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Erinnerungen
Wie war das mit der Country Music in Deutschland ab Mitte der 50er Jahre?
Von Hauke Strübing

12. Kapitel
Die Zeitschriften- und Rundfunkjahre:
Südfunk 2, Club 19: "Schwäbisch sprechen Sie ja nicht"

Das Jahr 1975 bringt viele Dinge gleichzeitig. Die Zeitschrift COUNTRY CORNER erscheint pünktlich und regelmäßig 6mal im Jahr, und eine Sonderausgabe im Mai 1975 mit 100 Seiten (!) anläßlich des 10jährigen Bestehens fordert alle Reserven heraus. Die Zusammenarbeit mit den deutschen Plattenfirmen nimmt viel Zeit und Muße in Anspruch. Dann melden sich die ersten Tageszeitungen mit Berichtwünschen. Vor allem aber wird am 3. Januar 1975 einer meiner Träume wahr - und zwar in der falschen Reihenfolge. Ich bekomme eine eigene Rundfunksendung, während an eine USA-Reise noch lange nicht zu denken ist. Und das kam so. Die Berichterstattung in COUNTRY CORNER über Country-Sendungen im deutschen Rundfunk hat einen hohen Stellenwert. Die Sendungen werden kritisch beobachtet - positiv und negativ. Negativ fällt mir seit geraumer Zeit die monatliche Südfunk-Sendung im Club 19 auf, und Mitte November 1974 schreibe ich einen deutlich formulierten Brief über die Qualität der Country-Sendungen an den Südfunk Stuttgart. Ich war verärgert, wie oberflächlich der Südfunk seine Country-Sendungen gestalten läßt. Der Brief muß den damaligen Redakteur Elmar Zimber dermaßen beeindruckt haben, daß er schon wenige Tage später bei mir anrief. Was mir denn einfiele, wie ich denn nur könnte, was ich mir einbilden würde. Vor allem aber: Ob ich es eigentlich besser könne! Ohne Zögern antwortete ich: "Ja!" Dann beweisen Sie das mal, haben Sie überhaupt irgendwelche Referenzen? Können Sie in den nächsten Tagen hier in Stuttgart vorbeikommen? Ja, ich habe Zeit. Ja, ich kann. Wie wär´s mit übermorgen? Übermorgen war ein Mittwoch, der 20. November 1974. Ich fuhr also nach Stuttgart noch ins alte Funkhaus des Südfunks, stellte mich bei Elmar Zimber vor und mußte mir zunächst einmal anhören, daß mein Brief doch recht ungehörig gewesen sei, was mir denn einfiele. Naja, die Stimmung wurde bald normal, und ich wurde das Gefühl nicht los, daß ihm meine Kritik recht passend kam, denn es dauerte nicht lange, und er bot mir eine monatliche Country-Sendung im Club 19 an: Ohnehin hätte man geplant, die Sendung ab 1975 14tägig auszustrahlen. Ich akzeptierte. Wir sprachen das Thema der ersten Sendung am 3. Januar 1975 durch, es sollten die Jahreshits 1974 sein. Und dann kam das große Aber! "Natürlich müssen wir die Sendung von einem Haussprecher moderieren lassen, denn so viel Geld könne man mir nicht zahlen". Ich sah mein eigentliches Ziel schwinden, selbst am Mikrofon zu sitzen und antwortete: "Das mache ich für Sie umsonst". "So? Das ist ja sehr interessant. Wenn das so ist...Naja, dann können Sie die Sendung natürlich auch sprechen. Schwäbisch sprechen Sie ja nicht". Das war der Satz, den ich mein Leben lang nicht vergessen werde: Schwäbisch sprechen Sie ja nicht! Und das war es dann! Im Hochgefühl sauste ich nach Hause und anschließend gleich zu meiner Zeitungsredaktion in Gaildorf, für die ich seit geraumer Zeit Artikel über die Country Music schrieb. Und einen Tag später, am 21. November 1974 schrieb die Neue Kreis-Rundschau (NKR) Gaildorf:

"Die Freunde der Country Music können sich freuen: am 3. Januar geht eine Sendung mit dem Haller Country Music-Experten Hauke Strübing über den Äther von Südfunk 2. An jenem Freitag läuft von 19 bis 20 Uhr in der Sendung Club 19 die "Country Corner", benannt nach der gleichnamigen Zeitschrift, in Stereo. Hauke Strübing, übrigens NKR-Mitarbeiter, moderiert dann selbst eine Stunde lang die Bestseller des Jahres 1974. Die Anhänger dieser Musikrichtung sollten sich den 3. Januar 19 bis 20 Uhr, also vormerken".

