Country....Western....West
Über eine nach 27 Jahren wiedergefundene Langspielplatte
Von Hauke Strübing

The Best Of Country & West ..... was aber auch für ein blöder Titel! Wenn schon, dann doch bitte Western. Aber das ist hier gar nicht das Thema, weil Western inzwischen out ist in der Genrebezeichnung. Country - das ist gut so.

Doch von Anfang an: Als Internet-Neuling versucht man ja vieles, nicht alles - aber eBay auf jeden Fall mal! Irgenwie packt einen ja immer mal wieder das Jagdfieber, nach Musik selbstverständlich: Es könnte doch sein, daß man irgendwann etwas verpaßt hat.  Unter Country also klicke ich mich ein - nicht unter Western, das gibt´s gar nicht mehr und West - wie gesagt - die Bezeichnung ist zu blöd. Aus einem unerfindlichen Grund haben mich gleich zu Beginn die ollen Vinyl-Platten interessiert: 1. weil die immer noch toll sind, 2. weil ein zweiter Plattenspieler eingemottet in Reserve liegt (der darf ja auch nicht verkommen) und 3. weil es bestimmt irgendwo noch verborgene Schätze gibt, die es sich zu heben lohnt.

Also sehe ich mir mal die Liste der Langspielplatten durch, Country that is. Ja, und was sehen meine müden, inzwischen viereckigen Augen da? Kann denn das wahr sein? Eine LP für den stolzen Preis von 1 € Mindestgebot: NASHVILLE SUPER HITS Vol. 2 heißt sie. Und gleich die nächste für nur einen schlappen Euro Mindestgebot, die kommt mir ebenfalls recht bekannt vor - schon wegen des Titels: THE BEST OF COUNTRY & WEST VOLUME 6! Da ist er also wieder, dieser überaus blöde Begriff WEST.

Zwei uralte Schinken sind das RCA Records: Mit Banjo & Fiddle, Cover der deutschen Langspielplatte von 1975inzwischen mit jeweils 25 Jahren plus auf dem Buckel. Über die eine reden wir später mal. Jetzt dreht es sich für die nächsten Zeilen um diesen blöden Titel, der mich schon damals im Jahr 1975 aufgeregt hat genau wie das Cover der "Schwester-LP" MIT BANJO UND FIDDLE, auf dem ein Cowboy vor einem Lagerfeuer ein 4-saitiges (!!!!) Banjo spielt - so richtig stilecht! Was hatte ich nicht damals gut zugeredet, doch bitte, bitte keinen Cowboy, kein Lagerfeuer auf die Cover der beiden RCA-LPs zu bringen. Und dann das! Alles Reden hat nichts genützt. Ich habe noch gut in Erinnerung, was mir der zuständige Mann bei RCA in Hamburg mit dem schönen Namen (hat mich immer an einen früheren Dirigenten der Johann Strauss-Konzerte in Wien erinnert) damals sagte: Herr Strübing, sagte er, diese beiden Platten sind Kaufhaus-Platten! Damit sie von den Kunden und Liebhabern der Country Music gefunden werden, müssen wir das Western-Image pflegen. Nur so bringen wir diese beiden Langspielplatten auch an den Mann. Rums, da war´s wieder. Es war halt ein Kampf gegen Windmühlenflügel. Fragen Sie mal die Mitstreiter für die Country Music damals in den 70er Jahren! Es war gemeinhin sinnlos, dagegen anzukämpfen. Wahrscheinlich hätte es dann das wenige damals auch nicht gegeben.

