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Erinnerungen
Wie war das mit der Country Music in Deutschland ab Mitte der 50er Jahre?
Von Hauke Strübing

11. Kapitel
1975- 1979: Die Plattenfirmen (2)

Warum waren (und sind wohl auch heute noch) Country-Sampler in Deutschland so unendlich schlecht zusammengestellt? Es gibt viele Gründe: Einer mag wohl der sein, daß "wir jetzt mal wieder etwas Geld verdienen müssen mit einigen Tantiemen-freien Liedern", wie mir ein Mitarbeiter einer Plattenfirma vor Jahren einen musikalisch schwachen Sampler erklärte. Die 20. Wiederkehr eines altbekannten Liedes auf dem 20. Sampler einer Firma ist kein Märchen sondern wahr: Da spielte wohl eher die begrenzte Weitsicht in Sachen Country eine Rolle als die Begeisterung der zuständigen Mitarbeiter der Plattenfirmen. Und natürlich eine gewisse Bequemlichkeit. Warum in die Ferne schweifen, wenn ich auf Vorhandenes zurückgreifen kann? Und warum sollte man eigentlich so viel Kompetenz voraussetzen, wenn es auch ohne Ahnung geht? Heute stellen sich viele Fragen kaum noch, da sich die Country Music in Deutschland ohnehin hat tot trampeln lassen. Und was das Gegenteil der Bequemlichkeit angeht - auch dazu ein kleines Stück Erinnerung.

Nach den beiden RCA-Platten fehlte im Reigen der Großen noch das Mercury-Label, vertreten durch Phonogram in Hamburg. Wie auch immer es zu meiner Mitarbeit kam: Im Sommer 1976 äußerte auch Phonogram, einen Sampler veröffentlichen zu wollen, ein Doppelalbum mit Mercury-Material, das den Titel "Country Jubilee" tragen sollte. "Von vielem - für jeden etwas: Country Music der 50er, 60er und 70er Jahre" titelte ich und schrieb dazu die Linernotes und brachte folgenden Gedanken zu Papier: Versetzen Sie sich einmal in die Lage eines amerikanischen Musikliebhabers, der vielleicht nur durch Zufall Bekanntschaft mit unserer Folklore gemacht hat - mit der Volksmusik aus Bayern zum Beispiel. Trotz weltumspannender Kommunikation dürfte sein an dieser Musikgattung gewecktes Interesse schon bald an die Grenzen des Möglichen stoßen - mangels Masse. Vor eben diesen Problemen stehen auch die Anhänger der Country Music hier bei uns.

Und um hier Abhilfe zu schaffen, sammelte ich Musikstücke, die interessant genug waren, auch die Freaks hinter dem Ofen hervorzulocken. Der Phonogram-Mitarbeiter erzählte mir nach getaner Arbeit, daß ich ihn ganz schön durch die Welt gejagt hätte, weil nämlich die Master zu den Aufnahmen nicht nur in Nashville sondern auch in Los Angeles, New York und Chicago archiviert gewesen seien. Doppelte Freude also: Er freute sich über seine halbe Weltreise und ich mich über "Country Jubilee" und meine zweite komplett von einer Plattenfirma übernommene Zusammenstellung. Etwa vier Jahre später erschien das Doppelalbum in neuer Aufmachung unter dem Titel "Country Special" ein weiteres Mal und zusätzlich auch als MusiCassette.

Bereits 1975 versuchte ich mich ein zweites Mal an einer Bluegrass-Platte. Novum: Sie wurde bespielt von einer deutschen Gruppe: Der BLUEGRASS EXPRESS bestand als Gruppe schon knappe vier Jahre, seine vier Mitglieder Rolf Sieker (21), Ulrich Sieker (17), Hajo Windolph (18) und Ulrich Müller (18) hatten in dieser kurzen Zeitspanne eine erstaunliche Entwicklung durchgemacht. Als ich den BLUEGRASS EXPRESS 1973 erstmals in Neusüdende (bei Oldenburg) beim jährlichen "Country & Bluegrass Festival" traf, standen die vier Musiker gerade am Anfang ihrer gemeinsamen Arbeit. Publikum und Experten waren sich damals einig, daß alle den vielversprechenden Beginn einer Karriere miterlebt hatten. Mit dem BLUEGRASS EXPRESS stellte sich erstmals eine deutsche Gruppe vor, die den authentischen Bluegrass-Stil spielte und vor allem auch beherrschte. Das kam an! Zu ihrem WAM-Records-Debutalbum schrieb ich den Klappentext.

