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Die Pfingstfestivals von Neusüdende
Ein geschichtlicher Rückblick
Von Hauke Strübing

Country Meetings - so nannte man die heutigen Pfingstfestivals von Neusüdende anfangs bescheiden. Von Jahr zu Jahr haben die Veranstaltungen an Pfingsten an Klasse gewonnen. Lang ist die Liste der berühmten Namen von Künstlern, die im "Lindenhof" aufgetreten sind. Ich habe einmal im Archiv herumgewühlt und einige Artikel über frühere "Meetings" gefunden:

 

C   0   U   N  T   R   Y    C O  R  N  E   R   lädt   ein   zum

9. Country Meeting

am Pfingstsonnabend, dem 9.Juni 1973,
in der Gastst
ätte LINDENHOF (H. Möhlenkamp)
in NEUS
ÜDENDE bei Oldenburg/Bremen, (Telefon: 04402-3055).

BEGINN: 14.00 Uhr
ENDE:   24.00 Uhr

Es spielen: 

"THE SOUTHERN EAGLE STRING BAND"
(Old-Time Music / Country Music-Band aus England; MIKE PARIS - CHRIS COMBER)

"THE COUNTRY RAMBLERS"
(Bluegrass Music Band aus der Schweiz)

"THE GRASSHOPPERS"
(Bluegrass Music Band aus D
änemark, die bereits im
vergangenen Jahr an unserem Meeting teilgenommen hat)

(Ankündigung in COUNTRY CORNER Nr. 34 vom April 1973)

 

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Bluegrass-Oldtime-Oldenburg

Country Music Goes To Oldenburg / Zehn Stunden lang Musik

Eine kritische Würdigung von HAUKE STRÜBING

Oldtime Music und Bluegrass - das waren die Themen von Oldenburg. Zwei ernst zu nehmende Disziplinen in der heute so weit gefächerten Country Music, Oldenburg zeigte einmal mehr, daß Country Music nicht nur unbedingt modern und progressiv zu sein braucht. Die nicht selten, unterschwellig als rückständig und "nur für einige wenige" bezeichnete Oldtime Music erlebte in Oldenburg ein Revival. Es wurde gezeigt, daß auch Oldtime modern sein kann. In der Auffassung, in der Darbietung, in der Wahl der Musikbeispiele. Dennoch wurden ihre fest umrissenen Grenzen nicht angetastet und durchlöchert. Dafür sorgten die Akteure auf der Bühne. 

Feste wenn auch nicht starre - Gesetze kennt die Bluegrass Music. Viel mehr als etwa die Oldtime Music hat sich der Bluegrass in das lebendige Musikgeschehen des unter - und überbewerteten Nashville Sounds integriert. Gerade deshalb wird es der Bluegrass Music immer weitaus leichter fallen, in dem kommerziellen Gerangel als eigene, bedeutende Art zu bestehen. Gleich drei Bluegrass Gruppen zeigten in Oldenburg, daß es damit etwas auf sich haben muß. 

Die Country Meetings sind bereits Tradition. Begeisterung und Liebe für und zur Country Music müssen die Grundsteine für eine ungebrochene Initiativkraft einiger weniger sein, die stets das Risiko in finanzieller Hinsicht vor sich sehen, organisatorische Schwerstarbeit verrichten - Wochen vorher und während des Meetings. Trotzdem für jeden ein freundliches Wort - man kennt sich; ausführliche Gespräche am Rande die Zeit muß reichen. Der Mut verließ sie auch diesmal nicht, obwohl man im stillen mit mehr Teilnehmern gerechnet hatte. Immerhin haben am Ende doch 11O Teilnehmer ihren Obulus entrichtet. Es reichte wohl, um die Unkosten zu decken. Eigentlich war ja beabsichtigt, das Programm mit Mike Seeger zu bereichern. Doch der trat zur gleichen Zeit in der Schweiz auf. Und am 11.6. in Schaffhausen. 

Und mit bewundernswerter Ausdauer reisten sie an, die Country-Fans. Fans müssen es sein, denn wer schon nimmt sonst die Zeit und Beschwernis einer langen Anreise auf sich. Aus Holland, aus vielen Teilen der Bundesrepublik und aus Berlin kamen sie. Viele nicht das erste Mal. Manche schon als Dauergäste. Sicherlich kam man in erster Linie wegen des angebotenen Programms. Sicherlich war ein anderer wichtiger Grund die Kontaktpflege: alte Bekanntschaften, alte Freundschaften wurden aufgefrischt. Neue geschlossen. Man sah viele neue Gesichter. Alte Bekannte wurden hier und dort vermißt. Und dann führte man Fachgespräche. Nach einem Jahr hatte sich schließlich viel ereignet. Andere verbanden ihren Besuch mit Plattenkäufen und Plattentausch. Auch wurde verkauft. Manche Bilanz war positiv! Am Rande erhoben sich Stimmen gegen diese Aktionen, weil sie den eigentlichen Sinn des Country Meetings untergraben würden. Wir meinen, daß es mit dazu gehört. Wo sonst werden Country Platten in solcher Auswahl angeboten? 

