrigt sich also.

Aber da gibt es nun noch ein Problem. Seit 1960 gibt es bei uns in Deutschland Leute, die die Finger nicht in Ruhestellung bringen können. Was aber auch für ein Glückfür uns: Denn sie schreiben unentwegt über die Country Music. Ohne sie wäre manche Entwicklung nie geschehen. Diese Leute sind die geistigen Mitträger der deutschen Country Geschichte, die in ihren Beiträgen die Entwicklung der Country Music begleitet haben. Von den Jahren der Puristen bis hin in die Zeiten des Gegenteils. Und immer haben sie auch den Begriff und die Inhalte der Country Music hoch gehalten. Und trotzdem kommt es inzwischen innerhalb der Fangemeinde zu den eingangs beschriebenen Diskussionen  bislang nicht bekannten Ausmaßes substantieller Art. Teils recht intelligent, teils aber auch recht diffus mit Argumenten, die keine Argumente sind. Zwei Beispiele: „Warum Shania, Lee Ann und Faith so stark einen auf Pop machen, liegt einfach daran, um Country in Deutschland beliebter zu machen.“ Und: „Für mich zählt nicht der Song sondern auch die Performance, Ausstrahlung und Präsenz.“ Da wird also herumdiskutiert, ohne das Ganze zu sehen, und die wenigsten merken, daß sie von der Country Music Industrie hier wie dort an der Nase herumgeführt werden. Freunde, für diese Kreise ist nur der wirtschaftliche Erfolg wichtig, und dafür werfen sie alle guten Country-Vorsätze über Bord.

Ich frage mich nun, ob auf Papier und Online nicht doch etwas schief gelaufen sein könnte in der jüngeren Vergangenheit? Könnte es sein, daß dem deutschen Country Publikum Ereignisse zwar mit dem Begriff Country umschrieben, beschrieben und angekündigt wurden, die dem Standard Country keineswegs mehr entsprachen? Könnte es sein, daß man sich zu sehr dem Nashville-Mainstream und den Interessen anderer unterworfen hat? Mit der Folge, daß das Publikum irgendwann die Tuchfühlung zu den Roots verlor? Auch mit der Folge, daß sich Auffassungen und Meinungen über den Begriff und den Inhalt des Begriffs COUNTRY entwickelt haben, die zu dieser eigentlich unnötigen Endlosdiskussion führten? Man muß da nur in die diversen Foren schauen. Ich frage mich allerdings auch, wie es um die Führungsstärke unserer Country-Meinungsbildner bestellt ist, die dem Publikum spätestens jetzt etwas davon erzählen sollten, daß die Country Music doch noch etwas mit Melodienreichtum, mit intelligenten Texten, mit einer Reihe sehr typischer Musikinstrumente, mit einer besonderen Gesangstechnik und auch mit einer Art Lebensgefühl zu tun hat. Vielleicht käme ein Teil des Publikum dann sogar auf die Idee, nicht jeden Künstler, der eine professionelle Gesangsleistung abliefert, in die Country Music einzuordnen. Auch wenn er einen Hut trägt.

Und nun diskutiert mal schön!