Wie es war - wie es ist
Country im Radio
Eine (ganz persönliche) Betrachtung von Hauke Strübing
1. Teil

Ich erzähle heute immer noch gern die Geschichte, wie ich zur Country Music kam. Das war 1955. Damals gab´s schon die Programm-Zeitschrift HÖR ZU (ich glaube mit dem Zusatz: und sieh fern). Jede Sendung mit Opern-Musik kritzelte ich an, denn das war die Musik, die mich interessierte: Verdi, Rossini, Lortzing, Donizetti. Auch AFN sendete Opern-Musik, dachte ich mir. Opera - so heißt das doch auf englisch. Na klasse! Sogar große, alte Oper: Grand ole opera. Zunächst stolperte ich nicht großartig über das Wort, das da tatsächlich stand: Opry. Ein Schreibfehler, dachte ich mir. Vielleicht auch die Abkürzung für das Wort Opera. Opry klingt auch gut, wenn da schließlich Musik aus dem "Barbier",  aus "La Traviata", aus dem "Troubadour" oder aus "Rigoletto" erklingt. Das war damals nämlich meine Lieblingsmusik.

An einem Samstagabend kurz nach 8.00 Uhr schaltete ich den UKW-Empfänger ein, das magische Auge war volle Stärke auf AFN Frankfurt eingepeilt - und ab ging die Post. Allerdings nicht nach Lonjumeau sondern nach .... ja, wohin eigentlich?? Meine Güte, dachte ich mir, jetzt hat dich doch einer kräftig geleimt. Entweder spinnen die bei AFN oder ich war falsch gewickelt. Die Amerikaner haben wirklich eine seltsame Auffassung von Opern-Musik. Irgendetwas ist da falsch gelaufen. Aber ein Blick in die Programmzeitschrift bestätigte mir: Das muß Opern-Musik sein. Und ich las noch einmal: Grand Ole Opry.

Was ich damals in diesen ersten Momenten meiner Beziehung zur Country Music nicht wußte, war, daß ich Country Music hörte - oder wie man damals noch sagte: Hillbilly Music hörte.  Ich wußte partout nichts mit dem Begriff Grand Ole Opry anzufangen. Ich hörte nur einige Gesangsbeiträge, dazwischen immer wieder ein "musikalisches Intermezzo", wie man das früher nannte (heute und schon seit langem heißt das Instrumental), einige Wortbeiträge, viel Gelächter und noch mehr Beifall. Bis um halb neun. Dann war der Zauber vorbei. Wer da gesungen hatte, verstand ich sowieso nicht, und was die gesungen hatten ebenfalls nicht. Ganz offen: Ich verstand die Welt nicht mehr und sonst auch nichts. Denn diese Art Musik hörte ich zum ersten Mal. Musik, die mir dann aber doch irgendwie gefiel, weil sie so schön melodiös war. Eine Ansage des AFN-Sprechers blieb an jenem Abend in Erinnerung, und die hieß: Vergessen Sie nicht unsere Nachmittagssendung "Stickbuddy Jamboree" um 15.05 Uhr einzuschalten, jeden Nachmittag von Montag bis Freitag.

So war das also mit der Country Music im Radio. Am Anfang war der American Forces Network. Ein AFN in Frankfurt seit Mai 1945, ein AFN in der Kaulbachstrasse in München seit dem 10. Juni 1945. Es folgten ein AFN in Berlin, ein weiterer AFN in Bremen (wurde 1949 nach Bremerhaven verlegt und hieß in der Folge AFN Bremerhaven), seit dem 17. März 1AFN Logo948 dann ein AFN in Stuttgart, 1950 ein AFN in Nürnberg und 1953 ein AFN in K-Town, in Kaiserslautern. Für diese Betrachtung auch noch wichtig: Den AFN in Orleans, Frankreich gab es seit dem 23. Mai 1958. Wer im Sendebereich dieser AFN-Stationen wohnte, der machte, wenn er wollte, Bekanntschaft mit der Country Music."...meine kleinen Kenntnisse auf dem Gebiet der Hillbilly- und C&W-Music verdanke ich den Sendungen HILLBILLY REVEILLE und STICKBUDDY JAMBOREE beim AFN" schrieb ein Leser im Oktober 1960 im DRIFTERS´ ROUNDUP der OLE HILLBILLY DRIFTERS. So oder ähnlich hörte und las man es damals allenthalben: Country lernten wir aus Sendungen des AFN kennen. Im deutschen Radio beherrschte der deutsche Schlager mit Peter Kraus, Freddy, Margot Eskens, Fred Bertelmann und Vico Torriani die Szene. Bill Haley, Harry Belafonte, Billy Vaughn und sogar Elvis waren bestenfalls kleine musikalische Kleckse in der deutschen Hörlandschaft. Country: Leermeldung. Wer nicht AFN hören konnte, der hatte anfangs nur geringe Chancen, die Country Music überhaupt kennenzulernen."Die AFN-Stationen leisteten damals in den 40er und 50er Jahren für die Verbreitung der Hillbilly Music in Europa echte Pionierarbeit, und so ziemlich jeder Europäer, der in jenen Jahren zur ländlichen Musik Amerikas fand, war über die AFN-Sendungen zum ersten Male damit konfrontiert worden" (Walter Fuchs: Das Buch der Country Music, HEEL-Verlag, 1990).