Das 9. Country Meeting war wie alle Vorgänger ein Marathon. Zehn Stunden standen auf dem Programm. Wohltuend war dann auch die Ungezwungenheit, der sich jeder an diesem Tage befleißigte. Langeweile konnte nicht aufkommen, denn dafür war die Zeit zu abwechslungsreich. Das Programm rollte wie am Schnürchen ab. Zwischendurch gab es Gelegenheiten, sich zu unterhalten, eine Darbietung zu diskutieren. Man tat das zur Genüge. Allerdings ließ mit der Zeit auch die Konzentration nach, was die Veranstalter im nächsten Jahr beim Jubelfest in ihre Überlegungen mit einbeziehen sollten. Eine Pause, in deren Verlauf schließlich auch noch musiziert wurde, ist zu knapp bemessen. Folgerichtig entstand nach etwa zwei Stunden Unruhe in den Reihen. Die Akteure auf der Bühne wurden gestört, die Zuhörer wurden gestört. Welchen Vorteil dann auch eine Pause bietet, erlebten die meisten der Anwesenden im Garten des Lindenhofes. Man versammelte sich, um tapfer dem Klicken und Klacken der Kameras standzuhalten. Die Akteure der Bühne vermischten sich unter das Volk und unversehens begann einer an seinem Banjo zu zupfen. Andere stimmten ein, Bluegrass unter freiem Himmel, auf grünem Gras. Das war down to earth! Momente, die bei vielen in starker Erinnerung blieben. 

Man mußte nicht unbedingt Anhänger der Oldtime und Bluegrass Music sein. Man kam auf seine Kosten. Man muß das alles einmal selbst gehört, gesehen, und erlebt haben. Was sonst gelegentlich oder ausschließlich stereotyp aus der Rille einer Schallplatte erklingt, wurde hier zur lebendigen Gegenwart. Kein Pseudo, keine Imitation: Country Music ist allgegenwärtig. Man war unter sich. Das machte die Sache einfacher und verständlicher. Das mußte die Veranstalter unter den gegebenen Verhältnissen anspornen, etwas zu bieten. Sie taten es, die Sänger und Gruppen auf der Bühne taten es. Der verschwiegene Allroundmusiker NORRIS aus den USA bei seinen Solo-Auftritten ebenso wie CHRIS COMBER und MIKE PARIS aus England. Ob sie nun gemeinsam als "SOUTHERN EAGLE STRING BAND" in Aktion traten oder solo, CHRIS COMBER und MIKE PARIS sind exzellente Könner ihres Fachs. Dem Oldtime haben sich beide verschrieben. Als Kenner und Könner haben sich beide in England einen Namen gemacht. Wer kennt nicht jene ausgereiften Artikel von CHRIS COMBER in den verschiedensten C&W Zeitschriften Englands. Hier konnten sie nun ihr Können beweisen. Und sie taten es. Dazu zwei Bluegrass Gruppen aus Dänemark und Holland. Es war gut so, daß beide Gruppen auftraten. Denn auch wenn es mancher nicht wußte, Bluegrass und Bluegrass können verschiedene Dinge sein. Jede Gruppe bot ihren eigenen Stil an. Beide Gruppen waren gut. Die COUNTRY RAMBLERS aus Holland mit Jan Roelofs (guitar), Berry Selles (banjo, mandolin, autoharp, guitar) und Lody van Vlodrop (fiddle, banjo) spielten perfekter. Sie hatten einen Sound. Die GRASSHOPPERS aus Dänemark hatten ihre Gruppe erst neu formiert. Mit Arne Sorensen ( 5string-banjo, autoharp), Svend Lauridsen (lead guitar), Jorgen Traeholt (rhythm guitar), dem Virtuosen Steen Madsen (mandolin) und Flemming Buchardt (string bass) stehen dieser Gruppe fünf ausgezeichnete Musiker zur Verfügung. 

Nur am Rande - in der Pause - trat schließlich noch eine dritte Gruppe, THE BLUEGRASS EXPRESS aus Bad Oenhausen auf, die sich erst Ende des vergangenen Jahres formierte - aber dennoch einen guten Eindruck hinterließ. Man sollte sich den Namen dieser Gruppe vielleicht einmal merken und zum nächsten Meeting offiziell einladen. Die Spezialität des BLUEGRASS EXPRESS (Rolf Sieker: 5-string-banjo, Ulrich Sieker: mandolin, Hans-Joachim Windolph: 12-string-guitar, Ulrich Müller: string bass) ist die authentische Bluegrass Music.

