Uhr

Kommentar

Was ist denn überhaupt New Country?
Von Hauke Strübing
 

Zu diesem Thema muß endlich mal etwas gesagt werden. Zugegeben, viele Menschen haben von mir in einer Reihe von Jahren nicht viel gehört. Und auch zugegeben, ich konnte nicht teilhaben an der Meinungsbildung, die inzwischen in Sachen Country Music hier bei uns stattfand. Was ich aber nicht zugebe: In keiner Phase der vergangenen Jahre habe ich nur eine Minute abgeschaltet sondern vielmehr die Country Music-Szenerie genau beobachtet. Und ich habe noch viel mehr getan. Mangels eines Mediums habe ich speziell in den letzen Jahren meine Gedanken  z. B. über die Entwicklung der Country Music bis zum heutigen Standard niedergeschrieben in Begleitheftchen von CDs, die ich mir selbst zu meinem eigenen Spaß und Hörvergnügen zusammengestellt habe. Auch wenn auf Grund meiner Berichterstattung auf dieser Seite der Eindruck erweckt werden mag, mein Verständnis für die Country Music hätte irgendwann in den 80er Jahren seine Grenzen gefunden: Dieser Eindruck ist falsch. Meine traurige Erfahrung ist eigentlich die, daß man heute viel mehr auch über solche Künstler berichten müßte, die Hervorragendes geleistet haben, sich dieser Job aber keinesfalls mehr lohnt, weil speziell in den späten 80er Jahren seitens der US-Country-Industrie eine Entwicklung einsetzte, die man nur noch als verschwenderisch bezeichnen kann. Wenn jemand aufmerksam alles das gesammelt hätte, was sich heute in den Regalen unter "abgehakt" befindet, dann käme jeder andere auch zu diesem oder einem ähnlichen Schluß. Wo sind sie alle geblieben, die man freudestrahlend begrüßt hat, von denen man die erste CD und dann vielleicht noch die zweite CD sich gekauft hat - wobei es  allerdings blieb. Wo sind sie? Bryan Austin, Archer/Park, Paul Brandt, John Brannen, Aaron Barker, Marty Brown, Boy Howdy, John Bunzow, Shawn Camp, Andy Childs, Jeff Chance, Mark Collie, Stacy Dean Campbell, Jeff Carson? Um nur bei den Buchstaben A, B und C zu bleiben.

Noch nie war der Verschleiß an Künstlern in der Country Music in den vergangenen 10 bis 14 Jahren so groß. Noch nie hat man sich so sehr versündigt auch an den Anhängern der Country Music wie in diesem Zeitraum. Die Geldgier der Country Music-Industrie ist es. Und da wirken doch Beiträge deutscher und deutschsprachiger Fans, wie man sie vielerorts in Foren nachlesen kann, geradezu dilettantisch und ahnungslos. Die große, breitspurig vorgetragene Ahnungslosigkeit wird mit starken aber nichts untermauernden Worten dargeboten. Als ich vor einigen Monaten ins Netz ging, ahnte ich anfangs nicht, was mich erwartet. Ahnte ich nicht, auf welchem Niveau über die Country Music hier bei uns diskutiert wird. Hatte ich auch keine Ahnung, als was die Country Music in deutschen Köpfen herumgeistert. Und immer wieder fiel mir ein Begriff auf, den ich vorher nie hörte - zumindest nicht als Genrebegriff wie etwa die Begriffe Bluegrass Music oder Western Swing oder Hillbilly Music oder Country & Western. Immer wieder fiel und fällt der Begriff "New Country". "New Country"? Was ist "New Country" und was soll "New Country" eigentlich sein? Letzthin versuchte mich und andere jemand aufzuklären, als er in einem Forum schrieb: "Um die Sache noch auszudehnen, jeder der in den USA länger war, weiß, daß eben New Country in Europa gern als New American Music bezeichnet, eben die gängigste Countryform ist, und eben dort auch sehr beliebt ist. New Country spricht auch die Jugend an."

Also, liebe Freunde, so ein Wortungebilde kann nun beim besten Willen nicht so stehen bleiben. Zum einen: New Country als Sammelbegriff für eine Spielart der Country Music gibt es schlechthin nicht. Gegeben hat es zwar vor einer Reihe von Jahren eine US-Zeitschrift mit dem Titel "New Country", die als besondere Beigabe jeweils eine CD mitlieferte, und die wegen ihres Titels (Zeitschrift und CD) den Begriff "New Country" prägte und in die Köpfe einiger verpflanzt haben mag. Aber dieses "New Country" [a) weiß ich worüber ich spreche, weil ich nämlich b) sowohl alle Zeitungsausgaben wie CD-Ausgaben in meinem Archiv habe!) hat nichts anderes getan, wie andere Country-Zeitungen und Country-Zeitschriften auch: Diese haben über die aktuelle Country Music berichtet und somit die laufende Entwicklung in Wort, Bild und in diesem besonderen Fall sogar in Ton festgehalten. Darüberhinaus von einer neuen Stilrichtung zu sprechen, ist deplatziert und schlicht und einfach falsch. New country als Stilrichtung gibt es nicht, new country ist nichts anderes als der neueste Entwicklungsstand der Country Music, der neueste Stand der Dinge. Und der verändert sich tagtäglich. Deswegen führt unser Forum-Schreiben schon mit seinem nächsten Satz seine ganze Argumentation von "New Country" ad absurdum: "Gut, der neueste Hit von Shania (Twain) hat auch nicht viel mit New Country zu tun...". Ja, meine Güte, wenn die aktuelle Aufnahme von Shania Twain nichts mit "New Country" zu tun hat, was macht Shania Twain dann eigentlich? Etwa doch Pop Musik in reinster Kultur? Gelegentlich, wenn man sich ihre non-europäischen Liedfassungen anhört, auch Country Pop?

Und was ist nun "New Country" in den Köpfen der Leute, die diesen Begriff ständig benutzen? Wissen Sie das überhaupt? Ich möchte eine Wette eingehen, daß diese Leute den Begriff "New Country" nicht einmal definieren geschweige denn belegen können! Ehrlicher wäre es wohl, von Country Rock oder Country Pop oder von Soft Rock zu sprechen. Da weiß man auf jeden Fall, woran man ist.

Und ich komme wieder einmal zu dem Schluß, daß die Ahnungslosigkeit vieler über das breitgefächerte Angebot der Country Music bzw. die Oberflächlichkeit, mit der dieses Thema abgehandelt wird, nicht zu übersehen ist. Wobei das ja auch zu jeder Zeit akzeptabel ist. Jeder möge, bitte schön, die Musik hören und genießen, die ihm gefällt. Nur: Manche Leute verfallen halt immer wieder in den Fehler, daß sie auch noch anfangen, darüber zu reden bzw. zu schreiben.