Bereits seit 1945 sendete AFN in Deutschland Hillbilly Music. Die ersten Jahre sind heute nicht mehr nachvollziehbar - aus verständlichen Gründen, weil es damals andere Dinge zu tun gab. Aber bekannt sind immer noch die Namen einiger AFN-Announcer aus diesen frühen Pionierjahren: Bill Atwood, Character Fletcher, Carl Adam, Uncle Willie und Old Buddy Missouri. Eine der ganz frühen Sendungen in den 50er Jahren war morgens das "Hillbilly Gasthaus", 1957 betreut von Dan Fulkerson beim AFN Bremerhaven (montags bis freitags von 6.05 bis 6.30 Uhr). Diese morgendliche Sendezeit war dann für lange Jahre Standard. Samstags lief die "Hillbilly Hitparade", auf Grund der Hörerwünsche  von "Hillbilly Gasthaus" und der ebenfalls montags bis freitags laufenden Nachmittags-Sendung "Stickbuddy Jamboree" (15.05 bis 15.30 Uhr) zusammengestellt. Larry Phillips hieß der Annoucer dieser Hörerwunsch-Sendung.
                                                
7 TOP TUNES
  THE EUROPEAN HILLBILLY HITPARADE
At the l7th of May 1958 the "Seven Top Tunes" in the Country and Western field of music tabulate like this:

 1  HANK LOCKLIN      SEND ME THE PILLOW THAT YOUDREAM ON                                                            
 
2  MARTY ROBBINS    THE STORY OF MY LIFE                                                                            
 
3  DON GIBSON             OH LONESOME ME
 4 BOBBY HELMS           FRÄULEIN
 5 HANK SNOW              WHISPERING RAIN
 6 BOBBY HELMS           JUST A LITTLE LONESOME
 7 RAY PRICE                    MY SHOES KEEP WALKING BACK TO YOU

These selections on the European Hillbilly Hitparade have been tabulated by the greatest number of requests right here in Europe,
taken off the "HILLBILLY GASTHAUS" and the "STICKBUDDY JAMBOREE" of the American Forces Network (AFN).
There are only seven songs featured on the Hitparade, because that is all the 25 minute show will allow.
 Auszug aus  COUNTRY SINGIN´ & PICKIN´ NEWS des OLE HILLBILLY DRIFTERS´ CLUB  vom April 1958


Und am Samstagabend brachte AFN von 20.05 bis 20.30 Uhr den von Prince Albert Tobacco gesponsorten Teil der Grand Ole Opry-Show. Ab Mitte Mai 1957 gab es dann im Anschluß an die Opry-Sendung ein zusätzliches Programm: Saturday Night Country Style (20.30 bis 20.55 Uhr). Im wöchentlichen Wechsel wurden 4 Radio-Shows übertragen: Aus Dallas, Texas die Big D Jamboree, aus Shreveport, Louisiana die Louisiana Hayride, aus Richmond, Virginia der Old Dominion Barn Dance und aus Louisville, Kentucky der Old Kentucky Barn Dance. With AFN on your way, you´ll be happy all the day!

Viele Anhänger der Country Music, die sich früher oder später für dieses Genre engagierten, sind tief in dieser Zeit verwurzelt. Anfangs murkste wohl jeder in irgendeiner Weise vor sich hin. Kontakte waren so gut wie ausgeschlossen. Als Hörer der Hillbilly Music galt man schlichtweg als Exot. Mir passierte es tatsächlich, daß Jim Reeves am 6. April 1957 im Belvoir Theater in Giessen vor meiner Haustür auftrat, und ich nichts davon erfuhr. Dabei waren seine derzeitigen Hits "Yonder Comes A Sucker" (soll mich heute niemand mehr fragen, wie ich diesen Titel zu Papier brachte!!) und "According To My Heart" damals neben "More And More" (Webb Pierce), "Young Love" (Sonny James) und "Let Me Be The One" (Hank Locklin) zwei der ewig nachgesungenen Liedchen.