Ich hatte mein Ziel also erreicht. Ich schrieb meinen Text, den ich übrigens mitsamt der Musiktitel fortan zur Begutachtung und Genehmigung vorher einreichen mußte. Ich übte das Sprechen, fand mich scheußlich, suchte nach neuen Sendeideen. Als ich dann am 3. Januar 1975 nach Stuttgart losfuhr, nervös und Stunden zu früh, begleitete mich ein Kurzbericht in der NKR Gaildorf:

"Heute Radio einschalten
Schwäbisch Hall/Stuttgart. Wollen Sie mal hören, wie das klingt, wenn ein NKR-Mitarbeiter eine Musiksendung zusammenstellt? Dann schalten Sie heute abend, 19 Uhr, Ihren Rundfunkempfänger ein. Hauke Strübing, Experte in Sachen Country Music, präsentiert in Stereo die Bestseller des verflossenen Jahres. 15 Titel hat Hauke Strübing ausgesucht, die in der Zeit zwischen 19 und 20 Uhr über den Äther von Südfunk II gehen. Da können Sie mal hören, wozu NKR-Mitarbeiter fähig sind."

Da saß ich nun im alten Funkhaus, nervös bis über beide Ohren. Für die erste Sendung wurde Gisela Böhnke an meine Seite beordert, die mir aus dem Regieraum den einen und anderen Tip gab und ansonsten ihre Zeit strickend verbrachte.

*****

Es war eine aufregende Zeit damals: Die für TELDEC zusammengestellten Doppelalben zeigten Wirkung. "Beim Haller Hauke Strübing laufen bundesdeutsche Countrymusic-Fäden zusammen" titelte die NKR Gaildorf am 17.10.1974, und die Heilbronner Stimme schrieb am 22. Oktober 1974: "Das seltene Hobby des Hauke Strübing - Haller Fernmeldeamtmann konserviert Musik aus dem Appalachengebirge". Am 27. Oktober traf ich in Schorndorf auf Bill Clifton. Am 23. November hielt ich bei der "1. Hohenloher Funkausstellung" im Neubau-Saal einen Vortrag mit Musikbeispielen über die Geschichte der Country Music. Der BLUEGRASS EXPRESS war Gast in Hall und bei uns.

Am 8. Dezember 1974 fuhr ich nach Giessen zu einem Konzert mit Tommy Overstreet. Am 26. Dezember strahlte Bayern 3 eine einstündige Sendung aus, für die ich die Musik auswählte und das Manuskript schrieb. Am 17. Januar 1975 erschien mein erster Country-Bericht im HALLER TAGBLATT (Keine Musik der Cowboys), nachdem das HT recht sauer war, weil die Konkurrenz aus Gaildorf mein Thema so ausführlich aufgegriffen hatte. Am 20. Februar 1975 tritt Little Jimmy Dickens in Crailsheim im NCO-Club der McKee Barracks auf. Ich unterhalte mich mit ihm noch lange nach der Show - und kam mir wirklich sehr groß vor, weil ich niemals dachte, daß er tatsächlich so klein ist. Gerd Haida hatte mich begleitet. Und mit dem Rundfunk ging es auch weiter:

"Hauke Strübing, NKR-Mitarbeiter in Sachen Country Music, ist am heutigen Freitag (28.2.1975), von 19 bis 20 Uhr wieder Gast des Südfunks Stuttgart. Im Club 19 präsentiert er zum zweitenmal die Sendung "Country Corner", die er selbst zusammengestellt hat. Hauke Strübing stellt in der ersten halben Stunde erstmals seine Raritäten-Discothek vor, in der - von Hörern gewünscht - seltene Aufnahmen gespielt werden. Ab 19.30 Uhr erfolgt dann die Vorstellung der neuesten Country-Platten, die kürzlich in Deutschland erschienen sind. Zwischendurch gibt es aktuelle Informationen und eine Quizfrage, bei der es 5 Langspielplatten zu gewinnen gibt. Nun denn: Heute abend, Südfunk 2, 19 Uhr, Radio einschalten nicht vergessen!"

Über Ostern fand dann in London das bedeutendste Country-Music-Ereignis statt: Monikas und mein erster Besuch in London und die erste Country-Großveranstaltung, die wir besuchten: Mit dem Auto nach Ostende, mit der Fähre rüber, mit dem Zug nach London. Und drei Tage Country Music mit George Jones, George Hamilton IV, Marty Robbins, Marvin Rainwater, Wanda Jackson, Dolly Parton und und und. An Dolly Partons scharfen Kurven nahm ich Maß fürs richtige scharfe Bild. Marty Robbins war die größte Ulknudel, und Wanda Jackson sah zum ersten Mal ihre Langspielplatte mit deutschen Liedern, die sie zwar sang aber nie verstand. So ganz nebenbei sprachen wir mit Mary Reeves-Davis, der Witwe von Jim Reeves, und die Witwe von Tex Ritter erzählte uns stolz über den schauspielerischen Erfolg ihres Sohnes John Ritter und auch darüber, daß sich Tex vor Jahren einmal auf der Königstraße in Stuttgart eine neue Brille hatte kaufen müssen. Die Frau hat geredet wie ein Wasserfall! Ein angekündigter Künstler trat indes nicht mehr auf. Wie es hieß, war Lefty Frizzell erkrankt. So hieß es aber immer, wenn einer nicht da war. In diesem Fall hatte es jedoch einen realen Hintergrund. Lefty Frizzell war tatsächlich krank. Einige Monate später ist er gestorben. 1995 habe ich sein Grab auf einem Friedhof in der Nähe von Nashville besucht.
 

13. Kapitel: Die Zeitschriften- und Rundfunkjahre
Der zweite Traum, der eigentlich der erste war