RCA Records:The Best Of Country & West Volume 6; Cover der deutschen Langspielplatte von 1975Nun gut, auf Titelbild und Titel der Platte hatte ich keinen Einfluß. Dafür um so mehr auf die einzelnen Musiktitel der 6. (und letzten) Ausgabe von The Best Of Country & West. Um es kurz zu machen: Ich hatte die freie Auswahl und konnte dazu den Hüllentext schreiben. Im Text, der hier anschließend wiedergegeben wird, steht schon allerlei, wie das Album zusammengetragen wurde - aber nicht alles. Mitte der 70er Jahre standen wir metertief in der Country Music, jeder auf seine Art. Dazu gehörte eine Portion Erfahrung, die wir bereits seit den 50er Jahren gesammelt hatten. Was wir damals nicht hatten (bestenfalls und höchstens auf Tonband) waren gewisse Aufnahmen, mit denen wir groß geworden sind. Groß im Sinne von alt, meine ich. Diese frühen Aufnahmen waren für Nashville schon damals kalter Kaffee, für uns aber immer noch eine heiße Sache. Und so war es extrem schwierig, an "Lonesome Old House" oder an "I Cried Again" oder an "Chasin´ A Rainbow" ranzukommen. Damals war nämlich nicht heute, wo man nur noch das nötige Kleingeld benötigt.
RCA Records:The Best Of Country & West Volume 6; Rückseite der deutschen Langspielplatte von 1975
Diese Langspielplatte, The Best Of Country & West Vol. 6, so blöd der Titel auch klingen mag, war schließlich die Gelegenheit, all das in die eigene Sammlung zu bekommen, was man schon seit 10 oder 20 Jahren suchte. Können Sie sich vorstellen, welche Gefühle ich damals durchlebte, als ich zuerst überlegte, dann suchte und dann schweren Herzens sieben mußte? Die LP erschien dann Mitte September 1975. Einige Jahre später war sie noch als MusiCassette erhältlich. In der Entstehungsphase von Volume 6 dann kurz noch eine Aufregung, als bekannt wird, daß just in diesen Wochen die Don Gibson-Aufnahme "Sittin´ Here Cryin´" auf einem Bootleg in Umlauf kommt, was uns die Show zumindest in einer Hinsicht hätte stehlen können: die Erstveröffentlichung auf einer LP. Aber dieser Gedanke lebt nicht lange - weil unbedeutend. Für uns erschien "Sittin´ Here Cryin´", "I Cried Again" und "Chasing A Rainbow" erstmals auf Langspielplatte.

Vielen Dank eBay, daß ich mich nach 27 Jahren noch einmal an die Tage im Juni 1975 zurückerinnern kann.

Und jetzt der Text, der die LP THE BEST OF COUNTRY & WEST VOLUME 6 zierte. Auf der Rückseite sehen Sie etwas Gekritzeltes. es sind einige nette Worte von Justin Tubb, dessen ebenfalls lange unerreichbare Aufnahme "Take A Letter, Miss Gray" auf dieser LP verewigt wurde. Und dann müssen Sie unbedingt auf den Widerspruch der Abbildung auf dem Cover und der Textpassage im 2. Absatz der folgenden Linernotes achten:
 

Es ist noch keine 20 Jahre her, als die Country Music bei uns als Geheimtip einer kleinen Schar Eingeweihter galt. Vorausgesetzt natürlich man schaltete sein altes Dampfradio zur rechten Zeit ein und verfolgte via AFN eine der vielen "Stickbuddy Jamborees", "Hillbilly Gasthauses", "Hillbilly Reveilles" und "Five String Concerts". Oder auch die wöchentlichen "Grand Ole Opry"-Übertragungen und die "Country & Western Hitparaden".

Vieles hat sich im Laufe der Jahre geändert: Die ach so liebgewonnenen und lieblichen "Hillbilly"-Klänge der 50er Jahre sind Vergangenheit und einer etwas rauheren Gangart der modernen Country Music gewichen. Der "Nashville Sound", der für den Modern Sound neuzeitlicher Country Klänge manche wertvollen Steigbügelhalter-Dienste leistete, ist allgegenwärtig und wurde akzeptiert. Gewichen ist hierzulande weitgehend das Image von der Country Music als Tummelplatz für Lagerfeueridylle und singende Cowboys. Vorstellungen, die hier seit Anbeginn und damit viel zu lange herumgeisterten. Mittlerweile kennt man Country Music, hört man Country Music. Man spricht von der Country Music, man spricht von ihren Stars. Und natürlich spricht man auch hier von der guten alten Zeit - von den good old days: Ein Hauch von Nostalgie vermischt sich mit der Realität.

RCA will sich an den Diskussionen um die Country Music mit einem weiteren Beitrag beteiligen und präsentiert mit der 6. Folge der erfolgreichen Serie "The Best Of Country & West" erneut zwölf sorgfältig ausgesuchte Aufnahmen, die mit Recht in die Kategorie "The Best" einzustufen sind. Weitgespannt ist der musikalische Bogen von der jüngsten Country-Neuzeit bis zurück in die endfünfziger Jahre. Allesamt haben die Aufnahmen einen hierzulande geschätzten traditionellen Anstrich.