Das 9. Country Meeting ist gelaufen. Das Streben der Veranstalter wird es sein, ein 1O. Country Meeting vorzubereiten. Man wird in einer Lagebesprechung die gesammelten Erfahrungen ausgetauscht haben. Und vielleicht die eine oder andere Konsequenz zu ziehen versuchen. Vielleicht ist es ein Problem der Zukunft, wie man noch mehr Interessenten ansprechen kann: 150, 2OO, 300. Vielleicht sollte man sich Gedanken darüber machen, ob man in Zukunft den Rahmen erweitert und neben Oldtime und Bluegrass eine gemäßigte Country Music anbietet. Stimmen wurden zu diesem Thema am 9.Juni 1973 bereits laut. 

(Aus COUNTRY CORNER Nr. 35 vom August 1973)

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Ankündigung in COUNTRY CORNER Nr. 38 vom Februar 1974; Gestaltung: Peter Kandler
 

COUNTRY MEETING IN NEUSÜDENDE
Und wie soll es weitergehen?

Die Antwort gab das Jubiläumstreffen selbst: schnurstracks so, wie es war, nach dem Motto "Für jeden etwas". Das 10. Country Meeting am 1. Juni 1974 war ein Erfolg in vielerlei Hinsicht, und auch hatte es eine Parallele zu Wembleys wenn es nämlich um das Funktionieren der technischen Anlagen ging. Aber diese Seite von Wembley war schnell vergessen. Schon spätestens bei ihrem zweiten Auftritt konnten die Interpreten getrost und sorglos singen und musizieren: die beiden Exponenten und Experten der Old Time Music CHRIS COMBER und MIKE PARIS, die Folkloristen BONNIE DOBSON und NORRIS, die ausgezeichnet eingestellten GRASSHOPPERS aus Kopenhagen, die während ihrer Vorstellung zu einem Fernsehauftritt im holländischen Fernsehen ver­pflichtet wurden. Ebenfalls imponierend die deutsche Bluegrass Gruppe BLUEGRASS EXPRESS. Und erstmals im Programm eine Country Band, THE EMSLAND HILLBILLIES. Allein die „Corner Boys" aus Hamburg glänzten durch Abwesenheit.

Das Publikum war dankbar, auch wenn dem einen oder anderen dies und jenes nicht paßte. Aber wie anders sollte es auch sein? Nie zuvor harrte es dann der Dinge, die da wohl noch kommen mochten, mit solcher Ausdauer. Überhaupt mochte das abwechslungsreiche Programm viel dazu beigetragen haben, daß das 10. Country Meeting einen über Erwarten großen Anklang gefunden hatte. Hörte man es nicht immer wieder vor früheren Meetings, daß Neusüdende zu viel Old Time, zu viel Bluegrass und daher keine Variante brachte? 

Daß man jetzt erstmals mit den EMSLAND HILLBILLIES eine Gruppe der modernen Richtung verpflichtete, mußte wohl für alle diejenigen, die dem Zeitgemäßen in der Country Music kaum etwas abzugewinnen verstehen, ein Dorn im Auge gewesen sein. Aber schließlich zahlte sich die Verbreiterung des Angebots aus. Und wer schon möchte ernsthaft behaupten, daß die Musik, um die es hier letztlich geht, nur Old Time und nur Bluegrass ist?? Old Time, Folk, Bluegrass und Country - das war eine repräsentative Mischung, und das müßte der zukünftige Stil von Neusüdende sein. Gemessen an der nun schon über Jahre andauernden mäßigen Entwicklung der Country-Szenerie ist es auch in Neusüdende an der Zeit, sich dem Bedürfnis eines neuen sich interessierenden Publikums zu erschließen. Die Frage ist dann auch, ob die Bezeichnung „Folk & Bluegrass Festival Neusüdende“ noch oder besser: schon  zeitgemäß für deutsche Verhältnisse ist. Vielleicht sollte man es gleich bei 'COUNTRY MEETING' belassen. 