Ende 1977 und Anfang 1979 schlossen sich dann noch zwei Auftragswerke für ARIOLA und für Bertelsmann an. Die LP "Country Hitparade" enthielt Material des Labels United Artists. Im Klappentext ließ ich mich u.a. auch über den Begriff Crossover aus. Ein Jahr zuvor, im April 1977, hatte ich erstmals Amerika live erlebt, und was lag da näher, als auch über diese Eindrücke zu schreiben. Die Abkürzungswut der Amerikaner hatte mich insbesondere beeindruckt. Auch das Wort XING (Abkürzung für crossing). Das XING ist ein besonders in Nashviller Musikkreisen gern gesehenes Ereignis, das immer dann stattfindet, wenn eine Country-Aufnahme wieder einmal aus den ursprünglich vorgegebenen Bahnen ausbricht und in die Gleise der Pop Music überwechselt und nun zweispurig die totale Publikumsgunst erobert, es zumindest versucht. Man spricht dann von einem Crossover-Hit. Ein Begriff, der in Music Row in Nashville mittlerweile zu einem Glücks- und Geldbringer geworden ist. Die Musik auf dieser LP war aktuell: Kenny Rogers mit seinem Hit "Lucille", Billie Jo Spears mit "Blanket On The Ground" und Crystal Gayle mit "This Is My Year For Mexico" u.a. Eine gute Zusammenstellung firmenseits, so gut, daß die "Country Hitparade" nur knapp 5 Monate später vom Buchklub der Europäischen Bildungsgemeinschaft in Stuttgart übernommen wurde.

Das umfangreichste und aufwendigste Werk schloß sich Anfang 1979 an. Der Bertelsmann-Buchclub wollte eine Kassette mit 8 Langspielplatten herausbringen. Mit Zusammenstellungen allerdings, die keinen mehr vor den Ofen locken könnten, meinte ich. Änderungswünsche in der Titelauswahl wurden indes nicht akzeptiert: Vogel friß oder stirb - also schrieb ich, und ich machte daraus dann mein umfangreichstes Schriftstück. COUNTRY & WESTERN FESTIVAL hieß das stolze Werk. Das Begleittextheft hatte einen Umfang von 12 Seiten in LP-Format. Auf 2 Seiten verfaßte ich ein "Kleines Lexikon der Country Music" mit 31 Stichwörtern von Billboard bis Hank Williams. Auf 6 Seiten schlossen sich Abhandlungen über die Sänger/innen und ihre Lieder an. Das Ganze war gleichsam eine Abhandlung über die Country Music, ihre Entwicklung, ihre Stilrichtungen. Und hier flossen nun alle Erfahrungen ein, die ich in den vergangenen 24 Jahren gesammelt hatte. Ein Textbeispiel:

Warum Sänger der Country Music Jahrzehnte treu bleiben, hat einen ganz plausiblen Grund: Es gibt kein anhänglicheres Publikum als die Country Fans! Manche Schwäche künstlerischer wie menschlicher Art wurde da schon überdeckt. Zum Schluß blieb der Star ein Star. Im Jahre 1956 nahm Sonny James seinen Ewigbrenner "Young Love" auf, den er in späteren Jahren noch öfter einspielte. In der vorliegenden Kassette hören Sie das Original. Ein knappes Jahrzehnt nach diesem Einstand ging das Country-Leben für Sonny James erst richtig los. Der gebürtige Hackleburger (Alabama, Geburtstag 1.5.1929) löste mit seiner im November 1964 erschienenen Single "You´re The Only World I Know" im wahrsten Sinne des Wortes eine Kette aus. 23 Singles wurden in Folge eine Nummer 1 in den Country-Hitparaden, die letzte im Juli 1972 mit dem Titel "That´s Why I Love You Like I Do". Auch in der Country Music ist das etwas Ungewöhnliches.

"Meine" Country-Veröffentlichungen in Deutschland im Zusammenhang
20 Fantastic C & W Hits (9 Titel aus "Volume 6") RCA-Club-Sonderauflage (1976)
Country Jubilee (Doppel-LP) PHONOGRAM (1976)
Country Special (Wiederveröffentlichung von "Country Jubilee") PHONOGRAM (1980)
Bluegrass Express (Klappentext) WAM Records (1976)
Country Hitparade ARIOLA/United Artists (1978)
Country Hitparade Club-Sonderauflage (1978)
Country & Western Festival (8-LP Kassette):
Textheft Bertelsmann Buch-Club (1979)

12. Kapitel: Die Zeitschriften- und Rundfunkjahre
Südfunk 2, Club 19: "Schwäbisch sprechen Sie ja nicht"