The Best - das können nun die großen, die erfolgreichen Hits eines Interpreten oder gar einer ganzen Epoche sein. Das sind mit Sicherheit aber auch jene Aufnahmen, die - wenn sie schon nicht die höchsten Stufen der Hitparadenleitern erklommen haben - zum besten Dargebotenen im Repertoire eines Künstlers zählen. Und hier kommt man dann schließlich auch nicht an denjenigen Aufnahmen vorbei, die in Sammlerkreisen als Raritäten gelten.Unter diesen Gesichtspunkten entstand dieses Album, und ich denke, daß der The Best-Titel hält, was er verspricht.

Nehmen Sie zum Beispiel Don Gibson. Sicherlich sind Ihnen seine Bestseller "Oh Lonesome Me" und "I Can´t Stop Loving You" noch in bester Erinnerung. Doch kenner Sie noch - oder besser - auch schon die Aufnahmen "Sittin´ Here Cryin´" und "Lonesome Old House"? Jene zwei Aufnahmen im typischen Gibson-Rockabilly-Stil aus dem Jahre 1957 bzw. 1959, um die sich in den 1 1/2 Jahrzehnten seit ihrer Erstveröffentlichung große Geheimnisse rankten? Ebenfalls aus dem Jahr 1959 schließt sich der flotte Hank Snow-Titel "Chasin´ A Rainbow" an, der wie Porter Wagoners "I Cried Again" (1961) längst in die Kategorie der Country Classics einzuordnen ist, kurz: Alle vier Aufnahmen sprengen den sonst gesetzten Rahmen und feiern auf dem vorliegenden Album ihre Langspielplattenpremiere.

Die frühen 60er Jahre brachten den großen Umschwung in der Country Music. Etabliert hatte sich der Nashville Sound, der jetzt seine ersten Früchte trug - aber auch manche Kapriolen schlug. Vor allem setzte er neue Zeichen, gab neue Impulse, und mit ihm kamen schließlich einige junge "Altstars" zu ihren ersten wohlverdienten Lorbeeren. So bekam Justin Tubb dieser Wechsel ebenso gut wie etwa Carl Belew: Beide plazierten 1963 bzw. 1962 ihre bislang ersten Top-Ten-Aufnahmen in den Country-Hitparaden: Carl Belew "Hello Out There" und Justin Tubb "Take A Letter, Miss Gray". Wobei es dann allerdings bis zum heutigen Tag auch blieb. Ganz anders sah die Geschichte für Norma Jean aus, die - just neues Mitglied der Porter Wagoner Show geworden - mit den Aufnahmen "Let´s Go All The Way" und "I´m A Walkin´ Advertisement (For The Blues)" (1964) die entscheidenden Grundsteine für ihre Karriere legte. Anders auch für Roger Miller, der seiner Zeit ohnehin immer eine Nasenlänge voraus war, und anders auch für George Hamiltin IV und Bobby Bare. Ihre Präsenz ist heute Realität ebenso wie die von Porter Wagoner und von Dolly Parton.

Wobei wir auch schon in der Country-Gegenwart sind, die in unserer Zusammenstellung von George Hamilton IV mit seinem "Canadian Pacific" (1969), von Porter Wagoner & Dolly Parton mit deren "Oh, The Pain Of Loving You" (1971) und von Bobby Bare & Family ("Singin´ In The Kitchen") nicht besser repräsentiert werden könnte.

Don Gibson: Lonesome Old House/Porter Wagoner: I Cried Again/Bobby Bare & The Family: Singin´ In The Kitchen/Norma Jean: I´m A Walkin´ Advertisement (For The Blues)/Carl Belew: Hello Out There/George Hamilton IV: Canadian Pacific
Hank Snow: Chasin´ A Rainbos/Hank Locklin: Followed Closely By My Teardrops/Porter Wagoner & Dolly Parton: Oh, The Pain Of Loving You/Don Gibson: Sittin´ Here Cryin´/Justin Tubb: Take A Letter, Miss Gray/Roger Miller: Footprints In The Snow (RCA PJL 1-8027/26.21527 AF Stereo. P 1975)