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Wie die Country Music zu den Truckern kam
Von Hauke Strübing
 

Wenn Deutsche das Wort "Country" hören, dann denken viele sofort an Cowboys, an Lagerfeuer und auch an Trucks und Trucker. Diese teils unsäglichen Vorurteile über die Musikrichtung Country Music kommen nicht von ungefähr. Sie wurden nämlich von denjenigen initiiert und immer wieder auch genährt, die sie heute am liebsten auf einen Schlag wieder los werden möchten: Von der deutschen Musikindustrie. Als man bei uns noch vom deutschen Schlager (alter Prägung) sprach und diesen auch hörte, waren die Cowboys, die Präirie und das Lagerfeuer nicht aus vielen Texten wegzudenken. Und es waren die deutschen Plattenfirmen, die bis heute noch mit einer unbeschreiblichen Ausdauer ein Klischee bildeten, von dem man heute am liebsten nichts mehr wissen möchte. Aber nun liegt das Kind im Brunnen: Wer lange genug speziell deutsche Country-Veröffentlichungen sammelt, dessen Schränke stehen voller Beweismittel. Wer sich einmal die Mühe macht, auf die Abbildungen speziell deutscher Country-Sampler in einem bekannten Internet-Auktionshaus zu klicken, der sieht die Beweisstücke vor Augen. Und wer sich auf deutschen Country-Veranstaltungen - wie letzthin die Ausstellung in Gießen - aufhält, der gilt als Exot unter Cowboys und Cowgirls. Dabei liegt die Zeit der singenden Cowboys, die es in der Tat in der Vergangenheit schon einmal gab, inzwischen 60 bis 70 Jahre zurück. Aber der Eindruck, den diese Leute damals gemacht haben, der muß wohl sehr tief gewirkt haben.

Und dann gibt es noch eine weitere Klischee-Vorstellung bei uns: Das Klischee vom Trucker und seiner Country Music. Daß nämlich die Country Music hauptsächlich und sogar ausschließlich Trucker Music ist und sich als solche in epischer Breite darstellt und nur den Trucker und sein Umfeld zum Inhalt hat, ist eine weit verbreitete Meinung. Auch diese Ansicht ist nur deutsch und - was die Country Music generell betrifft - irreführend und nicht richtig. Während sich die Existenz der Cowboys leicht aus der Zeit der singenden Cowboys in Hollywoods (bestenfalls) B-Filmen vor rund 60 Jahren ableiten läßt, ist die Verbindung Truck - Trucker - Country nicht so leicht nachzuvollziehen. Aber auch hierfür gibt es eine Erklärung.

Wahr ist nämlich diese Geschichte: Bekanntlich gibt es in den USA eine Vielzahl von Radiostationen. Die meisten sind lokal, und in der Summe kommt man leicht auf die Zahl von 10.000 bis 12.000 Stück. Eine andere Tatsache ist auch, daß nur die wenigsten Radiostationen in den USA ein Programm ausstrahlen, wie es bei uns in aller Regel üblich ist. In den USA haben die Radiostationen alle ein Format (Die "station letter" der Radiostationen östlich des Mississppi beginnen alle mit dem Buchstaben W, westlich des Misssippi alle mit dem Buchstaben K. Aber das nur nebenbei). Und Format bedeutet: Die Radiostationen senden von morgens bis abends das eine oder das andere. Nicht eine Stunde Jazz, eine Stunde Top 40, eine Stunde Klassik und was auch immer. Sie senden je nach Marktlage: Top 40, Adult, Country, Jazz, Oldies, Classic, Latin, Talk, News, Kirche, Albums usw. und so fort - und das alles - wie gesagt - ausschließlich.

Wenn wir nun versuchen, der Verbindung Trucker - Country Highways in den USA: Interstate 5 in Richtung BakersfieldMusic auf die Spur zu kommen, müssen wir ein halbes Jahrhundert zurückgehen. Bei dem täglichen Kampf um die Hörerschaft (und damit um die lukrativen Spots der werbenden Wirtschaft) ist damals jemand auf die Idee gekommen, sich auch der Wünsche der Trucker in den USA anzunehmen. Und einer dieser Wünsche war recht zweckdienlich: Die Trucker hatten verständlicherweise größtes Interesse an Wetter- und Straßenzustandberichten - und das möglichst zu allen Tages- und Nachtzeiten. Genau dies griffen die Country Radiostationen in den USA als erste auf vermengt mit den Werbespots von Truck Stops und Tankstellen an den Highways, und genau das war es, was die Trucker hören wollten und was sie mit der Country Music zusammenbrachte. In der Folge blieben Lieder nicht aus, die sich mit dem Metier und dem Umfeld der Trucker befaßten. Das verband die Trucker und die Country Music in den USA noch mehr, und so entstand im Laufe der Jahre eine neue Spezie innerhalb der Country Music. Und ich will nicht sagen: eine neue Stilrichtung, denn alle eigentlichen Stilrichtungen - auch die Bluegrass Music - widmeten sich dann und wann  in einzelnen Liedern dem Thema Trucker.

Truck in La Mirada (Los Angeles)Trucker-Lieder gibt es rückblickend bis weit in die 50er Jahre hinein. Der inzwischen älteste und einer der bekanntesten Trucker Songs ist der "Truck Driving Man", den Heerscharen von Country Sängern in ihrem Programm haben. Aber es gibt nur das Original, und das hat Terry Fell 1954 gesungen - und übrigens auch komponiert. Der bekannteste Trucker Song heißt indes "Six Days On The Road", mit dem Dave Dudley Anfang der 60er Jahre seinen großen Durchbruch feierte. Dave Dudley wird auch bei uns als der große Trucker gefeiert. Er war es dann auch, mit dessen Hilfe via ZDF Mitte der 70er Jahre die Country Music erstmals auf einer ganz breiten Ebene zum Durchbruch verholfen werden sollte. Was bekanntermaßen nicht gelang. Immerhin blieb das Klischee hängen, Country Music sei Trucker Music.

Und nun haben wir außer den Cowboys und dem Lagerfeuer auch noch die Trucker-Musik in unserer Country-Vorstellungswelt. Gesetzt den Fall irgendeinem Veranstalter würde es gelingen, Alan Jackson oder Brad Paisley oder John Anderson oder Garth Brooks oder Trick Pony oder Kenny Chesney oder Dixie Chicks oder Travis Tritt oder Alison Krauss oder Martina McBride oder George Strait oder Nickel Creek oder Brooks & Dunn zu einem Auftritt nach Deutschland zu bewegen. Was, glauben Sie wohl, denken diese Herrschaften, wenn sie denn tatsächlich einmal zu uns kämen? Bilder (Interstate 5 in California zwischen Los Angeles und Bakersfield/Truck an der James Dean-Gedenkstätte): Hauke Strübing