Titelblatt von " Country Singin´ and Pickin´ News" aus dem Jahr 1957Dank einer genialen Strategie des Schweizers Charles "Chuck" Steiner sollte sich dieser Zustand der absoluten Nicht-Informiertheit jedoch bald ändern.Zu Zeiten als bei uns noch niemand das Wort Marketing in den Mund nahm, benutzte er das Medium Rundfunk, also AFN, kostenlos für seine Zwecke. Was tat er? Er forderte die Mitglieder seines OLE HILLBILLY DRIFTERS Club in den vierteljährlichen Club-Zeitschriften auf, sich für den Club immer und immer wieder Musikstücke zu wünschen, womit er den OLE HILLBILLY DRIFTERS Club zum Namens-Bestseller in den Country-Sendungen von AFN machte. Jeder, der nun den Namen des Clubs hörte und sich für mehr als nur bloßes Zuhören interessierte, wandte sich an den AFN und erhielt die Anschrift des Clubs in der Schweiz. Genial: Werbung ohne Kosten. Denn die AFN-Announcer machten dieses Spielchen mit. In der Club-Zeitschrift "Country Singin´ and Pickin´ News" veröffentlichte er dann regelmäßig alle Wunschtitel mit Sendetermin und Namen dessen, der sich den Titel gewünscht hatte (Ein Beispiel von 1957 hierunter). Was damals niemand in der Bedeutung abschätzen konnte: Chuck Steiner legte mit dieser Pioniertat den Grundstein für den heutigen Bekanntheitsgrad der Country Music in Deutschland und über die Grenzen hinaus. Viele junge Menschen, die auf diese Weise Verbindung zu einem größeren Kreis Country-Interessierter erhielten, verbreiteten später ihrerseits ihr erworbenes Wissen auf vielfältige Art. Wer kann heute abschätzen, wie alles gelaufen wäre ohne das Engagement von Chuck Steiner. Und vor allem ohne AFN!


OLE HILLBILLY DRIFTERS Fan Club vom 1. April bis 30. Juni 1957:
Complete list of requests for the OLE HILLBILLY DRIFTERS Fan Club,
played by A.F.N. from April 1st till June 30th, 1957:

01/4/57 Ferlin Husky: That Big Old Moon
08/4/57 Wanda Jackson: Silver Threads And Golden Needles
10/4/57 Skeets MacDonald: I Love You, Mama Mia
16/4/57 Louvin Brothers: I Don' t Believe You've Met My Baby
23/4/57 L. Flatt/E. Scruggs: Don't Get Above Your Raisin
24/4/57 Kitty Wells: Makin' Believe
30/4/57 Hank Williams: You Win Again
01/5/57  Webb Pierce: Love, Love, Love
03/5/57  Hank Williams: Settin´ The Woods On Fire
08/5/57  The Browns: Just As Long As You Love Me
13/5/57  L. Flatt /E. Scruggs: On My Mind
15/5/57  Carl Smith: Are You Teasing Me
15/5/57  Webb Pierce: Sparkling Brown Eyes
17/5/57  Jim & Jesse McReynolds: I Will Always Be Waiting For You
by W. & E. Müller
by Thomas McKenzie
by Chuck Steiner
by W. & H. Müller
by Chuck Steiner & Bill Bonn
by Bill McCann
by Bill McCann  & Fred. Davies
by Bill McCann
by Fred. Davies
by W. & H. Müller
by Hanni Müller
by Freddy Stumm
by Fred. Davies
by André  Martin

Auszug aus  COUNTRY SINGIN´ & PICKIN´ NEWS des OLE HILLBILLY DRIFTERS´ CLUB  vom Juli 1957

Ab Montag, 19. Mai 1958, wurde dann das seit Jahren bestehende "Hillbilly Gasthaus" in "Hillbilly Reveille" umgetauft. Es blieb bei der bisherigen Sendezeit Montag bis Freitag 6.05 bis 6.30 Uhr. Gefahren wurde die Wunschsendung jetzt allerdings aus dem AFN-Studio in der Kaulbachstraße 15 in München. Announcer war Larry Phillips

Gegen Ende 1958 wechselte die Adresse von "Hillbilly Reveille". Der Announcer "Bad Sam" fuhr die Sendung zur gewohnten Zeit aus dem Studio des AFN Frankfurt. Ein weiterer Wechsel fand im Frühjahr 1959 (wahrscheinlich am 1. März) statt: "Hillbilly Reveille" mit Gary Harmon kam jetzt aus Bremerhaven, der den Unterlagen zufolge von sich aus Lieder für den Club spielte und dem OLE HILLBILLY DRIFTERS´ Club zu noch mehr Popularität verhalf. Der 3. Wechsel am Mikrofon fand dann etwa im Sommer 1959 statt. "Hillbilly Reveille" wechselte wieder nach München zurück - jetzt am Mikrofon Jim Carter. Er stellte in München auch die wöchentliche Country Hitparade zusammen, die samstags von 6.05 bis 6.30 Uhr ausgestrahlt wurde. Ein Tag am Anfang dessen Zeit in München ist besonders hervorzuheben: Am 25. September 1959 löste ihn Johnny Cash als Gast im Studio für ein/zwei Ansagen ab.

Eine Randbemerkung an dieser Stelle: Alle bislang erwähnten Hillbilly-Sendungen wurden jeweils über das gesamte AFN-Sendernetz ausgestrahlt. Daneben gab es weitere lokale Hillbilly-Sendungen - zumeist nachmittags - (z. B. AFN Stuttgart, AFN Berlin, AFN Frankfurt), über die allerdings keine Aufzeichnungen vorliegen.

Ein Bericht über die Ausstellung "60 Jahre AFN in Frankfurt"