Zumindest war noch ein anderer Erfolg zu verzeichen: Der nun schon fast obligatorische (Sammel)-Hut zu mitternächtlicher Stunde gehörte spätestens dem 9. Country Meeting im Jahre 1973  der Geschichte an. Ausschlaggebend dafür und den Publikumserfolg waren neue organisatorische Wege, die die beiden Veranstalter R. Pietsch und E. Schumann gegangen sind. Vieles war möglich geworden wegen der tatkräftigen Unterstützung der Gemeinde Rastede (Neusüdende ist ein Teilort von Rastede). Wie Gemeindedirektor Ullrich ausführte, werde die Gemeinde alles tun, damit diese Country Meetings zu einer ständigen Einrichtung werden. Gut so, und die anwesenden Herren des Gemeinderats hatten dann wohl auch ihre reine Freude. Neusüdende macht von sich reden. Nicht nur in der näheren Umgebung - auch anderswo. Unter den fast 300 (!) Anwesenden viele Anhänger, die nach Durchsagen in Country Music-Sendungen deutscher Rundfunkanstalten (DLF, HR, NDR, RB, SWF) aus den entferntesten Gegenden anreisten. Trotz geografisch ungünstiger Lage -deutsche Country Anhänger scheuen keine Strapazen. 

Das 10. Country Meeting dürfte in guter Erinnerung bleiben. Aus der Sicht des Publikums und der Veranstalter. Gleichsam muß es für die Veranstalter zu einer Verpflichtung geworden sein, dieses wohl einzigartige Treffen deutscher Country Anhänger unbedingt fortzusetzen. Mit einer annähernd idealen Linie in der Programmgestaltung dürfte es schon die Vorzeichen für das 11. Country Meeting 1975 gesetzt haben.
Hauke Strübing
  

(Aus COUNTRY CORNER  Nr. 40  vom Juli 1974)

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Und noch ein kleiner Rückblick in die 39jährige Geschichte von "Neusüdende":

Eine junge Bluegrass-Band kommt nach Neusiidende
BLUEGRASS EXPRESS

(hps). Noch 1973 reisten die vier jungen Männer aus Bad Oeynhausen auf gut Glück nach Neusüdende. Nicht programmiert war ihr - wenn auch gelungener - Pausenauftrittt, noch viel weniger das Malheur mit ihrem Vehikel, das ihnen die verständliche Freude dennoch gewaltig verdarb. Anders nun in diesem Jahr. Zum Jubelfest verpflichteten die Veranstalter die Gruppe BLUEGRASS EXPRESS nach Neusüdende und ins Hauptprogramm!

Einen guten Ruf genießen die Brüder Rolf und Ulrich Sieker, Hajo Windolph und Ulrich Müller mittlerweile in englischen Folk - Clubs benachbarter Städte von Bad Oeynhausen. Und daß Country Music, im speziellen Bluegrass Music, nicht nur bei Country-Fans ankommt, erfahren die jungen Interpreten seit gut einem Jahr immer wieder bei folkloristischen Veranstaltungen, bei Heimatfesten und Tanzfesten. Die Besetzung ist authentisch: Rolf Sieker spielt das 5-String Banjo, Bruder Ulrich die 12-String Mandolin und die Fiddle, Hajo Windolph die 12-String Guitar und Ulrich Müller den String-Bass.

Ihre Musik? Bluegrass! Ihr Stil? "Wir spielen und singen ausschließlich echten, authentischen Bluegrass", so Rolf Sieker zu COUNTRY CORNER. "Wir haben uns nicht auf einen bestimmten Stil eines US-Interpreten spezialisiert. Unser Programm umfaßt Songs von fast allen bedeutenden Bluegrass-Gruppen der USA." Durch den Einsatz der beiden 12-saitigen Instrumente ist es BLUEGRASS EXPRESS gelungen, den typischen Bluegrass-Sound zu erreichen. Zudem beherrscht jedes Mitglied der Gruppe mehrere für die Original-Interpreten charakteristische Stil-öder Spielarten auf seinem Instrument. Rolf Sieker: "Wir bemühen uns, einen Song der Stanley Brothers oder von Don Reno/Red Smiley auch Stanley-like und Reno/Smiley-like zu bringen."

Dank guter persönlicher Beziehungen zu bedeutenden Musikern in den Staaten konnte BLUEGRASS EXPRESS in den 18 Monaten ihres Bestehens wertvolle Erfahrungen sammeln. Da nun aber Erfahrungen allein noch lange nicht zum Erfolg führen, sieht ihr Übungsprogramm wie das eines Olympioniken aus: "Wir üben täglich fünf Stunden."

Sie müssen sich der Bluegrass Music verschrieben haben. Fürwahr, selten genug in Deutschland!

Den kompletten Beitrag finden Sie hier:: Bluegrass Express - Der vielversprechende Karrierebeginn von GroundSpeed.

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Und hier noch eine Rarität: Die 3 Abbildungen hierunter stammen aus dem Programmheft des
11. Country & Bluegrass Meeting an Pfingsten 1975. Am Samstag, 17. Mai 1975, traten Bill Monroe & His Bluegrass Boys sowie Bill Clifton in Neusüdende auf:

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